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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Theil aus lauter verschiedenen Flicken bestand, überhaupt ärmliche Schwarzwaldtracht, aber doch, wie sie so da saß mit geneigtem Kopfe und gesenktem Blicke, mit völlig verändertem Gesichtsausdrucke, die Geige im Arme, sie anscheinend noch mit voller Sicherheit handhabend, da imponirte mir dieses Weib, welches sich sowohl in seiner Kunst, wie in seinem Humor einen Schimmer von Jugendlichkeit bewahrt hat, um den die Frauen der civilisirten Welt sie von Herzen beneiden dürfen.

Spiel und Gesang von „Urahne, Großmutter, Mutter und Kind“ kritisiren zu wollen, kann mir nicht einfallen. Wir nahmen dankend, was uns geboten wurde, und auch ein in die Hand gedrücktes Geldstück ward nicht zurückgewiesen, denn trotz des Grundbesitzes und trotz der drei Kühe und zwei Geisen im Stalle lebte die Familie offenbar nicht von ihrer Rente, sondern von ihrer Hände Arbeit, und die ist nicht leicht im Schwarzwalde.

Wir gingen und stellten in Aussicht, wiederzukommen, um das „Häusle“ zu zeichnen, was leider durch eintretendes Regenwetter verhindert wurde. Der Alten schien unser Versprechen sehr zur Befriedigung zu gereichen, obgleich sie sehr gut wissen konnte, daß Ruhm und Ruf der Redeck nicht gerade an ihre Person geknüpft sind.

Im Juli 1870 nämlich war im Schwarzwald ein großes Fest beabsichtigt. In der „Traube“ zu Waldau, als dem der Redeck zunächst gelegenen Orte, waren die umfassendsten Vorbereitungen getroffen worden, denn man erwartete Zuzüge von Menschen aus dem ganzen Schwarzwald, soweit die Uhrenindustrie reicht. Und alle diese Wallfahrten, Ovationen jeder Art, galten der Redeck; für all die Tausende war die Redeck das Ziel, und wenn die Hütte sie auch nicht hätte aufnehmen können, so beabsichtigten die Pilger doch mit ihrem Kommen einen Act der Pietät zu erfüllen und gleichsam der Stätte zu huldigen, wo vor just zweihundert Jahren Lorenz Kreuz, der Mann gelebt und gestrebt, der die erste Schwarzwälder Uhr gemacht und damit den Gebirgsbewohnern eine Bahn der Industrie eröffnet hat, von der das bescheidene Genie auf der Redeck, welches die Mußestunden langer Winterabende ausfüllen wollte, sich sicher Nichts hat träumen lassen.

Ja, im Jahre 1870 sollte das Fest begangen werden – da kam der große Krieg, und aus der Gedächtnißfeier wurde nichts; die streitbare Mannschaft hatte anderen Fahnen zu folgen als bekränzten Festesfahnen. Und wenn wieder ein Säculum verstrichen ist, wird dann die dankbare Nachwelt die Schuld an ihren Wohlthäter, den armen Häusler auf der Redeck, abtragen?

Schwerlich; nicht weil es noch gar lang ist bis dahin, sondern aus andern Gründen.

Heute ist der Schwarzwälder reich, und das verdankt er in diesem Districte nicht seinen dürftigen Feldern, auch nicht den fetten Weiden, seinen stattlichen Heerden oder seinem prächtigen Tannenwald, sondern jenem Zweige der Industrie, der eine Specialität des Schwarzwaldes geworden ist und dessen Ruf in alle Welttheile getragen hat.

Aeltere Leute werden sich aus ihrer Kindheit jener hausirenden Gebirgsbewohner erinnern, die auf ihrem Rücken, an hohen Gestellen befestigt, die bekannten Schwarzwälder Uhren feilboten. Heute sieht man sie kaum noch in nächster Nähe des Schwarzwaldes, wahrscheinlich weil bei unseren regulirten Post- und Eisenbahnverbindungen das Hausiren ein zu kostspieliges Geschäft wäre. So aber sind die Schwarzwälder nicht nur durch Deutschland, sondern durch die ganze civilisirte Welt gezogen; so sind sie hausiren gegangen in England, Holland, Frankreich, Rußland, Spanien und Amerika; heute noch besteht die lebhafteste Verbindung mit jenen Ländern, und so sind sie reich geworden.

Zehn Jahre, zwanzig Jahre – jenachdem – blieben sie aus, dann kehrten sie heim, kauften sich an und wurden wieder – Schwarzwälder in Tracht und Sitten, gerade wie die Redecker Marei, nur daß der Uhrenhandel ungleich einträglicher gewesen sein muß als Spielen und Singen, denn der Grundbesitz zählt nach Hunderten von badischen Morgen und ruht in festen Händen. Kaum ein Acker ist käuflich, und die Besitzer werden nach Hunderttausenden taxirt. –

Die meiste und lebhafteste Verbindung in geschäftlicher Hinsicht hat alle Zeit bestanden und besteht noch heute mit England. Daß das Englische demnach eine im Schwarzwalde sehr gebräuchliche Sprache ist, kann kaum überraschen, und Bauer und Bäuerin trinken – in diesem obern Theile des Schwarzwaldes allabendlich ihren Thee, ein aus England mitgebrachter und liebgewordener Brauch.

Einmal erschien eine englische Familie in der „Traube“. Unser Wirth, der zwar auch seiner Zeit in England gewesen war, mochte sich doch nicht mehr so recht bequem in der Sprache bewegen; es wurde also eiligst der Sohn, der mit den Knechten beim Heuen beschäftigt war, herbeigerufen, und Engel (Engelbert) warf die Arbeitsjacke ab und zog die Staatskleider an, um den Gästen die Honneurs zu machen, wie es sich gehört.

Charakteristisch für die Verhältnisse ist ferner Folgendes: Es war da ein hübsches Mädchen im Hause, mit buntem Mieder und weißen Hemdärmeln, „’s Kätterle“, wie alle Welt sie nannte, und die alle Welt gern hatte. Früh und spät war sie bei der Hand und allezeit fröhlich und guter Dinge, zu jeder Arbeit bereit und behende.

„Die solltest Du Dir angeln und als Dienstmädchen mitnehmen,“ sprach ein Herr zu seiner Gemahlin, „ein solches findest Du in der Stadt gar nicht.“

„Das glaube ich,“ lautete die Antwort, „aber ich kann kein Mädchen gebrauchen, das reicher ist als ich; ’s Kätterle ist die Erbin von wenigstens hunderttausend Gulden, und ’s Kätterle wird sich bedanken.“

So war es. Ihr Vater war ebenfalls ein „Engländer“, und ’s Kätterle, das als Magd in der „Traube“, freilich bei des Vaters Bruder diente, war halt eine große Erbin. –

In der Gewerbehalle zu Furtwangen (zwei Stunden von Triberg) wird noch jene Uhr aufbewahrt, welche Lorenz Kreuz von der Redeck, und zwar nur mit Hülfe eines Messers, ganz aus Holz gemacht hat und welche die Anfänge einer Industrie repräsentirt, die im Laufe der Jahre die Bewohner des Schwarzwaldes auf die schon früher erwähnte Höhe des Wohlstandes gehoben hat. Sie hat die typisch gewordene Form der Schwarzwälder Uhren, ungefähr so wie heute noch, ein Zifferblatt mit nur einem Zeiger, dem Stundenzeiger, und im Innern drei hölzerne Räder, während eine regelrechte Schwarzwälder Uhr von heut zu Tage deren neun hat. Statt des Pendels hat jene ehrwürdige Uhr eine Balancirstange, aber ein Wecker fehlt nicht. Die zweitälteste Uhr in der Sammlung zu Furtwangen hat zwei Zifferblätter mit je einem Zeiger, der obere zeigt die Stunden, der untere die Minuten an, und dann erst folgt eine Uhr, welche jene uns so naiv erscheinende Idee aufgiebt und einen Doppelzeiger hat, wie heute alle unsere Uhren. Erst 1740 wurde die erste Pendeluhr gemacht.

In historischer, oder sagen wir richtiger in chronologischer Reihenfolge sind die Producte der sich mächtig entwickelnden Uhrenindustrie geordnet und schließen mit einem großen Chronometer, der ein volles Jahr geht, ohne inzwischen aufgezogen werden zu müssen. „Ja, er ist noch sieben Stunden über dreihundertfünfundsechszig Tage gegangen,“ versicherte der Aufwärter, „und in all der Zeit, in dem ganzen Jahre, hat er bei genauester Beobachtung nicht um ganz eine Minute differirt.“ Letzteres ist das Bewunderungswürdigste und scheint unbedingt der Höhenpunkt zu sein, der auf diesem Gebiete zu erreichen ist.

Zu einem gewissen Abschluß ist ohnedies die Schwarzwälder Uhrmacherkunst gelangt: sie ist in die Hände von Fabrikanten übergegangen. In Neustadt, einem gar reizend gelegenen Städtchen, zwei Stunden von Waldau und eine Stunde vom Titisee entfernt, ist ein großes Etablissement, welches den Fremden jederzeit und bereitwilligst gezeigt wird; dort sind dreihundertfünfzig Arbeiter beschäftigt, darunter fünfzig weibliche, welch letztere meistentheils das Poliren besorgen.

In großen Sälen, deren drei Seiten nur aus Fenstern bestehen, sitzen an diesen entlang die Arbeiter vor dem ringsum laufenden Tische. Die mit Wasserkraft arbeitende Maschine hebt immerfort die kolossale Säge mit fast zollgroßen Zähnen auf und nieder, um die Bretter zu schneiden, welche zu Uhrkasten verwandt werden, und zugleich bewegt sie die feine, scharfe, nur einen Strohhalm breite Laubsäge, so daß der Arbeiter nicht diese um die Zeichnung zu führen hat, sondern, ähnlich wie die Näherin an einer Nähmaschine, den Stoff – hier ein Brettchen mit Zeichnung, das zum Rahmen der Uhr geschnitten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 821. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_821.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)