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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Es handelt sich für mich doch ein wenig darum, wie mir zu Muthe ist,“ entgegnete er. „Sie wollen mich vertreiben von hier. Wenn ich nun aber mich hier wie in einem wundervollen Traume fühlte, von dem ich wollte, daß er nie zu Ende gehe, so sehen Sie ein, wie schwer es sein wird, daß ich mich gerade jetzt zu dem entschließe, was Sie von mir verlangen. Ich fühle mich eben wie mit Zaubergewalt an diesen Erdfleck gefesselt; die sonnige Welt um uns her mit ihrer reizenden Abwechselung von Hain und einzelnen Baumgruppen, von Kornflur und Rasenflächen, diese still an saftig grünen Waldwiesen vorübergleitenden wasserreichen Flüßchen, dieser Wechsel der Bodenerhebungen und Senkungen, das Alles gefällt mir ausnehmend, und mehr noch die Staffage dieser grünen Landschaft, die schönen reichen Höfe mit ihren prächtigen Sassen. Wo finden Sie einen solchen Bauernschlag wieder?“

„Aber ich bitte Sie, wie können Sie jetzt von Dingen reden, auf die es ja gar nicht ankommt?“

„Für mich kommt es wohl darauf an. Aus dem sonn- und hirnverbrannten Spanien gekommen, seh’ ich mich in einer so erquickenden, herzstärkenden Welt wie diese. Und mitten in dieser reizenden Umgebung, wo ich vergessen kann, was hinter mir liegt, wo mir der Muth, sorgenlos in die Zukunft und in das Glück hineinzuleben, wiedergekommen ist und täglich stärker in mir aufquillt, da sitzen Sie mir gegenüber, Sie, ein fremdes, schönes rührendes Märchengebilde, und reden mir mit einer Stimme, deren Töne so wunderlich zum Herzen gehen, von einer jungen Liebe, von Liebesglück und Liebeskummer vor, müssen Sie nicht gestehen, daß ich mich wie in einem Traume voll Poesie befangen fühlen muß – und können Sie mir zumuthen, ich soll mich daraus aufraffen, mein Bündel schnüren und fortwandern auf Nimmerwiedersehen?“

Die Prinzessin schüttelte den Kopf. Die Complimente, welche der Fremde ihr gemacht, schienen sie heute zwar durchaus nicht mehr zu erzürnen, aber ein wenig ungeduldig war der Ton doch, mit dem sie antwortete:

„Ich meine Ihnen doch klar gemacht zu haben, daß Sie keine Zeit haben zu träumen … daß die höchste Gefahr über Ihnen schwebt.“

„Gewiß, Sie haben es nicht an Eifer fehlen lassen, mir das Schreckliche meiner Lage klar zu machen. Der junge Mann drüben auf Wilstorp fühlt sich auf’s beklemmendste und ängstlichste dadurch compromittirt, daß ich seinen Namen mißbraucht habe, um darunter meine gefährlichen Emissar-Umtriebe zu machen. Sie haben versprochen, ihn von dieser Angst zu befreien, falls er dagegen auf seine Bewerbungen um ein Fräulein verzichtet, das längst ihr Herz einem jungen Arzte, Ihrem Protégé, geschenkt hat. Um ihn von seiner Angst zu befreien, verlangen Sie von mir, daß ich meine Umtriebe einstelle und je eher desto besser verschwinde. Wenn ich nicht verschwinde, wenn es Ihnen nicht gelänge, durch Ihr gütiges Zureden mich unverzüglich aus dem Lande zu schaffen, dann, drohen Sie, würde ganz unzweifelhaft, trotz aller patriotischen Gefühle, die ihn abhalten könnten, der Rentmeister, Herr – wie nannten Sie ihn? – selber vorgehen und mich sammt meinem Waffenvorrath, den ich in dem alten verlassenen Gebäude ‚die Kropp‘ geborgen und den ihm der Zufall entdeckt, den französischen Behörden denunciren, worauf diese mich einfangen, verurteilen und erschießen würden. Das Alles ist klar, logisch und schlagend. Namentlich ist das Erschossenwerden eine Sache, der – ich kann ja aus eigener Erfahrung darüber reden – man besser thut auszuweichen.“

„Und wie können Sie noch zaudern?“ fragte die Prinzessin.

„Weil es mir hier gefällt. Weil ich hier so wohl aufgehoben bin, wie seit vielen Jahren nicht. Weil ich mit Wonne diese reine, weiche, stille Luft hier athme. Deshalb zaudere ich. Und dann auch vielleicht ein wenig aus Trotz. Vielleicht aus bösem Trotze, weil gerade der Mund, aus dem ich dieses Wort am wenigsten gern hörte, mir sagt: ‚Geh! geh!‘ Sie wissen wohl nicht, Sie hochmüthige Durchlaucht Sie, daß unter Umständen das Wort: ‚Geh!‘ ein sehr grausames sein kann?“

Die Prinzessin erröthete leicht.

„Für Sie liegt doch keine Grausamkeit darin, wenn ich das Wort Ihnen gegenüber ausspreche. Ich mache Ihnen eine Gefahr kund, die Ihnen droht; ich sage Ihnen: man hat entdeckt, wer Sie sind, was Sie hierher führt – also retten Sie sich, fliehen Sie – nennen Sie das grausam?“

„Wollen Sie mir einräumen, daß es persönliche Theilnahme für mich, Güte, Fürsorge Bekümmertheit um mein Schicksal ist, dann will ich allerdings das Wort ‚grausam‘ widerrufen. Aber Sie senden mich fort, damit Fräulein Adelheid wieder nach Herzenslust ihren Doctor Günther lieben darf – und deshalb …“

„Würden Sie gehen, wenn ich Ihnen einräumte, daß ich auch aus Theilnahme und Sorge um Ihr Schicksal wünsche, Sie gingen und brächten sich in Sicherheit?“

„So viel würden Sie mir einräumen, so sehr würde Ihr hochfürstlicher Stolz sich herablassen, so sehr sich demüthigen, nur um mich glücklich fortzuschaffen?“

Prinzessin Elisabeth wandte sich zornig ab.

„Sie sind argwöhnisch, also schlecht.“ sagte sie. „Sie verdienen die Worte nicht, die ich an Sie gerichtet habe.“

„Habe ich Sie beleidigt?“

„Ja – tief.“

„So haben Sie also die Wahrheit geredet? Sie schenken mir wirklich eine persönliche Theilnahme, die sich um meine Sicherheit ängstigt? Das wäre ein Glück, an das ich gar nicht mehr zu glauben wage. Mein Gott – seit wann hat ein Weib mir eine wahre Theilnahme bewiesen? Seit meine Mutter todt ist, nicht mehr.“

„Dann haben Sie keine gesucht oder keine verdient.“

„Gesucht – ich habe nichts anderes gethan als sie gesucht mein Leben lang. Aber wohl nicht auf die rechte Weise. Ich bin immer etwas von einem Träumer gewesen. Ich lebte in’s Leben hinein wie ein Kind seinem Weihnachten entgegen, in ruhiger Erwartung. Wozu waren die Wolken über mir da, wenn nicht zur richtigen Stunde mir das Glück daraus zufallen sollte? Aber bis jetzt ist es mir nicht zugefallen aus den Wolken. Es ist mir nichts zugefallen als das Glück, welches die Träumer haben, daß sie heiler Haut durchkommen, wo Andere den Hals brechen. Ich bin nie verwundet worden und ich schreibe es dem Umstande zu, daß ich in einem Gefechte jedesmal in einen wunderlichen Zustand geriet, wo alles, was um mich her war und vorging, mir wie ein Traum vorkam und ich an eine Gefahr für mich gar nicht dachte.“

„Und so haben Sie auch hier gelebt, und an die furchtbare Gefahr, die über Ihnen schwebt, haben Sie nicht gedacht.“

Er sah sie lächelnd, sinnenden Auges an und sagte dann:

„Tadeln Sie mich deshalb nicht, Prinzessin Elisabeth! Seit ich Ihnen damals im Walde drüben begegnet bin, habe ich an Anderes und Besseres gedacht. Stets an Eines, das mir aber so viel zu sinnen und zu denken gegeben hat, daß ich unmöglich auch noch an Anderes denken konnte. Nun, werden Sie nicht böse, daß Ihnen ein gewöhnlicher Sterblicher so etwas sagt! Sie wollen, ich soll gehen, für immer scheiden von hier, und einem Scheidenden verzeiht man ja, wenn er ausspricht, wie ihm zu Muthe ist.“

„Aber einem Manne,“ fiel Prinzessin Elisabeth, die leicht erblaßt war, jetzt erröthend ein, „verzeiht man nicht, wenn er redet, wie’s ihm einfällt und ohne an die Tragweite seiner Worte zu denken.“

„Thu’ ich das?“

„Ja, das thun Sie,“ entgegnete die Prinzessin fast heftig, „gerade so unbesonnen und unbedacht jetzt wie damals, als Sie sich ohne Weiteres den Namen Uffeln beilegten. Jetzt sprechen Sie mir Dinge vor, die kein ehrlicher junger Mann einem jungen Mädchen sagt, auf die Gefahr hin, Ihren Frieden damit zu stören. Müssen Sie sich nicht sagen, daß das ein schlechter Lohn für die Theilnahme ist, welche ich Ihnen gezeigt habe und deren Aufrichtigkeit Sie nicht verkennen konnten? Jetzt, ehe Sie scheiden, reden Sie mir von Gefühlen, von Gedanken vor, die, wenn ich sie für wahr hielte, doch einen Eindruck auf mich machen müßten. Und kann, wenn Sie fort sind, um nie wiederzukehren, dieser Eindruck mich glücklicher machen? Sie haben kein Gewissen.“

Er sah sie überrascht und verwundert an.

„Kein Gewissen? Darin mögen Sie Recht haben. Ich werde in der Leidenschaft, fürchte ich, gerade so kopflos und um die Einwürfe des Gewissens unbekümmert vorwärts gehen, wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 847. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_847.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)