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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

in der Schlacht unbekümmert um die Kugeln. Bin ich deshalb ein schlechter Mensch? Glauben Sie das? Ich weiß es nicht; ich weiß nur, daß ich bin, wie der liebe Gott mich wachsen ließ, und daß wenig an mir geändert werden könnte. Verzeihen Sie mir deshalb – auch dann, wenn ich von den Worten, die ich sprach und die Sie gewissenlos finden, nichts zurücknehmen kann! Seit ich Sie gesehen, wird mein Leben nur von einem Gedanken beherrscht, und das wird auch später nicht anders werden, niemals. Was geht es Sie an? Ihre Ruhe werde ich dadurch nicht mit mir fortnehmen.“

Die Prinzessin sah in den Schooß. Sie war ein wenig bleicher geworden; es glänzte etwas in ihren Augen. Plötzlich hob sie den Kopf, sah ihr Gegenüber mit einem eigenthümlich sprechenden, aber sehr flüchtigen, sehr raschen Blicke an, reichte ihm ebenso flüchtig die Hand und sagte dabei:

„Da Sie nicht aufhören, davon zu sprechen, so muß ich gehen. Ich nehme Ihr Wort mit, daß Sie von hier abreisen. Adieu – mit Gott – Gott sei mit Ihnen!“

Dabei war sie aufgestanden, und ehe er noch den Druck ihrer Hand hätte erwidern können, war sie bereits drei Schritte vor ihm auf dem Wege zu der Umzäunung des Gartens, um ihrer Kammerzofe zu winken, mit der sie nach einigen Abschiedsworten an die Meyerin den Heimweg einschlug, dem Walde zu, der nach wenigen Minuten sie aufnahm und den Blicken des Nachschauenden verbarg.

Dieser sah ihr lange mit seinen eigenthümlichen, durch die halbgeschlossenen Lider einen so merkwürdigen Ausdruck von Träumerei bekommenden Blicken nach.

„Und jetzt,“ flüsterte er nach einer Pause vor sich, „jetzt, wo diese edle goldreine Natur aus der naiven Offenheit ihres großen Herzens heraus mir solch ein Geständniß gemacht hat – gehen? Jetzt von hier scheiden? Ja, gehen will ich, aber nicht, wohin sie mich sendet.“

Er blickte lange zu Boden, stampfte dann, während er zornig ein paar Worte vor sich hinmurmelte, mit dem Fuße, und wandte sich dem Schem zu, um hinter den Wallhecken jenseits des Flusses zu verschwinden. –

Die Nachmittagssonne hatte sich unterdeß mehr und mehr geneigt und senkte sich dem Horizonte zu. Auf dem Hofe von Wilstorp spielten ihre letzten Strahlen, bevor sie hinter den Wipfeln des umgebenden Waldes und den Dächern der Vorgebäude verschwand, mit dem dunkeln Laub des Epheus, dessen Geranke sich an den Thürmen hinaufspann und den hübschen Platz zwischen den letzteren vorn abschloß. In diesem reizenden versteckten Winkel saß auch heute wieder die Familie versammelt um den großen Steintisch, mit denselben Hausfreunden, welche wir früher dort antrafen, dem Justitiar und dem Oberförster, auch Herr Fäustelmann fehlte nicht, er saß vorn, mit dem Rücken dem Hofe zugekehrt, während im Hintergrunde Herr von Uffeln neben Mansdorf saß, zur Seite vom Fräulein Adelheid. Diese sah sehr bleich aus und ließ von Zeit zu Zeit ihre Häkelarbeit in den Schooß sinken, um dann, nach einer Pause, wie erschrocken aus ihren Gedanken auffahrend desto hastiger darin fortzufahren; Herr von Uffeln, dem Anscheine nach ganz von den Gesprächen der Männer absorbirt, beobachtete doch mit häufigen raschen Seitenblicken diese Spuren von innerer Aufregung in dem jungen Mädchen neben ihm; Frau von Mansdorf strickte an ihrem obligaten Strumpfungeheuer und horchte dabei ebenfalls auf die Gespräche der Männer.

Diese waren in die neuesten Kriegsnachrichten vertieft. Napoleon spielte eben eine Rolle, welche man nicht begriff, welche man bei ihm nicht verstand – er war noch immer in Dresden mit dem Haupttheile seiner Heere, wie festgenagelt blieb er seit vielen Tagen schon an derselben Stelle, und wenn unbefangene Menschenkinder sich dadurch verführen lassen konnten zu glauben, er habe die Macht verloren, den Feldzug nach seinem Sinne und nach seinem Plane zu leiten, er habe wohl gar keinen festen Plan mehr und schwanke in seinen Entschlüssen, so wußten die Klügeren ganz genau, daß dies eben nur die Ruhe des Löwen vor dem Sprunge, das Zusammennehmen seiner Kraft sei, worauf die furchtbaren, alle seine Gegner zermalmenden Schläge folgen würden. Diese Meinung wurde auch von Leuten vertheidigt, welche die besten Wünsche für die Sache des Vaterlandes hegten, denn um diesen französischen Soldatenkaiser lag nun einmal trotz Rußland und trotz Spanien der Nimbus der Unbesiegbarkeit.

In unserm Kreise war es merkwürdig, mit welcher Ruhe und welcher Friedfertigkeit die sich einander entgegenstehenden Ansichten darüber ausgetauscht wurden. Heute würden so durchaus verschiedene Ansichten über politische Dinge unfehlbar zu heftigem Streite führen und die so sehr sich widersprechenden Propheten nächster Zukunftsereignisse sich bald in die Haare gerathen. Damals jedoch war der deutsche Unterthan so daran gewöhnt, in den politischen Ereignissen, in Krieg, Frieden, Ländervertheilungen Dinge zu sehen, welche für ihn den Charakter elementarer Erscheinungen mit elementarer Gewalt hatten, dunkle Wetter, die über sein Haupt dahinzogen, ohne sich um ihn zu kümmern, und aus denen für ihn nur die Schauer, die Schloßen oder auch die Blitze, die sein Dach in Flammen setzten, niederfuhren – so sehr, sagen wir, war der deutsche Unterthan daran gewöhnt, daß nach und nach die apathische Geduld der wesentliche Zug im Charakter der öffentlichen Stimmung geworden war. Einzelne Hitzköpfe machten eine Ausnahme; in einzelnen Herzen kochte es, und die Heftigeren machten, von einer gewissen Erregung durch den eben wüthenden Krieg ergriffen, von ihrer Gesinnung kein Hehl, wenn es ohne Gefahr war; Apotheker Widmer hatte ja sogar in seiner Propaganda für die Zwecke des Tugendbundes manche befriedigende Erfolge. Im Ganzen aber war in unserm Lande von der stürmischen Begeisterung, von der uns die Geschichte der „Freiheitskriege“ aus anderen deutschen Landschaften berichtet, nicht viel zu verspüren, und Herr von Mansdorf sagte mit gemüthlicher Ruhe, nachdem das Für und Wider einer Entscheidung nach dieser oder jener Seite erörtert war:

„Jedenfalls soll mich wundern, wer uns hier nachher bekommt.“

Fortsetzung folgt.  




Schneesturm in den Tauern.


In den Bergen ist der Winter ein wilder, ungestümer Geselle, der keinen Spaß versteht; in tobenden Schneestürmen drückt er seine Wildheit aus, und wehe dem einsamen Wanderer, welcher von einem solchen Unwetter überrascht wird! Er ist in den meisten Fällen sein Opfer. Von den Gefahren und Schrecken eines solchen Schneesturmes im Hochgebirge kann sich Derjenige, welcher niemals im Winter im Gebirge war, gar keinen Begriff machen. Ich hatte vor Jahren auf einer Reise von Salzburg nach Klagenfurt die Gelegenheit, den furchtbaren Ernst eines solchen Unwetters kennen zu lernen, und will hier versuchen, die Erlebnisse dieser Reise zu schildern; dieser Erzählung muß ich aber eine ganz kurze Beschreibung der Straße, auf welcher ich die Tour machte, vorausschicken.

Von dem reizenden Salzburg führt südwärts eine Straße über drei Alpenketten in das Kärntnerland. Dieser Weg ist an Naturschönheiten überreich. Zuerst führt derselbe das Salzachthal entlang durch den von den Kämpfen im Jahre 1809 her bekannten Paß Lueg; hier ist das Thal so enge, daß die Straße neben der Salzach kaum Platz hat. Von Werfen biegt der Weg links ab nach Radstädt, durchschneidet das Thal der Enns und führt über den Radstädter Tauern in das Lungenthal nach Sanct Michael, von wo die Straße wieder den Katschertauern hinanzieht, nach dessen Uebersteigung sie in das Kronland Kärnten gelangt. Die höchste Höhe dieser Paßstraße ist die Spitze des Radstädter Tauern, welche viertausendachthundert Fuß über der Meeresfläche liegt. Hier ist zur Aufnahme und Rettung von Reisenden eine Art Hospiz, ein sogenanntes Tauernhaus, erbaut, in dessen Nähe ein Kirchhof zur Beerdigung der im Schnee Verunglückten sich befindet. Aus diesem Umstande allein kann man schon entnehmen, daß eine Reise im Winter über diesen Alpenpaß zu den gefährlichen Unternehmungen gehört.

Der Eilwagen, mit welchem ich die Reise machte, ging damals

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 848. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_848.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)