Seite:Die Gartenlaube (1875) 851.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

demselben und brachten sie unter das schützende Dach; die weiblichen Insassen des Tauernhauses nahmen sie nun in Pflege, und ihren Bemühungen gelang es bald, sie in einen beruhigenden Zustand zu bringen. Nachdem wir Männer inzwischen ein durch die Verhältnisse in diesem so hoch gelegenenen Asyle bedingtes, sehr einfaches Abendmahl genommen, wurde beschlossen, für heute die Reise nicht fortzusetzen, da der Sturm draußen ärger denn je tobte und die Gefahr, obgleich nun die Thalfahrt zu beginnen hatte, die gleiche wie bei der Bergfahrt war.

Nach einer auf sehr primitiven Lagerstätten, aber in tiefem und erquicklichem Schlafe zugebrachten Nacht brachen wir des andern Morgens auf und traten die Thalfahrt an.

Auch unsere Reisegefährtin hatte sich, dank der Pflege der Wirthin und ihrer weiblichen Dienstboten, soweit erholt, daß sie die Weiterreise unternehmen konnte. Wir kamen glücklich und wohlbehalten in Klagenfurt an.

Ich werde aber Zeit meines Lebens diese so äußerst mühe- und gefahrvolle Reise über den Radstädter Tauern, bei welcher ich die ganze Wildheit und den furchtbaren Ernst des Winters im Hochgebirge kennen gelernt, nicht vergessen.

J. Hörmann.




Die heiligen zwölf Nächte.
Von Moritz Busch.

Die Tage, wo der Weihnachtsbaum leuchtet und Sanct Sylvester seine Freunde um die Bowle versammelt, sind vor der Thür. Eine Schilderung von Glauben und Brauch, wie das Volk sie an die Zeit vom Christabend bis zur Nacht des Dreikönigstages knüpft, dürfte daher jetzt nicht unwillkommen sein. Ich glaube namentlich die Gestalten und Vorstellungen in’s Auge fassen zu müssen, welche den altheidnischen Hintergrund des deutschen Volkslebens in jenen Tagen bilden. Vieles davon ist heutzutage verblaßt oder ganz verschwunden, wenigstens in den Städten und da, wo die Eisenbahnen wirken. Anderes lebt fort, zumal unter Kindern und alten Leuten.

Die christliche Kirche feiert diese Zeit mit nächtlich erleuchteten Gotteshäusern, in denen unter Orgelschall die Lieder von der Geburt des Weltheilandes erklingen und dem frommen Gemüthe das heilige Kind in der Krippe, umgeben von seiner Mutter, den freudenvollen Hirten und den anbetenden und Gaben spendenden drei Weisen aus dem Morgenlande, erscheint. Früher allenthalben, jetzt nur noch hier und da schlossen sich daran die Umzüge der „Sternsänger“, die, mit geschwärzten Gesichtern und mit weißen Hemden und Goldpapierkronen von Haus zu Haus wandernd, in naiven Weisen dem Volke jene Bilder und Vorgänge vergegenwärtigten. Noch früher knüpften sich an die kirchliche Weihnachtsfeier und die ihr folgenden Feste förmliche Schauspiele, welche in Rede und Gegenrede und allerlei Gruppen die Begebenheiten der Evangelien, die uns von der Kindheit Jesu berichten, darzustellen bestimmt waren, und wo solche kleine Dramen sich nicht ausbildeten, wurde wenigstens unter Lobgesängen vor dem Altare das Christkind gewiegt.

Neben allen diesen Gebräuchen aber gingen andere her, die auf nichtchristliche Vorstellungen hindeuteten und in der That dem altgermanischen Heidenthume entstammten, das überhaupt noch Jahrhunderte nach der Zeit, wo die Deutschen sich Christen zu nennen begannen, im Denken und Empfinden der Seelen fortglimmte und noch heute in gewissen Volksheiligen, in gewissen Spukgestalten, namentlich aber in dem sich erhalten hat, was der Aberglaube in bestimmten Landschaften zu thun oder zu lassen gebietet.

In der Heidenzeit zogen die Götter in den nächsten Monaten nach der Ernte, entweder nur gedacht und in Visionen geschaut, oder durch Processionen dargestellt, segnend und Verehrung heischend durch die Lande: Wuotan, der Himmelsgott, auf seinem weißen Rosse, das die Sonne bedeutete, und mit seinem breiten grauen Hute, der die Wolkendecke versinnbildlichte; Berchta oder Frau Holle, die Erdmutter, die der Saat Gedeihen gab, die Bewahrerin der ungeborenen und früh gestorbenen Kinder, die Göttin, welche dem Hauswesen vorstand, hier und da wohl auch Donar, der Gewitterlenker, oder Fro, dessen Attribut, der goldborstige Eber, das Feld mit den reifen Gerstenähren darstellte. Allerhand Bräuche waren während dieser Annäherung der Gottheit an die Menschen zu beobachten. Große Schmäuse und Gelage fanden statt. Mancherlei Zauber wurde in diesen Wochen vorgenommen.

In der Heidenzeit ferner feierten die deutschen Stämme in den Tagen, wo jetzt auf den Kanzeln die Geburt des Erlösers verkündet wird, das eine ihrer zwei größten Jahresfeste, das sich um die winterliche Sonnenwende gruppirte. Wieder stiegen die Götter zu den Menschen hernieder, wieder verbanden sich mit ihrem Erscheinen oder der Vorstellung ihrer Nähe allerlei religiöse Handlungen, Gebote und Verbote, Aufzüge und Opferschmäuse; wieder knüpfte sich an den Gedanken, daß die hülfreichen Gewalten dem Hülfesuchenden näher als sonst seien, der verschiedenste Zauber.

Das Christentum hat diese Gebräuche nicht ausrotten, nur verwandeln können, und dasselbe war der Fall mit den Gestalten der Götter, die mit ihnen verehrt wurden. Jene sind aus symbolischen Handlungen religiöser Natur zu bloßen Lustbarkeiten, mehr oder minder inhaltslosen Possen diese, wo sie sich nicht in Heilige umgestalteten, zu Gespenstern oder Fratzenbildern geworden. Die Feste nahmen andere Namen an, die Ernteschmäuse des Spätherbstes hießen jetzt Kirmsen, das Julfest, die Feier der Wintersonnenwende wurde zum Weihnachts- und Neujahrsfest, die Feier des neuen Sonnenscheins, der sich mit der Geburt Christi über die Welt ergossen hatte, aber eine Menge von Sitten, abergläubischen Meinungen und zauberischen Handlungen blieben bestehen als Denkzeichen daran, daß sowohl die Adventszeit wie die der Zwölf heiligen Nächte einst anderen himmlischen Gewalten geweiht gewesen waren als jetzt.

Der „Schimmelreiter“, eine Mummerei, die bei den Kirmsen verschiedener Gegenden Norddeutschlands und Schlesiens aufgeführt wird, ist nichts Anderes als der alte Gott Wuotan der „Bär“, welcher ihn begleitet, der Eber Fro’s (Bär heißt im Plattdeutschen das männliche Schwein), der „Klapperbock“, der in Pommern in seinem Gefolge ist, das Attribut Donar’s. Der heilige Martin und der fromme Bischof Nicolaus sind ebenfalls nichts als ehemalige Götter. Welches Kind im Meißnischen und Brandenburgischen, in Niederschlesien und Thüringen endlich hätte nicht die Bekanntschaft des „Knechts Ruprecht“ gemacht, der in den Wochen vor Weihnachten von Haus zu Haus geht, um brummend zu fragen, ob die Kleinen gefolgt haben, und zuletzt aus seinem Sacke Aepfel und Nüsse unter sie zu werfen? Ruprecht, Hruodperaht (Ruhmespracht), war ein Beiname Wuotan’s, des stolzen Götterkönigs, der hier freilich von seinem sturmschnellen Rosse gestiegen ist, statt des flatternden Wolkenmantels einen Zottelpelz trägt, statt des Schwertes die Ruthe schwingt und als bloße Kinderscheuche vor uns steht.

Ganz ebenso wie von der heidnischen Feier der Erntezeit haben sich auch von den Sitten und Vorstellungen, die sich mit dem Julfeste der alten Germanen ausbildeten, eine große Anzahl bis nahe an die Gegenwart und in manchen Gegenden bis in diese hinein erhalten. Dieses Fest war, wie bemerkt, einer der beiden höchsten Feiertage unserer Urväter oder vielmehr ein ganzer Kreis von Feiertagen. Die ganze Periode von der Stunde an, wo die Sonne dem Anscheine nach ihren Wendepunkt erreicht, bis zu der, wo sie nach dem Volksglauben wieder vorwärts rückt, in der einen Gegend die „zwölf Nächte“, in der anderen einfach die „Zwölften“, wieder anderswo die „Rauhnächte“ oder die „Loostage“ genannt, war geheiligt. Während derselben hielt man sich möglichst still, ruhten die Ackergeräthe, die Spindeln und die Waffen. Man brachte den Ueberirdischen Opfer, besprengte die Wohnungen um Mitternacht mit Wasser aus heiligen Quellen zündete Feuer zu Ehren der Götter an oder rollte brennende Räder, das Symbol der Sonne, nach welchem das Fest (Jul gleich Rad) seinen Namen bekommen hatte, von Anhöhen herab. Bei den Festschmäusen spielte ein Schweinskopf die Hauptrolle; bei den daran sich schließenden Trinkgelagen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 851. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_851.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2019)