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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Huzelbrod, in den Neujahrskuchen, die man zu Neujahr im Bergischen bäckt, in den Christstollen Mitteldeutschlands, in den Pfeffernüssen in Mecklenburg und Pommern, in den Knödeln mit Heringen, die im Saalfeldischen nothwendige Sylvesterspeise sind, in dem Hirsebrei, den man in Dresden in Häusern von altem Schrot und Korn am Neujahrstage zu essen pflegt, damit es im begonnenen Jahre nicht an Gelde fehlt, mit ziemlicher Bestimmtheit vermuthen. Andererseits aber giebt es auch Gerichte, die in den Zwölften nicht genossen werden dürfen, und zwar gehören hierher Erbsen, Linsen und Bohnen. Wer dieselben in dieser Zeit dennoch genießt, bekommt, wenn der Aberglaube der Rockenphilosophie Recht hat, Krätze, Schwäre und Ungeziefer.

Wie bei den Festen der Erntezeit, deren Nachklänge sich jetzt um Martini und andere Tage des Spätherbstes gruppiren, so stellten sich in den Nächten des Mittwinterfestes die Götter ein, bald in milder, freundlicher Gestalt, bald nach ihrer erhabenen oder furchtbaren Seite, und auch hiervon zeigen die Tage der Zwölften deutliche Spuren. Ruprecht und Frau Holle sind bereits erwähnt worden. Jetzt treffen wir in dem alten Tübingen das Attribut Fro’s, des Gottes der Fruchtbarkeit, als weißes Schwein, welches in der Geisterstunde der Christnacht aus dem Kornhause an der Ammer die Marktgasse entlang bis an die krumme Brücke lief und dann verschwand. Der Böse ferner, der in verschiedenen Gegenden denen, die ihn citiren, erscheint, um ihnen Freikugeln, Farnsamen, stets schneidende Sensen und dergleichen zu geben, wird schwerlich ein Anderer sein, als Wuotan der „Wunschverleiher“, von der Kirche zum Teufel verwandelt.

Ganz vorzüglich aber gehört in diesen Zusammenhang der Umzug des „wilden Heeres“, welches in Westfalen gewisse Landstriche als „wilder Jäger“, „Buddejäger“, „Jäger Jap“ oder „engelske Jagd“ unsicher macht, und in Schwaben schon durch die Bezeichnung „Muotisheer“ oder „Wuotesheer“ als der Heereszug desjenigen Gottes bezeugt ist, welchem das Julfest in Deutschland vor Allem gegolten zu haben scheint. Bald als riesenhafter Reiter auf einem Schimmel, bald als rasselnder Wagen, bald als langer Gespensterzug braust schwäbischer Sage zufolge in der Weihnachtszeit und zu Neujahr dieser grausenvolle Spuk über das Land hin. Er hat seine bestimmten Wege, in Immenhausen und Pfullingen die Heergasse, in Undingen die Muotesgasse. Bisweilen läßt das wilde Heer eine wohlklingende Musik, auch Gesang von vielen hundert Stimmen hören. Ein gewaltiger Sturmwind saust vor ihm her. Kommt es einem im Freien entgegen, so thut man, um sich vor Gefahr zu sichern am besten, sich mit dem Gesicht auf den Boden zu legen, den Kopf zwischen ein Wagenrad zu stecken oder in ein Fahrgeleis zu treten. In Wurzacherried hörte es ein Hirtenknabe hoch in den Lüften kommen, wie wenn Hunderte von Kuhschellen läuteten. Bald war es wunderschöne Wolkenmusik, bald fürchterliches Lärmen. Klostermägde von Maria-Kirchheim im Ries gingen einmal noch spät Abends in’s Baierische hinüber, wo sie etwas auszurichten hatten. Auf einmal hörten sie ein Toben, Sausen und Brausen, Pfeifen, Geigen und Gesang. Die Mädchen legten sich augenblicklich in Gräben wobei sie die Arme kreuzweise über die Brust schlugen. Eine aber fand nicht schnell genug Platz, und so wurde sie von dem wilden Heere ergriffen und zwei Stunden weit durch die Lüfte mit fortgeschleppt, bis die Unholden sie bei einem Brunnen fallen ließen, wo ihre Gefährtinnen sie später bewußtlos auffanden. Bei Huldstetten muß man, wenn das „Muodersheer“ im Anzuge ist, die Augen schließen, weil man sonst erblindet, auch reitet ihm hier ein Mann auf einem weißen Pferde voraus, der auf einem Horne bläst und die Leute durch den Ruf: „Aus dem Wege! Aus dem Wege!“ warnt, und welchen man schlechtweg den „Schimmelreiter“ nennt.

Der wilden Jäger aber oder das wüthende Heer ist Niemand anders, als der zu einem Gespenste gewordene alte Heidengott Wuotan mit der Schaar der nach Walhalla geladenen Helden, der an seinem Feste durch die Lande zieht. Wäre daran noch ein Zweifel gestattet, so müßte er bei der Betrachtung des Umstandes schwinden, daß der Anführer des Geisterzuges in einigen Landstrichen geradezu der „Breithut“ heißt, was dem Beinamen „Sidhöttr“ entspricht, den Odhin, der skandinavische Wuotan, in der Edda führt.



Miterlebtes.
Eine einfache Weihnachtsgeschichte von W. Marr.

Unvorhergesehene Geschäfte hielten mich um die Weihnachtszeit des Jahres 186* in der Stadt B. zurück. Statt das fröhliche Fest im Kreise meiner Familie und Verwandten zu begehen, hätte ich den „Heiligen Abend“ im Hôtel oder am Speisetische einer Restauration verbringen müssen, wenn mein alter Freund, der Justizrath Brömsel, nicht so freundlich gewesen wäre, mich zu bitten, der Christbescheerung seiner drei Kinder in seiner Wohnung beizuwohnen. Es waren drei prächtige muntere Kinder, zwei Knaben und ein Mädchen – die Jungen wild wie zwei kleine Teufel, das Mädchen mild und sanft wie ein kleiner Engel. Die Mutter – –

Als mich Brömsel in meinem Hôtel aufsuchte – er hatte meine Ankunft zufällig erfahren und meinen Besuch nicht abgewartet – erschrak ich über das Aussehen des sonst so kräftigen Mannes. Die hohe Gestalt war gebeugt; das volle dunkle Haar war grau gemischt geworden. Er glich einem Menschen, der zum ersten Male nach einem hitzigen Nervenfieber das Lager wieder verlassen hat. Gekleidet war er schwarz von oben bis unten.

„Meine Frau ist todt,“ sprach er mit dumpfer Stimme, als er mein Erstaunen über die mit ihm vorgegangene Veränderung bemerkte, und ließ sich in einen Sessel fallen.

Die Erklärung kam so plötzlich, so unerwartet, daß sie mir jedes Wort des Beileids abschnitt.

Ich hatte Henriette gekannt. Sie war eine Landsmännin von mir, eine Hamburgerin. Seit acht Jahren mit dem Justizrath verheirathet, lebte sie in B. mit ihm in der glücklichsten Ehe, die man sich nur denken kann. Beide waren wie für einander geschaffen. Er ein hochgebildeter, idealer Mann, sie eine feinangelegte und dabei praktische, resolute, kleine Frau. Führte mich, was fast alljährlich geschah, mein Weg durch B., so versäumte ich nie, einen Abend im Familienkreise dieser glücklichen Menschen zuzubringen. Und drückte ich ihnen beim Abschiede die Hände, so geschah dies so derb und kräftig, wie nur der Neid die Hände drücken kann.

„Meine Frau ist todt,“ wiederholte Brömsel.

Ich näherte mich ihm und legte die Hand auf seine Schulter.

„Armer Junge“, sprach ich erschüttert, „erlaß’ mir Worte!“

Brömsel holte tief Athem. Seine Brust keuchte. Er schien das Bedürfniß zu fühlen, sich Luft zu machen, sich auszusprechen, aber er fand keine Worte.

„Sprich Dich aus, mein Junge!“ sagte ich.

„Henriette ist ertrunken,“ brach er aus und ein krampfhaftes Schluchzen erstickte seine Stimme.

„Ertrunken!“ rief ich erschrocken. „Um Gotteswillen, Mensch! Wie? Wo?!“

„Laß’ uns gehen!“ sagte Brömsel. „Zu Hause erzähle ich Dir das. Nicht hier! Nicht hier!“

Wir nahmen eine Droschke und fuhren, schweigend neben einander sitzend, in die Vorstadt hinaus, wo mein Freund ein reizendes Gartenhaus bewohnte.

Der Schnee fiel in dichten, schweren Flocken auf die Erde nieder und dämpfte das Rasseln der Wagenräder. Es war ein Wetter, wie zum „Spleen“ gemacht. Ein echtes „Weihnachtswetter“ ohne die Freude der Weihnacht, die uns im warmen Zimmer den griesgrämigen Decemberhimmel vergessen läßt.

Die Kinder lärmten die Treppe herab uns entgegen, als wir ausgestiegen waren. Es war ein fröhliches, erwartungsvolles Jauchzen. Sie umringten uns. Die Knaben versuchten, an uns heraufzuklettern, das Mädchen zerrte uns an den Händen.

„Gretchen wollte durch das Schlüsselloch sehen,“ rief der eine Knabe.

„Das ist nicht wahr, Eugen,“ rief das Kind zurück, „Curt wollte es.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 853. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_853.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2017)