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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Mutter zugesagt, sich ohne weiteres Sträuben in Alles fügen und ihr Schicksal als unabwendbar hinnehmen zu wollen, die Mutter hatte ja auch in Allem, was sie gesagt, Recht gehabt; das hatte sie einräumen müssen, wenn es auch schrecklich war, daß sie Recht hatte. „Uffeln hat nun einmal sein Herz an Dich verloren und wirbt um Deine Hand,“ hatte die Mutter gesagt, „und wenn Du ihn abweisest, so wird ein ganz unerträgliches Verhältniß zwischen ihm und uns entstehen. Durch unsern gemeinsamen Besitz sind wir nun einmal in die engste Beziehung zu Uffeln gerathen, die uns sofort, wenn Zwiespalt und übler Wille an die Stelle der Freundschaft und des Vertrauens treten, das Leben zur Hölle machen muß. Uffeln wird, wenn Du ihm einen Korb giebst, unser Haus verlassen und vielleicht zum Rentmeister Fäustelmann drüben ziehen; der Rentmeister, der nicht zwei Herren dienen kann, wird sich auf die Seite des Einen schlagen, und ich traue Fäustelmann wohl zu, daß er sich nicht auf unsere, sondern auf die Uffeln’s schlägt, weil dieser in allen Dingen noch mehr auf ihn hören wird, wie – oft vielleicht zu viel – Dein Vater schon thut. Denke Dir doch das für immer verbitterte Leben, welches Du Deinen Eltern bereitest, wenn Du Uffeln von der Hand weisest – gar nicht davon zu reden, daß von unserem Reisen dann keine Rede sein kann. Uffeln ist so großmüthig gewesen, das Geld, das für ihn aufbewahrt ist und baar für ihn daliegt, dazu zur Disposition zu stellen. Können wir es anders annehmen, als wenn Du seine Braut bist? Und wenn nicht, was soll aus Deiner Gesundheit werden, was aus Deinem beschäftigungslos hier im Hause umhergehenden Vater, mit der bösen Neigung, die diese Beschäftigungslosigkeit in ihm geweckt hat und immer mehr nährt? Ich denke, das Alles mußt Du doch selbst einsehen und wirst mir nicht mehr mit Einwürfen kommen, die kindisch und albern sind, mit einer Neigung für diesen Günther, der ein recht herzlich schlechter Mensch wäre, wenn er nicht längst alle Hoffnungen auf Dich hätte fahren lassen; er kennt ja unsere Verhältnisse, und wenn er hier wäre, würde er Dir selbst sagen: ‚Ihre Mutter hat Recht. Es giebt nur einen Weg, den Sie um Ihrer selbst und um Ihrer Eltern willen gehen können.‘“

Mit solchen wuchtigen Keulenschlägen der Vernunft und der Logik hatte Frau von Mansdorf heute den letzten Widerstand ihrer Tochter gebrochen, und Adelheid war verstummt. Sie hatte sich darein ergeben, das Opfer der Verhältnisse zu werden, aber mit dem bestimmten Vorgefühl, daß es sich um ein noch größere Opfer, als das ihrer Neigung, daß es sich um das ihres Lebens handle, daß sie sterben werde, ehe sie das Weib Uffeln’s geworden, und mit dem Gefühl, daß darin ihre Rettung vor etwas ganz Schrecklichem liege, war ihr der Wunsch gekommen, diese Rettung sei schon da, und der Tod habe sie erlöst.

So saß sie jetzt in namenlosen Jammer versunken schweigend neben ihrer Mutter; sie kämpfte gegen den Ausbruch ihrer Thränen an, und um diese zu bemeistern, rief sie alle ihre Willenskraft auf; sie wollte nun einmal vor den fremden Menschen nicht zeigen, wie unglücklich sie sei, und ihr Vater sollte es nicht sehen – er sollte es niemals ahnen, wie es ihr das Herz abstieß, und wenn sie daran gestorben war, dann sollte er wenigstens nicht an ihrem Grabe stehen und sich Vorwürfe machen und durch Kummer und Reue seine letzten Lebenstage verbittert fühlen; das sollte er nun und nimmermehr, und ihr fest darauf gerichteter Wille hielt sie jetzt aufrecht.

Der Frau von Mansdorf Ankündigung aber rief bei Allen natürlich die lebhaftesten Glückwünsche hervor.

„Das ist eine vortreffliche Kunde, die Sie uns da geben, gnädige Frau,“ rief der Oberförster aus, „und gewiß ist wohl seit Jahren kein Paar zusammen gekommen, welches so sich zu einander geschickt und für einander gepaßt hätte.“

„Sie haben Recht, Oberförster,“ sagte jetzt Herr von Mansdorf, „es ist eine Verlobung, die schon deshalb die Eltern erfreuen muß, weil sie ihnen das seltene Glück gewährt, ihre Tochter, ihr theueres, ihnen an’s Herz gewachsenes Kind nicht aus dem Vaterhause fortziehen zu sehen, es nicht fortgeben zu müssen an eine ihnen fremde Welt.“

„Das ist in der That das Beste bei diesem Verlöbniß,“ sagte mit einer großen Kaltblütigkeit der Justitiar Plümer. Er nahm dabei den wehmuthsvollen Blick nicht wahr, den ihm mit langsamem Augenaufschlag Adelheid zuwarf. Daß er, Adolf’s nächster Verwandter, ihre Verlobung auch so trocken und kaltblütig billigen konnte, kam ihr wie ein Verrath vor, und es war ihr, als sei sie nun von Allen auf der Welt verlassen.

„Trinken wir denn,“ bemerkte jetzt Herr Fäustelmann, sein Glas ergreifend, – Herr von Uffeln, der sich während des Abends schweigend und stille gehalten, hatte in weiser Voraussicht eben die Gläser neu gefüllt – „trinken wir denn die Gesundheit des jungen Brautpaares und unserer gnädigen Herrschaft!“

Die Männer erhoben sich auf diesen Vorschlag Fäustelmann’s und erfaßten die Gläser, und der Oberförster rief mit seiner sonoren und vollen Baßstimme laut aus:

„Also es lebe das Brautpaar! Herrn von Uffeln und Fräulein Adelheid ein Hoch! Möge Beider Glück so groß und ungetrübt sein, wie es in diesem irdischen von so viel Wechselfällen bedrohten Leben möglich ist, so dauernd, wie wir Alle es ihnen aus voller Seele wünschen!“

„Das walte Gott!“ sprach mit vor Rührung zitternder Stimme Herr von Mansdorf, dem leicht bei solchen auf sein Gemüth wirkenden Anlässen die Thränen in die Augen traten und der mit dem Taschentuche über die Augen fahren mußte, bevor er sein gefülltes Glas mit dem Glase seines künftigen Eidams zusammenklingen lassen konnte, „das walte Gott!“

„Meine Herren,“ entgegnete, nachdem Alle mit ihm angestoßen hatten, Herr von Uffeln, „um auf so herzliche Wünsche zu antworten und auszudrücken, wie dankbar sie mich Ihnen machen, bin ich leider ein zu schlechter Redner. Ich …“

„Halten Sie einen Augenblick ein!“ unterbrach ihn hier Frau von Mansdorf, indem sie die Hand ausstreckte und leicht auf seinen Arm legte, „es kommt Jemand.“

Uffeln schwieg und blickte auf. Auch die Blicke der Uebrigen wandten sich der fremden Erscheinung zu, die so gerade im unrechten Augenblicke eben von dem Thore her über den Kiespfad rasch herangeschritten kam und geraden Weges auf die Gesellschaft im Thurmwinkel zuging.

„Wer ist das?“ fragte Herr von Mansdorf geärgert, „wer – aber Herr von Uffeln, was haben Sie – kennen Sie ihn?“

Dieser Ausruf wurde durch den Umstand veranlaßt, daß das gefüllte Glas des Herrn von Uffeln sich so plötzlich schwankend senkte, daß der Wein auf den Tisch überfloß. Ebenso plötzlich überzog eine fahle Todtenblässe sein Gesicht, während der Fremde herantrat, eine leichte Verbeugung machte und dann mit einem eigenthümlichen Blicke, unter breiten halbgeschlossenen Lidern her, wie prüfend die Gesellschaft überschaute. Diese starrte wieder auf die fremde Erscheinung, die so imponirend, wie mit einem hochmüthigen Lächeln auf den Lippen vor dem Epheubogen des Thurmwinkels dastand, von dem letzten auf den Vorgebäuden liegenden Sonnenreflexe hell beschienen. Nur Frau von Mansdorf hatte, durch ihres Mannes Ausrufe abgelenkt, ihre Augen auf Uffeln gerichtet und sah erschrocken, daß dieser wie einer Ohnmacht nahe auf seinem Sessel zusammengebrochen war und starrte, als ob er eine Vision sähe.

„Uffeln, wird Ihnen unwohl? Was ist, was haben Sie, Uffeln?“ rief sie laut aus.

Die Antwort gab der Fremde. Mit einer merkwürdigen Ruhe im Klang der Stimme sagte er:

„Was Herr von Uffeln hat? Er sieht seinen Doppelgänger.“




9.

Prinzessin Elisabeth stand am andern Tage in der Nähe des Schlosses vor einem kleinen im Parke angelegten Rehgehege und fütterte die drei zierlichen Thiere, welche darin gehalten wurden und für deren Pflege zu sorgen sie übernommen hatte. Heute reichte sie ihnen die Kohlblätter, welche sie ihnen mitgebracht hatte, lässig hin und schaute, zerstreut in die braunen glänzenden Augen, welche die Thiere, sich zuthulich an sie schmiegend, auf sie richteten; zerstreut fuhr sie mit der weißen Hand über ihre Rücken, schob sie dann plötzlich heftig von sich und verließ sie, ohne ihnen weiter einen Blick zu gönnen. Sie ging jetzt nachdenklich unter der Platanengruppe, die in der Nähe stand, auf und ab und machte sich ein Spiel daraus, jedesmal auf eines der gelben Blätter, die bereits ziemlich zahlreich

und doch noch vereinzelt am Boden lagen, zu treten. Und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 862. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_862.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)