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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

„Bitte, lassen Sie jetzt das gut sein, Jungfer Suse!“ sagte der Commerzienrath in sehr höflichem Tone. „Das Reiben auf dem wackeligen Tische macht ein nervenangreifendes Geräusch. Doctor Bruck wünscht in erster Linie Ruhe für den Papa.“

Jungfer Suse packte schleunigst Wischtuch und Kehrbesen zusammen und ging hinaus, um sich in ihrer blitzblanken Küche über die nassen Reste auf dem Eßtische zu beruhigen. Es war nun still geworden, so geräuschlos, wie es eben in der Schloßmühlenstube sein konnte. Durch den Fußboden lief unausgesetzt jenes leise, tactmäßige Schüttern, das von der Räderarbeit im Mühlenraume ausgeht; über das Wehr drüben stürzten die zerstäubenden Wasser in ewiger Wiederholung ihrer beschränkten Rauschmelodie, und dazwischen rucksten die Tauben und kamen plump gegen die Fensterscheiben geflattert aus den uralten, riesenhaft ausgebreiteten Kastanienwipfeln, in denen sie nisteten, und die von der Abendseite her einen Dämmerschein in die Schloßmühlenstube warfen. Jenes Lärmgemisch aber existirte nicht für den Kranken – es gehörte so unbewußt zu seinem Leben und Behagen, wie die Luft, wie der regelmäßige Tactschlag seines Herzens. –

Was war doch das für ein abstoßendes Greisengesicht, das der elegante Mann am Bette versprochenermaßen mit den Augen hütete! Nie war ihm das Ordinäre des Ausdrucks, nie der Zug von Härte und gemeiner Grobheit, der sich in tiefer Krümmung um die dicke, hängende Unterlippe zog, so widerwärtig aufgefallen wie in diesem Augenblicke, wo der Schlaf oder die Erschöpfung den Willen aufhob und den äußern Charakterstempel in die ursprünglichen Linien rückte. … Nun ja, der Alte hatte auch tief unten angefangen; er war bei Beginn seiner Laufbahn Müllerknecht gewesen; aber jetzt war er ein Mann, dem der Getreidehandel Unsummen in den Schooß geworfen – er war ein Träger der Geldmacht, der da auf dem bäuerisch altväterischen Bettgestelle lag, und vielleicht auch ein wenig in Rücksicht auf diese imponirende Thatsache nannte ihn der Commerzienrath respectvoll und zuvorkommend „Papa“; denn in Wirklichkeit knüpfte sie nicht ein Tropfen gemeinsamen Blutes an einander. Der verstorbene Banquier Mangold, mit dessen ältester Tochter erster Ehe der Commerzienrath vermählt gewesen, hatte als zweite Frau die Schloßmüllerstochter heimgeführt – das war das verwandtschaftliche Verhältniß zwischen dem Kranken und seinem Pfleger.

Der Commerzienrath erhob sich und trat leise vom Bette weg an eines der Fenster. Er war ein jugendlich rascher Mann, den das Stillsitzen und ängstliche Beobachten nervös machten; es widerstrebte ihm, fortgesetzt das unsympathische Antlitz und die geballten, knotigen, tief in die Bettdecke gewühlten Fäuste anzusehen, die einst die Peitsche über den Müllerpferden geschwungen hatten. Die letzte Kastanie vor dem Fenster, an welchem er stand, hatte längst die Blätter abgeworfen; jede Rundung, jedes Viereck, welches die kahlen, in einander geschlungenen Aeste formten, wurde zum Rahmen kleiner Landschaftsbilder, eines lieblicher als das andere, wenn auch im Augenblicke der düstere Decemberhimmel das Silberlicht der Teichspiegel dämpfte und mit seiner nassen Wolkenschleppe die duftige Veilchenbläue[WS 1] der fernen Berggipfel häßlich verwusch.

Dort rechts, nachdem er die Räder der Schloßmühle gedreht, machte der Fluß eine starke Krümmung; ein kleines Medaillon der Aeste seitwärts umschloß ein Stückchen seines funkelnden Streifens und zugleich ein Menschenwerk, dem er abermals dienen mußte – ein mächtiger Bau in Würfelform, ein ungeschmückter Steinkoloß, über den die Fensterreihen wie einförmige Perlenschnüre hinliefen, stand es in häßlicher Nüchternheit am Ufer. Das war die Spinnerei des Commerzienrathes. Auch er war ein reicher Mann; er beschäftigte Hunderte von Arbeitern dort zwischen den kreisenden Spindeln, aber dieses sein Eigenthum brachte ihn in eine gewissermaßen abhängige Beziehung zu dem Schloßmüller. Die Mühle, vor Jahrhunderten vom Landesherrn erbaut, war mit unglaublichen Privilegien ausgestattet worden, die, noch heute in Kraft, eine bedeutende Strecke des Flusses beherrschten und den Anwohnern das Leben sauer genug machten. Und auf diesen verbrieften Rechten stand der Schloßmüller mit seinen breiten Füßen und wies Jedem die Zähne, der auch nur mit einer Fingerspitze daran zu rühren wagte. Anfangs nur Pächter, hatte er allmählich und unmerklich die Fangarme seines wachsenden Reichthums ausgestreckt, bis er nicht allein Besitzer der Mühle, sondern auch des Rittergutes selbst geworden war, zu welchem sie gehörte. Und das hatte er durchgesetzt kurz vor der Verheirathung seines einzigen Kindes mit dem angesehenen Banquier Mangold. Für ihn selbst hatten nur der ausgedehnte Waldbesitz und die Ländereien Werth gehabt; die dazu gehörige prächtige Villa inmitten eines stattlichen Parkes war ihm zu allen Zeiten ein Gräuel gewesen; nichtsdestoweniger hatte er bereitwillig „die kostbare Spielerei“ im Stande erhalten, weil er ja seine Tochter als Herrin da schalten und walten sehen durfte, wo die ehemaligen hochmüthigen Besitzer consequent vergessen hatten, seinen Gruß zu erwidern. Jetzt war der Commerzienrath Miether der Villa; es lagen somit die ausgiebigsten Gründe vor, in gutem Einvernehmen mit dem Flußbeherrscher und Hauswirthe zu verbleiben, und das geschah – der Commerzienrath stand wie ein fügsamer Sohn zu dem mürrischen Alten.

Von der Thurmuhr des Fabrikgebäudes schollen vier Schläge herüber, und hinter den hohen Scheiben des Comptoirs schlugen zugleich die Gasflammen auf; es wurde heute sehr früh dämmerig; jener feuchte Dampf, der Schnee bringt, füllte allmählich die Luft und machte den Essenrauch von der Stadt her träge über die Erde hinkriechen, während das Schieferdach der Spinnerei, jede Thürstufe und jeder Kieselstein den schlüpfrigen Glanz intensiver Nässe annahmen. Die Tauben, die noch geduldig, dick und faul neben einander auf den Kastanien hockten, verließen plötzlich die triefenden Aeste und flogen nach dem warmen, trockenen Schlage. Fröstelnd sah der Commerzienrath in die Stube zurück. Fast kam sie ihm behaglich und anheimelnd vor, die den verwöhnten Mann sonst stets anwiderte mit ihrer von Speiseresten erfüllten Luft, mit ihren verräucherten Tapeten und den berüchtigten Neuruppiner Bilderbogen an den Wänden, aber eben legte Jungfer Suse draußen frisches Scheitholz in das Ofenfeuer; das altväterische Sopha mit den dicken, weichen Federkissen stand so warm und bequem an der Wand, und auf den blankgeputzten Scheiben der Alkoventhür blinkte das letzte Restchen des falben Tageslichtes – ah, hinter dieser Alkoventhür stand der eiserne Geldspind – hatte er vorhin auch den Schlüssel abgezogen?

Kurz vor der Operation hatte der Schloßmüller sein Testament gemacht; die Gerichtspersonen und Zeugen waren dem Doctor Bruck und dem Commerzienrath noch auf der Treppe begegnet. Wenn er auch äußerlich bei guter Fassung war, mußte es doch im Innern des Patienten heftig gestürmt haben; jedenfalls war seine Hand beim Wegräumen der benöthigten Documente unstät und hastig gewesen, denn ein Papier war auf dem Tische liegen geblieben. Er hatte übrigens im letzten Augenblicke vor der Entscheidung das Versehen noch bemerkt und den Commerzienrath gebeten, das Schriftstück schleunigst im Schranke zu verschließen. Aus dem Alkoven führte noch eine zweite Thür nach dem Vorsaal, und es verkehrten viele fremde Leute in der Mühle; erschreckt trat der Commerzienrath in das schmale Stübchen; er war unverzeihlich leichtsinnig gewesen – die Schrankthür stand offen; wenn das der Alte gesehen hätte, der seinen Geldschrank wie ein Drache hütete! Es konnte wohl Niemand das Zimmer betreten haben, sagte sich der Commerzienrath zu seiner Beruhigung; selbst das leiseste Geräusch wäre ihm ja nicht entgangen, aber überzeugen mußte er sich dennoch, ob noch Alles in Ordnung.

Er schlug den eisernen Thürflügel möglichst lautlos zurück – sie standen sichtlich unberührt, die Geldsäcke, das silberschwere Piedestal des ehemaligen Müllerknechtes, und neben den Stößen von Werthpapieren thürmten sich in blinkenden Säulchen die Goldstücke aufeinander. Sein bewundernder Blick flog hastig über das Schriftstück, das er vorhin in Folge leichtbegreiflicher Spannung und Erregtheit allzuflüchtig in eines der musterhaft geordneten Fächer geworfen hatte – es war das Verzeichniß des Gesammt-Besitzthums. Welche imponirende Summen reihten sich da an einander! Sorgsam schob er das Papier auf die anderen Documente; dabei aber geschah es, daß er eines der Goldröllchen umstieß – klirrend rollte eine Anzahl Napoleonsd’or auf die Dielen nieder. Wie abscheulich das klang! Es war fremdes Geld, das er berührt hatte! Schrecken und eine an sich ungerechtfertigte Scham trieben ihm das Blut in das Gesicht;

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Veichenbläue
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_002.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)