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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

herabreichen, sowie den kegel- oder pyramidenförmig zugespitzten Kopf mit weit vorstehender Schnauze. Die Höhe des erwachsenen Orang-Utan beträgt bis 1,4 Meter, die Klafterbreite der Arme jedoch 2,4 Meter. Der Leib ist plump gebaut; der Bauch tritt stark hervor; der kurze Hals trägt vorn eine kropfartige Erweiterung, weil das Thier einen Kehlsack besitzt, welcher aufgeblasen werden kann. An den langen Gliedmaßen sitzen auch lange Hände und Füße, Finger und Zehen; die Daumenzehen tragen nicht immer platte, sondern oft krallenartig gewölbte Nägel. Das Gesicht ist häßlich, die Nase gänzlich flach gedrückt, die Nasenscheidewand weit über die Nasenflügel hinaus verlängert; die Lippen sind unschön, weil nicht allein gerunzelt, sondern auch etwas aufgeschwollen und aufgetrieben, Augen und Ohren klein, aber denen des Menschen ähnlich gebildet. In dem furchtbaren Gebisse treten die Eckzähne stark hervor und vermehren noch das Schnauzenhafte des Kinntheiles, welcher, des den Oberkiefer an Länge übertreffenden Unterkiefers halber, ohnehin weit vorgeschoben ist. Die Behaarung entwickelt sich im Gesichte bartähnlich und bildet zu beiden Seiten einen reichen Behang, deckt aber nur spärlich den Rücken und bekleidet dünn die Brust. Der Strich richtet sich auf dem Schädel, an dem Kinne und dem Unterarme nach aufwärts, übrigens abwärts; ihre Färbung ist ein dunkles Rost- oder Braunroth, welches auf Rücken und Schultern düsterer, am Bauche aber heller wird. Gesicht und Handflächen, Brust und Oberseite der Finger sind nackt und bläulich oder schiefergrau gefärbt. Alte Männchen unterscheiden sich von dem Weibchen durch bedeutendere Größe, dickeres und längeres Haar, reichlicheren Bart und eigenthümliche Schwielen oder Hautlappen an den Wangen, welche sich halbmondförmig von den Augen nach den Ohren hin und zum Unterkiefer herabziehen und das Gesicht auffallend verhäßlichen. Junge Thiere sind bartlos, jedoch nicht minder unschön als die Alten.

Das Verbreitungsgebiet des Orang-Utan beschränkt sich auf die Sundainseln Sumatra und Borneo.

Soviel zur äußerlichen Kennzeichnung unserer Thiere, deren Leben und Sein, Wesen und Treiben, deren Kampf um das Dasein und deren Verhältniß zu dem Menschen die nächsten Abschnitte behandeln werden.




Der Spiritismus,

eine geistige Verirrung unserer Zeit.
Von Dr. S. Th. Stein.
(Schluß.)
Sophie, die Somnambule, und Madame de B. – Krampfzustände und Hypnotismus: hypnotisirte Hühner und Menschen. – Die kleine Pariser Knopflochnäherin. – Die Mönche vom Berge Athos und die indischen Fakire als Zeugen des Hypnotismus. – Spiritistische Verirrungen bei sonst bedeutenden Männern. – Pflichten der Sanitätsbehörden gegenüber dem Spiritismus.

Auf dem Congresse zu Brüssel, über welchen wir in unserem ersten Artikel berichteten, waren noch andere merkwürdige Experimente zu schauen. Unter Anderem bat eine Somnambule während der Verhandlungen um’s Wort. Mademoiselle Sophie erhielt die Erlaubniß, zu sprechen. Sie erhob sich und erklärte, daß sie soeben einen Blick in die lichten Höhen gethan und die Aufforderung erhalten habe, die in sie gefahrene Kraft auszuüben. Der Präsident gestattete ihr ein freies Walten; sie erhob sich; mit geschlossenen Augen wanderte sie in die Mitte der Capelle und blieb vor einer Dame stehen, welche sich sofort in Positur setzte. Die Dame, Madame de B..........., wurde nun von der begeisterten Seherin, welche die Augen geschlossen hielt, einige Male mit den Händen bestrichen, worauf sie plötzlich in einen kataleptischen Krampfanfall verfiel, die Augen weit aufsperrte, an die Decke des Saales stierte und während einer Zeit von dreiundzwanzig Minuten regungslos, gleich einer Marmorstatue, festgebannt blieb. Oft wurde sie während dieser Zeit, sowohl von dem Präsidenten, wie den anderen Mitgliedern befragt, ob die Geister, die sie umschweben, ihr nicht eine Mittheilung an den Congreß aufzutragen beliebten. Als sie immer nicht aus ihrem Zustande erwachen wollte, erklärte die in einem eigenthümlich zitternden Zustande befindliche Somnambule, daß sie überzeugt sei, die Geister verschlössen der Frau de B........... den Mund. Was that sie nun? Sie griff mit gekrallter Hand der Frau de B........... auf die Lippen und machte, indem sie die Geister mit ihrer einen Hand vom Munde gleichsam abwischte, mit der andern Hand einige wegwerfende Bewegungen. Sie hatte die sprachfesselnden Geister vom Munde gejagt. Da, auf einmal fing die Dame wieder an sich zu regen und sagte auf Befragen des Präsidenten mit scharfer, halblauter Stimme – es war halb zwei Uhr Nachmittags –: „die Geister wünschen, daß wir jetzt die Sitzung schließen.“ Sofort wurde denn auch die Sitzung geschlossen, und unsere soeben noch in kataleptischem Zustande befindlich gewesene Dame entfernte sich beruhigten Schrittes aus dem Sitzungssaale. Nach beendigter Sitzung wurden ähnliche Experimente noch an zwei Frauen ausgeführt.

Derartige in Krampfzustände überleitende Einwirkungen auf nervös reizbare Personen gehören durchaus nicht zu den Seltenheiten, kommen dem Arzte sehr oft zur Beobachtung und sind häufig in das Gebiet der hysterischen Krämpfe zu verweisen. Besonders wird durch vieles Lesen aufregender Romane und durch Vorkommnisse, wie wir sie in diesem Aufsatze geschildert, die weibliche Phantasie krankhaft erregt und in einen verderblichen Zustand der Empfindsamkeit und Reizbarkeit versetzt.

Mannigfach auftretende eigenthümliche Erscheinungen im Nervenleben des Menschen und der Thiere, die im Laufe der Zeiten sowohl von ärztlicher wie nichtärztlicher Seite beobachtet wurden, und für welche eine hinreichend exacte Erklärung nicht gefunden war, gaben Veranlassung zu Aberglauben und zur Annahme von Wundern. Die bei sensitiven Menschen durch irgend welchen bisher unbekannt gebliebenen Anlaß hervorgerufene krampfartige, mit absoluter Empfindungslosigkeit gepaarte Apathie ließ die Lehren vom Somnambulismus, von der Hellseherei, von dem thierischen Magnetismus entstehen, und daraus erst entwickelte sich die Geisterseherei in ihrer heutigen Gestalt. Wenn auch mit den schärfsten Beweisen der Logik negativ gegen jenen Unsinn angekämpft wurde, so fehlt doch bis jetzt der positive naturwissenschaftlich-mathematische Beweis wider jene Irrlehren.

Vor einigen Jahren hat ein der Wissenschaft leider allzu früh durch den Tod entrissener Gelehrter, der Physiologe Johann Czermak, in diesen Blättern den Beweis geliefert, daß der sogenannte magnetische Einfluß auf einer Ermüdung der Gehirnnerven beruhe. Der schlafähnliche Zustand entwickele sich aus der Nervenabspannung, ein Zustand, welcher Schlafsucht, Hypnotismus, genannt wird. Czermak hat die bezüglichen beweisenden Experimente an Thieren versucht, indem er das Experiment der hypnotisirten Hühner vorführte. Diese Thiere verlieren ihr Bewußtsein und werden unempfindlich, wenn man sie zwingt, längere Zeit einen auf den Tisch gezogenen Kreidestrich zu fixiren. Professor Czermak hatte den Kreidestrich durch einfaches Vorhalten des Fingers vor den Schnabel der Thiere ersetzt, und auf diese Weise dieselben gezwungen, den Finger längere Zeit zu betrachten, wodurch ebenfalls der genannte Zustand hervorgerufen wurde.

Schreiber dieser Zeilen selbst hatte kürzlich Gelegenheit, ein ähnliches Experiment bei einem jungen Menschen zu beobachten. Es waren an einem gemüthlichen Abende mehrere Damen und Herren bei einer befreundeten Familie versammelt; man vertrieb sich die Zeit mit gesellschaftlichen Spielen, und, um der Unterhaltung eine belehrende Wendung zu geben, erbot ich mich, den Anwesenden das „magnetische“ Experiment mit dem Huhne vorzuführen. Wir ließen ein Huhn und ein Hühnchen bringen, und als Dritter im Bunde mußte ein Canarienvogel, welcher fröhlich sich in seinem Vogelbauer tummelte, herhalten. Die Experimente gelangen zum Staunen der Anwesenden; die Ansichten waren getheilt, ob Magnetismus oder Hypnotismus der Grund der Erscheinungen sei, und man forderte mich auf, dasselbe Experiment an einem der Anwesenden zu versuchen. Es waren mehrere eifrige Verfechter des Magnetismus zugegen, welche aus dem Erfolge, den das Experiment auf einen Menschen ausüben werde, einen Beweis für den thierischen Magnetismus herzuleiten sich bestrebten. Eine junge Dame setzte sich auf einen Sessel,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_048.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)