Seite:Die Gartenlaube (1876) 058.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Herr der Franz geworden ist!“ sagte sie mit unverkennbarer Ironie. „Von wem sprechen Sie denn? Sind Sie nicht selbst aus dem Volke? Und was waren Sie denn früher in der Schloßmühle? Ein Arbeiter, wie die Leute dort in der Spinnerei auch, ein Arbeiter, der schweigend manches Unrecht leiden mußte, wie ich sehr genau weiß.“

Dem Müller schoß das Blut in das bestäubte Gesicht. Er stand in sprachloser Verblüfftheit vor der jungen Dame, die ihm so kurz und bündig, so schlagend seinen Standpunkt bezeichnete. „Na, Fräulein, nichts für ungut! Es war nicht so böse gemeint,“ sagte er endlich und streckte ihr in unbeholfener Verlegenheit seine breite Hand hin.

„In Wirklichkeit sind Sie auch nicht so schlimm, aber Sie haben Glück gehabt und kehren nun den Schloßmühlenpächter heraus, der Geld in der Tasche hat,“ entgegnete sie und legte einen Augenblick ihre schlanke Hand in die seine, aber die kleine Falte des Unwillens auf ihrer Stirn glättete sich nicht so rasch wieder. Sie zog ein weißes Tuch aus der Tasche, schlug es um die Taube und knüpfte die vier Enden zusammen. „Ich werde Henrietten den kleinen Invaliden mitbringen,“ sagte sie, das Tuch wie ein Körbchen vorsichtig in die Hand nehmend – es sah aus, wie ein armseliges Reisebündelchen.

Der Doctor öffnete eine kleine Seitenthür in der Hofmauer, welche direct in den Park führte, und ließ die junge Dame voranschreiten. Draußen blieb sie wie eingewurzelt stehen. „Ich finde mich nicht zurecht,“ rief sie fast bestürzt und wandte sich wie hülflos nach ihm um. „Sieht es doch fast aus, als ob Riesenhände den Park durcheinander geschüttelt hätten. Was thun die Leute dort?“ Sie zeigte weit hinüber nach einer Erdvertiefung von gewaltigem Umfang, aus der die Köpfe zahlloser Arbeiter auftauchten.

„Sie graben einen Teich; die Frau Präsidentin liebt die Schwäne auf breitem Wasserspiegel.“

„Und was baut man da drüben, nach Süden hin?“

„Ein Palmenhaus.“

Sie sah nachdenklich vor sich hin. „Moritz muß sehr reich sein.“

„Man sagt es.“ Das klang so kühl und objectiv, als vermeide er absichtlich, seinen Antworten auch nur den leisesten Mitklang eigenen Urtheils zu geben. … Er war ein auffallender Mann, dieser Doctor Bruck; das sah sie jetzt so recht, wie er im rothfluthenden Abendlichte neben ihr stand. Es lag etwas von militärischer Strenge und Straffheit in seiner Haltung, während sein schönes, luftgebräuntes Gesicht mit dem weichgelockten Vollbarte nur die Züge sanftgemilderten Ernstes zeigte. Von Gedrücktsein oder Niedergeschlagenheit, die ein Mißgeschick wie das über ihn verhängte meist zur Folge hat, war in der ganzen Erscheinung nicht eine Spur zu finden. „Ich werde Sie führen,“ sagte er, als sie unschlüssig ihre Augen über das total veränderte Terrain schweifen ließ. Er reichte ihr seinen Arm, und sie legte unbedenklich ihre Hand darauf. So schritt Schwester Flora neben ihm. … wunderlich! Erst jetzt fiel ihr der Gedanke, daß sie in wenigen Minuten der ihr geistig so weit überlegenen Schwester gegenübertreten sollte, unbeschreiblich bang und schwer auf das Herz.

Sie blieb stehen und sagte nach einem tiefen Athemholen befangen lächelnd: „O ich Hasenfuß! Ich glaube gar, ich fürchte mich. – Ob ich wohl Flora gleich beim Eintreten begegnen werde?“

Sie sah, wie ihm das Blut jäh und dunkel in das Gesicht stieg. „So viel ich weiß, ist sie ausgefahren,“ antwortete er mit bedeckter Stimme, und gleich darauf setzte er, jeder neuen Frage vorbeugend, hinzu: „Sie werden das ganze Haus heute noch in einer gewissen Aufregung finden – der Fürst hat Moritz vor wenigen Tagen den Adel verliehen.“

Und das sagte er jetzt erst. „Wofür denn?“ stieß sie überrascht heraus.“

„Nun, er hat bedeutende Verdienste um die Hebung der Industrie im Lande,“ versetzte er so rasch und ernstlich, als gelte es, ein ungünstiges Urtheil abzuwenden. Dabei ist Moritz ein Mensch von großer Herzensgüte – er thut sehr viel für die Armen.“

Käthe schüttelte den Kopf. „Sein Glück macht mir Angst.“

„Sein Glück?“ wiederholte er betonend. „Es kommt darauf an, wie er selbst diese Wechselfälle ansieht.“

„O, ganz gewiß als etwas Beseligendes,“ antwortete sie entschieden. „Ich weiß aus seinen Briefen, daß ihm die Erwerbung weltlicher Güter Hauptlebenszweck ist. Seine letzte Zuschrift z. B. war eine geradezu verzückte, weil – mein Erbe sich über alles Erwarten reich herausgestellt hat.“

Er ging schweigend neben ihr her; dann fragte er mit einem Seitenblicke: „Und Sie – bleiben denn Sie kalt diesem Reichthume gegenüber?“

Käthe bog den Kopf mit graziösem Muthwillen vor und sah ihm unter das Gesicht. „Sie erwarten wahrscheinlich eine sehr gesetzte Antwort von mir großem Mädchen, so ein recht ernstes Ja, aber das kann ich mit dem besten Willen nicht herausbringen. Ich finde es nämlich über die Maßen hübsch, reich zu sein.“

Er lachte leise in sich hinein und fragte nicht weiter. Sie gingen rasch vorwärts und erreichten bald die Lindenallee. Sie war verschont geblieben; man hatte die lange Bahn bereits mit frischem Kiese bestreut. „Ach, dort die liebe, altmodische Bekannte steht auch noch,“ rief das junge Mädchen, nach einer fernen Holzbrücke zeigend, die ihren schmucklosen, morschen Bogen über den Fluß schlug.

„Sie führt zu dem Grundstücke am jenseitigen Ufer –“

„Ja, nach dem Gras- und Obstgarten. Ein hübsches, altes Haus steht drin. Es hat als Wirthschaftsgebäude zu dem ehemaligen Schlosse gehört, ist ganz von Wein umsponnen und hat breite Steinstufen vor der Thür. … Köstlich anheimelnd und still ist’s dort. Suse hatte ihren Bleichplatz im Garten; im Frühlinge war er ganz blau von Veilchen; dort habe ich stets die ersten gesucht.“

„Das dürfen Sie auch jetzt noch – die kleine Besitzung ist seit heute Morgen mein Eigenthum.“ Er warf einen warmen Blick hinüber.

Käthe dankte ihm, sah aber zerstreut und nachdenklich auf die Kiesel nieder, über die sie hinschritten. … Sollte ihre schöne Schwester als junge Frau in dem Hause wohnen? Flora mit ihren stolzen Geberden, ihren majestätisch nachfließenden Schleppen, Flora Mangold, die Anspruchsvolle, der kein Salon hoch und weit, keine Ausschmückung reich genug sein konnte, in dem einsamen Hause mit den großen, grünen Kachelöfen und den ausgetretenen Dielen? Wie mußte sie sich geändert haben – um seinetwillen!

Ein fernes Geräusch schreckte sie auf. Sie sah die Villa bereits so nahe vor sich, daß sie die Prachtmuster der Spitzengardinen erkennen konnte. Hinter den Scheiben rührte und regte sich nichts, aber von der Promenade her, die sich vor der jenseitigen, der Hauptfaçade des eleganten Hauses hinzog, kam das Getöse einer heranrollenden Equipage immer näher. Es waren zwei prächtige Pferde, die gleich darauf um die nördliche Hausecke jagten. Geschirr und Wagen funkelten in Silberschmuck und im Glanze der Neuheit. Eine Dame hielt die Zügel in fester Hand; ihre Gestalt, um die sich dunkelfarbener, pelzverbrämter Sammet schmiegte, saß so leicht und sylphenhaft dort, als schwebe sie über den Polstern. Von ihrer Stirn zurück wehten weiße Federn, und um das classische Gesicht, den unbedeckten Hals, der sich glänzend weiß aus der dunklen Pelzeinfassung hob, flatterten krause, blonde Locken.

„Flora! Ach, wie wunderschön ist meine Schwester!“ rief Käthe enthusiastisch und streckte unwillkürlich die Rechte nach der Vorüberfliegenden aus, aber weder Flora, noch der Commerzienrath, der mit verschränkten Armen neben ihr saß, hörten den Zuruf. Die Equipage bog um die entgegengesetzte Ecke, dann hörte man sie drüben vor dem Portale halten.

Ein kleiner Kiesel tanzte vorbei – die Stockspitze des Doctors hatte ihn wie im Spiele fortgeschleudert. Jetzt erst fiel es Käthe auf, daß er nicht mehr an ihrer Seite ging; sie war freilich unter dem hinreißenden Eindrucke vorwärts geeilt. Mit einer lebhaften Geberde wandte sie sich um. Er schritt unbeirrt, noch genau in dem Tempo, wie vorher auch, aber in seiner Haltung erschien er noch stolzer emporgereckt, noch strenger reservirt. Er mußte sie eben beobachtet haben, denn er wandte rasch und fast verlegen seine Augen weg. Mit Mühe verbiß sie ein satirisches Lächeln. Sie wußte, daß sie ihn bei einem vergleichenden Gedanken ertappt hatte, der ungefähr lauten mochte: „Gott, was für eine vierschrötige Jungfrau neben meiner Elfe!“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_058.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)