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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

zur gewöhnlichen Stunde auf meinem Beobachtungsposten, aber siehe da, das Licht- und Schattenspiel blieb ganz aus; vermuthlich hatte mein vorsichtiger Herr Nachbar nach altem Brauch das Gespräch eröffnet und gebeten, ihm gar nicht zu antworten, da ein Lauscher in der Nähe sei. Das Fenster blieb heute und an den folgenden Abenden ununterbrochen hell, an dem Tische aber saß das junge Mädchen und stützte den Kopf in die Hand. Ich erkundigte mich, da die Neugierde nun einmal erregt war, wer da drüben wohne, und erfuhr, daß es eine Wittwe sei, deren einzige Tochter zu den in Berlin angestellten „Blitzmädels“ gehöre, von denen die letzte Nummer des vorigen Jahrgangs der „Gartenlaube“ Näheres mitgetheilt hat.

War ich nun einerseits sehr befriedigt über meine Combinationsgabe, die mich so schnell auf die richtige Spur gebracht, so war ich andererseits höchlichst unzufrieden mit meiner Aufführung, sofern ich nämlich durch meine unvorsichtige Frage das Vergnügen der jungen Leute, sich, wenn Mutter zu Bette gegangen war, noch an einer kleinen Plauderei zu erfreuen, gestört hatte. Der Nachbar war ein so liebenswürdiger, offen blickender Blondkopf, daß ich ihm gewiß nichts Schlechtes zutrauete, und die schlanke Brünette drüben sah viel zu selbstständig aus, um etwas für sich fürchten zu lassen. Die mit ihren Händen Blitze schleudernden Mädchen sind schon von Amtswegen viel gefesteter, als solche, die nur mit den Augen blitzen. Der Gedanke, daß ich ein Bündniß für einander passender Herzen, wie es sich ja aus solchen offenen Heimlichkeiten unfehlbar entwickeln mußte, gehindert haben könnte, verstimmte mich; er ließ mir keine Ruhe, und nach zwei Tagen sprach ich mit einem festen Entschlusse bei meinem Nachbar vor, sobald er Abends aus dem Dienst gekommen war. Er empfing mich so kühl und gemessen, wie ich es verdiente. Ich mußte gleich mit der Sprache heraus und ihn bitten, sich doch ja nicht meinetwegen stören zu lassen; ich verstünde die Lichtsprache nicht und würde, auf Ehrenwort, künftig mit keinem Blicke mehr darauf achten.

Der junge Mann lächelte und sagte, nachdem er sein Erstaunen darüber ausgedrückt, wie ich hinter das Einverständniß gekommen sei, nicht ohne doch wieder dabei zu erröthen:

„Sie irren sich, wenn Sie glauben, daß ich mit Fräulein X…. andere als collegialische Gespräche geführt habe. Als guter College habe ich ihr das Morse-Alphabet eingepaukt, das war der ganze Zweck der Sache. Kurzes Licht bedeutete einen Punkt, längeres Licht einen Strich, längere Dunkelheit, daß ein aus Strichen und Punkten zusammengesetzter Buchstabe beendet sei, Licht aufheben, daß ein neues Wort anfange.“

„Ausgezeichnet,“ bemerkte ich, „aber diese Strich-Punkt-Sprache verstehe ich nicht, werde sie auch gewiß nicht lernen, um Sie etwa zu belauschen; also nehmen Sie ruhig Ihre Uebungsstunden wieder auf.“

„Das wäre überflüssig,“ erwiderte er schnell. „Fräulein X…. hat jetzt das Morse-Alphabet ebenso fest im Kopfe, wie ich selbst; es bedarf der Uebungen nicht weiter. Uebrigens bin ich Ihnen dankbar, daß Sie mich gewarnt haben. Der Scherz würde auch anderen Leuten aufgefallen sein, und wenn man der Sache heimlich weiter nachgeforscht hätte, wäre vielleicht ein Schatten oder ein übles Licht auf die junge Dame, welche die Ehrbarkeit selbst ist, gefallen, und ich wäre ganz untröstlich darüber gewesen.“

Wie sagt doch das Sprüchwort, aus dem Putlitz ein so hübsches Lustspiel gemacht? Mein Nachbar und sein Gegenüber hatten die Warnung unbeachtet gelassen; sie hatten mit dem Feuer gespielt und – Feuer gefangen. Nach wenigen Wochen erhielt ich eine kleine Karte: Emmeline X…., Adolph Y….., Verlobte. Ein halbes Jahr später habe ich die Hochzeit mitgefeiert, bin als Ehestifter bei Tafel öffentlich belobigt worden, ja sogar mitbesungen in dem Hochzeitscarmen eines eingeweiheten Poeten, der sehr rührend schilderte, wie Adolph und Emmeline nach kurzem Zusammenarbeiten auf demselben Bureau weit von einander getrennt wurden, wie Adolph aber eine Chambregarnie-Wohnung ihr gegenüber ausfindig gemacht, wie sich der Fernverkehr ausgebildet und wie mein plötzliches Dazwischentreten bei der nächsten Zusammenkunft zu dem Geständnisse getrieben, daß man nicht mehr ohne einander leben könne. So wurde Herrn Stephan eines seiner geschicktesten „Blitzmädel“ entführt.

An diese wahre Geschichte, die ich mit Erlaubniß des glücklichen Paares mittheile, wurde ich lebhaft erinnert, als ich vor einigen Tagen den Auszug eines Vortrages von Sir Will. Thompson über Leuchtthürme las, in welchem vorgeschlagen wird, diese Thürme möchten sich in Zukunft derselben Licht- und Schattensprache bedienen, wie unser Ehepaar, welches sie nun nicht mehr nöthig hat. Farbige Lichter zu Signalen, wie sie auf Eisenbahnen, Leuchtthürmen, Schiffen etc. bisher üblich waren, anzuwenden, schließt einen doppelten Nachtheil in sich. Einmal nämlich vermögen, wie die Erfahrung zeigt, nicht alle Menschen mit gleicher Sicherheit verschiedene Farben von einander zu unterscheiden, und die es vermögen, können diese Fähigkeit vorübergehend einbüßen, sodaß das Leben Tausender von einer keineswegs leicht controlirbaren Fähigkeit abhängig gemacht wird. Zweitens nehmen die farbigen Gläser, die man bisher vielfach auch auf Leuchtthürmen anwendete, dem Lichte mehr als die Hälfte, zuweilen fast zwei Drittel seiner Helligkeit, sodaß es höchstens halb so weit gesehen werden kann, wie das ungeblendete, weiße Licht, sei es nun elektrisches Kohlenlicht, wie es meist angewendet wird, oder ein anderes. Um nun aber auch ohne Anwendung farbiger Blendschirme das Licht verschiedener Nachbarleuchtthürme sicher von einander unterscheiden zu können, was ja, wie der Untergang des „Deutschland“ in lebhafte Erinnerung gebracht hat, in allen Meeresstraßen und Küstengewässern von höchster Wichtigkeit ist, haben schon vor einer Reihe von Jahren Major Bolton und Capitain Colomb das Strich-Punkt-System der Morse-Schrift vorgeschlagen, und zwar ganz in der Weise, die wir kennen gelernt haben, indem der Punkt durch eine augenblickliche, der Strich durch eine längere Lichterscheinung dargestellt wird. Man kann dies auf Leuchtthürmen leicht erreichen durch eine um das elektrische Licht langsam rotirende dunkle Trommel mit schmaleren und breiteren Ausschnitten.

Die allgemein eingeführte Morse-Schrift bezeichnet mit einer Kürze und einer Länge (· −) den Buchstaben A, mit einer Länge und drei Kürzen (− · · ·) den Buchstaben B, mit Länge, Kürze, Länge, Kürze (− · − ·) das C, mit einer Länge und zwei Kürzen (− · ·) das D etc. Durch Anwendung dieses internationalen Alphabetes könnte man also leicht jedem Leuchtthurme seinen besonderen Buchstaben geben, der dann auf den Karten als Chiffre eingetragen stünde, und, um dem Gedächtnisse zu Hülfe zu kommen, die aufeinander folgenden eines gefährlichen Ufers in alphabetarischer Reihenfolge aufführen, um dann jeden von ihnen in Lichtschrift die ganze Nacht wiederholen zu lassen: Ich heiße A, oder: ich bin der berüchtigte B, neben dem es so viele Klippen giebt – oder ich bin der bewußte C; komm’ mir Keiner zu nah’! etc.

Dieselbe Zeichensprache haben die Genannten vorgeschlagen, damit die sich begegnenden Schiffe miteinander aus der Ferne sprechen können, wobei des Nachts eine aufziehbare Laterne, des Tages eine Trommel, die sich verbreitert und zusammenlegt, die Strichpunktzeichen geben können. Natürlich muß hinter jeder zu einem Buchstaben gehörigen Zeichengruppe eine kleine Pause gemacht werden, damit die Zeichen nicht ineinander fließen. Diese Methode soll sich in der Praxis bereits so vortrefflich bewährt haben, daß man einzig bedauert, nicht auch über eine internationale Sprache, wie über ein internationales Schriftsystem zu verfügen.

Der Wunsch, durch Lichtsignale in die Ferne sprechen zu können, ist zu allen Zeiten durch kriegerische Unternehmungen wachgerufen worden. Man bediente sich derselben seit den ältesten Zeiten. Wir lesen in dem Agamemnon des Aeschylos, wie die Niederlage von Troja, durch Feuerzeichen von Vorgebirge zu Vorgebirge telegraphirt, noch im derselben Nacht den harrenden Argivern bekannt ward. Zu einer förmlichen Fackelschrift war dieses System bei den Medern und Persern ausgebildet. Bis zu den Grenzen des Reiches zogen sich von der Hauptstadt Reihen hoher Warten, auf denen durch Fackeln von bestimmter Zahl und Anordnung Zeichen von Station zu Station gegeben wurden. Während der Kriege legten sie in den eroberten Landestheilen ähnliche Feuerposten an, und so konnte, wie Herodot erzählt, Mardonius dem noch in Sardes weilenden Xerxes schleunig mittheilen, daß er Athen eingenommen. Die Rothhäute Amerikas, wie die alten Gallier bedienten sich derselben Feuersprache. Durch Zahl und Anordnung auf weitsichtbaren Höhen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_197.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2019)