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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

und den Streich aufgefangen, die arme, brave Käthe! – Moritz, sie haben ihr die Kleider vom Leibe gezerrt, die Flechten von der Stirn niedergerissen –“

„Dieses wunderschöne Haar!“ fiel die Tante mit sanftem Bedauern ein und strich zärtlich über die glänzenden Wellen, die von der Stirn des jungen Mädchens zurückfielen.

„Nun ja, sie haben ihr arg mitgespielt, die Furien!“ gab Flora mit einem ärgerlichen Stirnrunzeln zu, „aber ich muß mir’s denn doch ausbitten, daß ich dafür nicht allein verantwortlich gemacht werde. Ihre Manie, ewig in starrer Seide zu gehen, trägt zumeist die Schuld. Das Volk neidet uns nun einmal den Reichthum und die Eleganz; das seidene Kleid reizte die Weiber, und da hat sie denn – und leider auch wir – anhören müssen, daß ihre Großmutter barfuß gegangen und der Schloßmüller vordem Knecht gewesen ist, daß der Kornwucher ihr ganzes großes Vermögen zusammengescharrt hat, und was dergleichen liebliche Dinge mehr waren. Käthe’s Erscheinen hat unsere peinliche Situation nur verschlimmert; die Erbitterung gegen die reiche Erbin war grenzenlos – habe ich nicht Recht, Käthe?“

„Ja, Flora,“ versetzte das junge Mädchen bitterlächelnd, mit bebender Stimme. „Ich werde viel thun müssen, um einigermaßen gutzumachen, was mein Großvater an der Menschheit gesündigt hat.“

Während Flora sprach, hatte sich die Gestalt der Präsidentin förmlich gestreckt vor innerer Genugthuung. Die schonungslose Bloßlegung des „scandalösen Stammbaumes“ klang wie Musik in ihren Ohren; sie fixirte lauernd den Commerzienrath. Der neugebackene Edelmann mußte vor dem Gedanken zurückschrecken, daß das Volk mit den Fingern auf die Frau an seiner Seite zeigen und ihr Herkommen, den Ursprung ihres Geldes auf der Straße ausschreien würde. „Ach geh’, Käthe, das klingt denn doch gar zu kindlich naiv und empfindsam!“ sagte sie den Kopf hin- und herwiegend. „Wie wolltest Du denn das anfangen?“

Flora lachte. „Sie will ihren kostbaren Geldspind öffnen und die Actien unter das Volk streuen.“

„Wie Schwester Flora aus Angst um ihren tadellosen Teint gestern mit ihrer Börse gethan,“ warf Henriette beißend, in persiflirendem Tone ein; der aufwallende Groll drängte selbst das fieberhafte Verlangen, die Braut bereuend im Staube vor dem Doctor zu sehen, für einen Augenblick in den Hintergrund.

„Einer solchen Gedankenlosigkeit werde ich mich wohl nicht schuldig machen,“ sagte Käthe gelassen, aber ernst abweisend zu Flora, die sich ärgerlich über Henriettens anzügliche Bemerkung auf die Lippen biß. „Ruht Fluch und Unsegen auf dem Gelde –“

Der Commerzienrath unterbrach sie mit einem lauten Gelächter. „Kind, lasse Dir doch nicht bange machen! Unsegen! Ich sage Dir, das Glück hängt sich Deinem Erbe förmlich an die Fersen; die Gewinnantheile, die ich gegenwärtig durch ein neues glückliches Arrangement erziele, sind geradezu riesig.“

Die breiten Lider der Präsidentin, die meist mit einer gewissen vornehmen Müdigkeit die Augäpfel halb verschleierten, hoben sich bei dieser Schilderung. Das eine Wort „Gewinnantheil“ machte diese großen Augensterne gierig flimmern, wie es vielleicht kaum in ihrer Jugend das Verlangen nach Siegen ihrer Schönheit vermocht.

„Riesig?“ wiederholte sie kurz mit fliegendem Athem. „Das sind die meinen nicht. Ich will sofort verkaufen und mich an dem neuen Unternehmen betheiligen.“

„Das läßt sich leicht arrangiren, theuerste Großmama; ich werde heute noch die nöthigen Schritte thun. Ja, ja, der gemeine Mann sagt ganz richtig; wo Tauben sind, da fliegen Tauben zu, und nie ist das Wort wahrer gewesen, als in unserer wunderbaren Zeit. Der Capitalist ist ein Fels, dem die Wogen von selbst ihre Schätze zuwerfen –“

„In den Augen der Ruhigdenkenden nicht, Moritz,“ sagte Doctor Bruck. Er war vorhin bei Henriettens lebhaftem Widerspruch an das Bett getreten und hatte sanft beruhigend ihre Hand zwischen die seinen genommen – so stand er noch. Er sah sehr vornehm aus; noch trug er den Frack unter dem Ueberzieher und den Handschuh an der Linken, sein schönes, bärtiges Gesicht aber, das er jetzt voll den Anwesenden zuwandte, zeigte noch schärfer den eigenthümlich leidensvollen Zug, den Käthe heute zum ersten Male bemerkt hatte. „Man ist schon seit längerer Zeit mißtrauisch,“ fuhr er fort, „und fängt an, diesen mühelosen Erwerb mit einem sehr harten Wort zu bezeichnen –“

„Schwindel willst Du sagen,“ unterbrach ihn der Commerzienrath belustigt. „Liebster Doctor, allen Respect vor Dir und Deinem Wissen, aber in kaufmännischen Dingen überlasse mir die Beurtheilung! Du bist ein ausgezeichneter Arzt, hast eben Deinen Namen zu einem weltberühmten gemacht –“

In diesem Augenblicke richtete sich Henriette aus ihrer halbzurückgesunkenen Stellung auf. „Weißt Du das, Flora?“ fragte sie heftig, wie athemlos, wie halb erstickt von dem überwältigenden Triumphgefühle.

„Freilich weiß ich’s, Du Närrchen, obgleich der Herr Doctor es bis jetzt nicht der Mühe werth gefunden hat, mir in höchsteigener Person Mittheilung von seiner glücklichen Cur in L…..g zu machen,“ antwortete Flora unbefangen und leichthin, und ihre Augen begegneten in beispielloser Herausforderung denen der Schwester. „Ich weiß auch, daß ihn plötzlich die fürstliche Gnadensonne bescheint, wie selten einen Sterblichen. Natürlich ist das noch Hof- und Staatsgeheimniß, das vorderhand nicht einmal – die Braut wissen darf.“ Ein bezaubernd schalkhaftes Lächeln ließ ihre leuchtenden, scharfen Zähne sehen, und der Rosenhauch, der bei den letzten Worten plötzlich ihre Wangen anflog, stand ihr unvergleichlich.

Henriette ließ bitter enttäuscht den Kopf in die Kissen sinken – selbst sie hatte sich in diesem chamäleonartigen Frauengeist verrechnet.

Die Präsidentin, die in der Nähe des Doctors stand, klopfte ihm mit fast zärtlicher Zuthulichkeit auf die Schulter. Als so gleichberechtigt in ihrem Verwandtenkreise hatte sie ihn bisher noch nicht behandelt. „Dürfen wir noch nichts Näheres erfahren? Sind die Präliminarien noch nicht beendet?“ fragte sie schmeichelnd mit ihrer wohllautenden Stimme.

„Er kommt ja eben vom Fürsten,“ sagte die Tante, ohne den stolz strahlenden Blick von ihm wegzuwenden.

„Ah, also ist Herrn von Bär’s Pensionirung wirklich Thatsache?“ Die alte Dame fragte das mit vornehm gleichgültiger Haltung, aber sie hielt den Athem zurück.

„Das weiß ich nicht – danach frage ich auch nicht,“ versetzte der Doctor ruhig abweisend. „Der Fürst wünscht, daß ich – so lange ich mich hier noch aufhalte – sein langjähriges Fußübel in Behandlung nehme –“

„So lange Du Dich hier noch aufhältst, Bruck?“ unterbrach ihn Flora stürmisch. „Willst Du gehen?“

„Ich werde mich mit Anfang October in L…..g habilitiren,“ versetzte er kalt; er sah sie nicht an. Sein Blick haftete auf dem knospenden Apfelbaume vor dem Fenster.

„Wie, Sie haben Stellung und Titel bei unserm Hofe ausgeschlagen?“ rief die Präsidentin und schlug die Hände in bestürztem Erstaunen zusammen.

„Der Titel ist mir nicht erlassen worden“ – ein leises, ironisches Lächeln stahl sich über sein Gesicht – „es ist jedenfalls nicht etiquettegemäß in Serenissimus’ Augen, sich von einem titellosen Heilbeflissenen herstellen zu lassen. Er besteht darauf, mich zum Hofrathe zu ernennen.“

Bei seinen letzten Worten streckte ihm die Tante Diakonus, mit einer tiefen Rührung kämpfend, die Hand entgegen, und er – sonst die scheue Zurückhaltung selbst – umschlang mit beiden Armen die zarte Gestalt der alten Frau und drückte sie fest und innig an seine Brust. Das Leid, die bittere Heimsuchung, welche diese Beiden standhaft zusammen getragen, isolirte sie in diesem Augenblicke der Sühne vollkommen vom Kreise der Umstehenden.

Flora wandte sich ab und trat geräuschvoll in das Fenster; sie nagte sich die Unterlippe fast blutig; man sah, es zuckte ihr in den Händen, die treue Frau wegzustoßen von dem Platze, den sie, die pflichtvergessene Braut, verwirkt hatte.

„Er geht ja aber fort, Tantchen,“ sagte Henriette mit ihrer heiseren, tonlosen Stimme vom Bette herüber.

„Ja, seinem Ruhme, seinem Glücke entgegen,“ antwortete die alte Frau und hob unter Thränen lächelnd den Kopf von seiner Schulter. „Ich will gern hier zurückbleiben in dem Heim, das seine Sohnesliebe mir geschaffen hat, wenn ich ihn draußen geachtet, geehrt und befriedigt durch seinen großen Beruf weiß. Meine Mission an seiner Seite ist ohnehin bald zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_244.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)