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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

offen an den Tag gelegten Reue sofort wieder jenes schöne, innige Verhältniß eintreten werde, wie es zu Anfang ihrer Brautschaft bestanden. Mußte er nicht, bei seiner unzerstörbaren Leidenschaft für sie, namenlos glücklich sein, sie nun unwiderruflich besitzen zu dürfen? Vielleicht barg er tief innen dieses Glück, aber zeigte es nur nicht, und seine schöne Braut tröstete sich mit dem Gedanken, daß ein Mann wie Bruck allerdings nicht so rasch versöhnlich sein dürfe; wußte sie doch, daß mit der Hochzeit, die nunmehr für den September festgesetzt worden war, Alles anders werden müsse.

Mittlerweile war der 20. Mai, Flora’s Geburtstag, herangekommen. Auf allen Tischen ihres Zimmers dufteten Blumen, welche die guten Freundinnen herkömmlicher Weise gebracht hatten. Auch die Fürstin hatte der Braut des Hofraths, welcher mit Gnadenbeweisen förmlich überschüttet wurde, ein prachtvolles Bouquet geschickt, und von den „stolzesten Granden“ des Hofes waren Glückwünsche in der schmeichelhaftesten Form eingelaufen. Ja, es war ein Tag des Triumphes für die schöne Braut, ein Tag, an welchem sie wieder einmal so recht bestärkt wurde in ihrer felsenfesten Ueberzeugung, daß sie wirklich ein Liebling der Götter, eine für einen auserwählten Lebensweg Geborene sei.

Und doch lag ein leichter Schatten auf ihrer Stirn, und sie runzelte öfter ungeduldig und ärgerlich die Brauen. Auf dem Tische inmitten des Zimmers, zwischen den Gaben der Großmama und der Schwestern, stand eine hübsche Tischuhr von schwarzem Marmor; Doctor Bruck hatte sie am frühen Morgen mit einem begleitenden Glückwunschbillet geschickt und sich für die Vormittagsstunden wegen seines Nichterscheinens entschuldigt, da er einen Schwerkranken vorläufig nicht verlassen dürfe.

„Ich begreife Leo nicht, daß er nichts Hübscheres für mich zu finden gewußt hat, als das steinerne Unding da,“ sagte sie, verdrießlich auf die Uhr zeigend, zu der Präsidentin, die das Bouquet der Fürstin aus der Vase genommen hatte und unablässig daran roch, als müsse es einen ganz besonderen Duft ausströmen. „Ein schwarzes Geburtstagsgeschenk giebt man doch nicht gern; ich für meinen Theil finde es zum Mindesten geschmacklos.“

„Die Uhr ist vollkommen passend, gerade in Deinem Geschmacke gewählt, Flora; sie soll jedenfalls das wunderlich tiefsinnige Arrangement dieses Zimmers vervollständigen,“ sagte Henriette. Sie lag auf dem rothen Ruhebette und streifte mit einem spöttischen Blicke die schwarzen Säulenstücke in den vier Zimmerecken.

„Unsinn! Du weißt so gut wie ich, daß ich diese Einrichtung nicht mitnehmen kann. Moritz hat das Zimmer nach meiner speciellen Angabe eingerichtet, wie es ist, aber geschenkt hat er mir meines Wissens weder Möbel noch Ausschmückung. Ich möchte den Kram auch um Alles nicht mitschleppen; man sieht sich ebenso satt und müde an einer stereotypen Zimmereinrichtung, wie an einer oft getragenen Toilette. Was in aller Welt soll ich nun mit der schwarzen Figur da in meinem L…..ger Boudoir anfangen, das lila decorirt und mit Bronzegeräth geschmückt sein wird?“

„Ein frisches Bouquet wäre mir auch lieber gewesen, aber Du bist ja nicht sentimental, Flora,“ meinte Henriette, nicht ohne einen boshaften Anflug in der Stimme. Käthe aber, heute zum ersten Male schneeweiß gekleidet, stand neben einem herrlich entwickelten Myrthenbaume, welchen die Tante Diakonus selbst gezogen und herüber geschickt hatte, und ließ die Hand mit einem wehmüthigen Lächeln wie schmeichelnd über die feinblättrigen, biegsamen Zweige gleiten. Niemand beachtete das selten schöne Geschenk, dessen Hingabe jedenfalls ein schweres inneres Opfer gekostet hatte.

Nach Tische hielt man sich im Balcon- und Empfangszimmer auf, weil immer noch Gratulanten kamen und gingen. Sämmtliche Thüren der Zimmerreihe waren zurückgeschlagen; es war ein herrlicher Aufenthalt, dieses untere Stockwerk. Durch das vergoldete Bronzegitter des Balcons zogen weiche Lüfte, die den Duft vom jungen Lindenlaube der Allee und aus den halboffenen Blüthenknospen der Boscage herübertrugen, und in die hohen Fenster fiel das goldene Maienlicht; nur dem dunkelpurpurnen Zimmer vermochte es keinen Reflex abzulocken, das sah grämlich und kalt aus wie immer, und dem weichen Gefühle mußte der aufgehäufte Reichthum lebender Blumen zwischen diesen vier Wänden geradezu grausam erscheinen.

Henriette lag in einem Schaukelstuhle, der offenen Balconthür gegenüber. Sie hatte auch gern „maienhaft wie Käthe“ aussehen wollen und ihr hageres Figürchen in eine ganze Wolke weißer Mullgarnirungen gesteckt, aber fröstelnd hüllte sie den Oberkörper in einen weichen Shawl von gesticktem Crêpe de Chine, und darüber her wogte aufgelöst ihr reiches, blondes Haar, das sie seit dem letzten schweren Leidensanfalle nicht mehr aufnestelte. So still liegend und vom halbgedämpften Sonnenlichte überspielt, mit den weitoffenen, blauglänzenden und schwarzbewimperten Augen, der kalkweißen Haut, die nur in der Nähe der zarten Schläfen ein fieberhaft rother Anhauch betupfte, sah sie heute aus wie ein Wachspüppchen. Sie hatte Käthe an den Flügel im Musiksalon geschickt und wartete nun mit in den Schooß gefalteten Händen auf den Anfang des Schubert’schen Liedes „Lob der Thränen“. Da verdunkelten sich plötzlich die Fieberflecken auf dem schmalen Gesichtchen zum tiefsten Carmin, und die verschränkten Hände fuhren unwillkürlich nach dem Herzen – Doctor Bruck trat in den Salon.

Flora flog ihm entgegen und hing sich an seinen Arm. Sie ließ ihm kaum Zeit, die Anderen zu begrüßen, und zog ihn in ihr Zimmer, damit er ihre Geburtstagsgeschenke ansehe. Die schöne Dame, die so lange ihrem ganzen Thun und Lassen den Stempel der Gelehrsamkeit, der ernstgrübelnden Forschung aufzudrücken verstanden, zeigte heute, an ihrem neunundzwanzigsten Geburtstage, die naive Grazie einer Sechszehnjährigen, und in dieser Wandlung war sie mit ihrem lieblich belebten Gesicht und dem weichen Spiel der schlanken, biegsamen Glieder auch wirklich jugendlich reizend.

Käthe stand am Notenschrank und suchte nach dem begehrten Lied, als das Brautpaar hinter ihr weg nach Flora’s Zimmer schritt; sie sah sich nur flüchtig um, wobei sie einen halbverlegenen Gruß vom Doctor erhielt, und suchte dann um so emsiger.

„Sieh, Leo, mit dem heutigen Tage schließe ich die Vergangenheit ab, in der ich so schwer geirrt und mich nahezu um mein Lebensglück gebracht hätte,“ sagte Flora drüben mit unwiderstehlich süßer Stimme, während Käthe einen dicken Notenstoß aus dem Schranke hob. „Ich will die Erinnerung an jenen schlimmen Abend nicht wieder wachrufen, wo ich alle Herrschaft über mich verloren und in der Aufregung und Gereiztheit Aussprüche gethan habe, um die meine Seele, mein Herz selbst nicht wußten, aber um der Wahrheit willen, und weil ich mir doch das selbst schuldig bin, muß ich Dir sagen, daß auch Du damals geirrt hast, was Dein absprechendes Urtheil betrifft. Es war nicht der Trieb, mich hervorzuthun, der mich der Schriftstellerei zugeführt hat, sondern in der That die Begabung – deutlich gesagt – der Genius. Frage mich nicht weiter! Ich kann Dir nur versichern, daß ich meinen Weg gemacht haben würde, und zwar durch mein Werk ‚Die Frauen‘, das Du ja nicht kennst. Es ist nach Aussprüchen von competenter Seite wohl geeignet, meinen Namen rühmend in alle Welt hinauszutragen, aber wie könnte es mir jetzt wohl noch einfallen, an Deiner Seite meinen eigenen Weg zu gehen und meine speciellen Fähigkeiten geltend machen zu wollen? Nein, Leo, ich werde mich einzig und allein in Deinem Ruhme sonnen, wie es der Frau ziemt, und damit mir auch in Zukunft die Versuchung nie wieder nahe tritt, müssen diese Blätter, das Resultat emsigen Studiums und des poetischen Quells, der nun einmal in meiner Seele quillt und sprudelt, aus der Welt verschwinden.“

Käthe umschritt in diesem Augenblick, das endlich gefundene Notenblatt in der Hand, den Flügel. Sie sah, wie Flora das Manuscript mit einigen Streichhölzchen entzündete und es auflodernd in den Kamin warf. Die schöne Braut wandte dabei den Kopf nach der Fensterseite zurück, wo jedenfalls der Doctor stand; vielleicht wünschte sie, er möchte den Versuch machen, sie in ihrem Beginnen zu hindern, allein kein Schritt wurde hörbar; keine rettende Hand streckte sich aus, um das „kostbare“ Brennmaterial den Flammen zu entreißen. Der Brandgeruch, den der Frühlingswind in das Zimmer zurücktrieb, wehte in den Musiksalon, und während Flora mit fest eingeklemmter Unterlippe und seltsam glimmenden Augen vom Kamin zurücktrat, nahm Käthe hastig den Platz am Flügel ein und begann sofort die Liszt’sche Phantasie über das „Lob der Thränen“.


(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_262.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)