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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

und vergeblich bemühte er sich, eine thierische Amme zu gewinnen, sah sich daher genöthigt, dem Kleinen Reiswasser aus der Saugflasche zu geben. Bei so magerer Kost gedieh dieses erklärlicher Weise nicht, und wenn auch gelegentlich Zucker und Kokosmilch hinzugefügt wurde, um die Aetzung nahrhafter zu machen, fehlte doch immer die für dieses Alter unersetzliche Muttermilch. Steckte man dem jungen Orang-Utan einen Finger in den Mund, so saugte er mit größter Kraft, als glaube er durch Anstrengung etwas Milch herauszupressen, und erst nachdem er sich von der Vergeblichkeit seiner Bemühungen überzeugt hatte, unterließ er mißmuthig weitere und begann, ganz wie ein Kind unter ähnlichen Umständen, kläglich zu schreien. Liebkoste und wartete man ihn, so war er ruhig und ersichtlich zufrieden; legte man ihn weg, so schrie er laut auf.

Nach längerer Zeit gewöhnte er sich an einen ihm zur Wiege dienenden Kasten. Obwohl man denselben täglich mit neuer Unterlage versah und reinigte, wurde es doch sehr bald nöthig, auch ihn selbst zu waschen. Und diese Behandlung gefiel ihm, nachdem er dieselbe einige Male ausgehalten hatte, in so hohem Grade, daß er seinen Pfleger durch Schreien auf die Nothwendigkeit der Reinigung aufmerksam machte und sich erst befriedigte, wenn man ihn nach dem Brunnen trug. Hier strampelte er beim ersten kalten Wasserstrahle allerdings etwas, beruhigte sich aber doch sofort wieder, weil er das Abwaschen und mehr noch das Drücken, Reiben und Kämmen oder Bürsten seines Haares schätzen lernte. Wenn ihm das Haar gebürstet wurde, lag er ganz still und streckte Arme und Beine behaglich von sich.

Nach wenigen Tagen wurde in ihm kindliche Spiellust rege. Zuerst klammerte er sich mit allen Vieren an Alles, was er packen konnte, sodaß man den Bart sorgfältig vor ihm in Acht nehmen mußte, weil er sich mit den krummen Fingern fest in denselben einhäkelte, auch nicht losließ und die Hülfe eines Zweiten erforderlich machte. Bald aber beschäftigte er sich mit anderen Dingen, wirthschaftete mit den Händen in der Luft umher und versuchte irgend etwas zu ergreifen. Gelang es ihm, einen Lappen mit zwei Händen oder mit diesen und einem Fuße zu erfassen, so schien er glücklich zu sein; in Ermangelung eines anderen Gegenstandes ergriff er seine eigenen Füße, und nach einiger Zeit kreuzte er fast beständig die Arme und packte mit jeder Hand das lange Haar der entgegengesetzten Schulter. Eine ihm gereichte Leiter gewährte später erwünschte Beschäftigung; doch war er durch die mangelhafte Ernährung bereits so abgeschwächt, daß er von ihr oft zum Boden herabfiel.

Da Wallace sah, daß er Haare so gern hatte, schnürte er ein Stück Büffelhaut in ein Bündel zusammen und stellte dieses seinem Pfleglinge zur Verfügung. Zuerst schien ihm diese künstliche Mutter aus dem Grunde außerordentlich zu gefallen, weil er mit seinen Beinen nach Belieben umherzappeln konnte und immer etwas Haar zum Festhalten fand, bald aber erinnerte er sich seiner verlorenen wirklichen Mutter und begann nach der Saugwarze zu suchen, bekam jedoch immer nur den Mund voll Haare, wurde verdrießlich, schrie heftig und ließ nach zwei oder drei vergeblichen Versuchen gänzlich von seinem Vorhaben ab. Nach der ersten Woche fand Wallace, daß sich sein Pflegling leichter mit dem Löffel als mit der Saugflasche ernähren lasse, und man ihm dadurch mehr abwechselnde und nahrhaftere Kost reichen könne, mischte daher Zwieback mit Ei und Zucker, süßen Kartoffeln und dergleichen und freute sich an den drolligen Grimassen desselben, welche Billigung oder Mißfallen über die gereichte Nahrung ausdrückten. Im ersteren Fälle beleckte er die Lippen, zog die Backen ein und verdrehte die Augen mit dem Ausdrucke der größten Befriedigung, im letzteren drehte er den Bissen kurze Zeit mit der Zunge im Munde herum, als ob er versuchen wollte, ihm dadurch Wohlgeschmack abzugewinnen, und spie ihn, wenn er ihn nicht wohlschmeckend fand, regelmäßig wieder aus. Gab man ihm dieselbe Nahrung noch ein anderes Mal, so schrie er und schlug heftig um sich.

Als Wallace einen jungen, vielleicht kaum älteren Makaken erhielt, wurde die Hülflosigkeit des Orang-Utan besonders ersichtlich. Er benahm sich ganz wie ein kleines Menschenkind, lag hülflos auf dem Rücken, rollte sich langsam hin und her, streckte alle Viere in die Luft, in der Hoffnung etwas zu erfassen, war aber noch kaum im Stande seine Finger nach einem bestimmten Gegenstande hinzubringen, öffnete, wenn er unzufrieden war, seinen fast zahnlosen Mund und drückte seine Wünsche durch ein sehr kindliches Schreien aus; der Makak hingegen war in beständiger Bewegung, lief und sprang umher, wann und wo es ihm Vergnügen gewährte, untersuchte Alles, ergriff mit der größten Sicherheit die kleinsten Dinge, kletterte, turnte, setzte sich in Besitz von allem Eßbaren, was ihm in den Weg kam; kurz man konnte einen größeren Gegensatz sich nicht denken: der Orang-Utan erschien neben seinem Verwandten noch mehr als ein kleines Kind. Beide Affen wurden sogleich die besten Freunde und keiner fürchtete sich vor dem andern; der Makak behandelte aber den viel größeren Säugling, entsprechend der Hülflosigkeit desselben, bald mit dem allen Affen eigenen Uebermuthe, setzte sich ohne die mindeste Rücksicht auf dessen Leib, selbst auf dessen Gesicht, leckte die Speisereste von seinen Lippen und riß ihm schließlich das Maul auf, um zu sehen, ob etwas darin sei. Alles dies ertrug der Orang-Utan mit beispielloser Geduld; denn er schien froh zu sein, überhaupt etwas Warmes in seiner Nähe oder einen Gegenstand zu seiner Verfügung zu haben, um welchen er zärtlich seine Arme schlingen konnte.

Nach etwa Monatsfrist hatte er sich soweit entwickelt, daß er die ersten Bewegungsversuche anstellen konnte. Wenn er im Kasten lag, pflegte er sich am Rande gerade aufzurichten, und es gelang ihm das auch ein- oder zweimal, oft überstürzte er sich aber und kam so schwerfällig vorwärts. Weiter brachte er es überhaupt nicht; denn in den zwei Monaten, während welcher er unter der ungenügenden Pflege gelitten hatte, war er nicht im geringsten gewachsen und nur geistig etwas weiter vorgeschritten, hatte wenigstens gelernt, seine Wünsche durch rechtzeitiges Schreien kund zu geben; er beruhigte sich, wenn Niemand da war, und schrie um so ärger, wenn er Schritte eines Vorübergehenden vernahm.

Ob die übrigen Menschenaffen sich ebenso langsam entwickeln wie der Orang-Utan, weiß ich nicht, glaube es jedoch annehmen zu dürfen. In ihrem Betragen dagegen unterscheiden sich älter gewordene Schimpansen und Tschegos wesentlich von jenem. Der Orang-Utan macht unter allen Umständen den Eindruck eines schwerfälligen, traurigen Gesellen, dessen Gesicht gleichsam eine beredte Klage über die Erbärmlichkeit des irdischen Jammerthales ist. Er erscheint stets etwas gedrückt, unselbstständig, willenlos, bekundet wenig Achtsamkeit auf das, was um ihn her vorgeht, in seltenen Fälle schwache, ich möchte sagen, verschleierte Theilnahme für seine Umgebung, für Orts- und Zeitverhältnisse, und nur dann eine etwas gehobenere Stimmung, wenn es sich um das Essen handelt. Auch er liebt menschliche Gesellschaft und unterscheidet, so lange er jung ist, nur zwischen denen, welche sich am meisten mit ihm beschäftigen, und denen, welche sich nicht um ihn kümmern, nicht aber zwischen Mann und Frau oder dem Erwachsenen und dem Kinde. Leckereien sagen ihm zu; mehr als alles Uebrige aber befriedigen ihn Wärme und Bequemlichkeit: die strahlende Sonne wie der geheizte Ofen oder das Feuer im Kamin, ein Tuch oder eine Decke, welche er als Kleid um sich schlägt, ein ohne Mühe zu erreichender Sitz oder endlich ein weiches und warmes Lager. Um sich einen Sitz zu sichern, rafft er sich sogar zur Thätigkeit auf. Wenn er im Garten auf einen Baum geklettert ist und sich hier auf einem nach eigenem Behagen gewählten Aste niederläßt, ihm aber Jemand nachsteigt, schüttelt er die Aeste aus allen Kräften, um den Nachfolgenden abzuschrecken. Wenn er sich einmal an ein bestimmtes Lager gewöhnt hat, bettet er sich nie, ohne vorher das Heu des Lagers zurechtgelegt und ein besonderes Bündel für den Kopf gestaltet zu haben, deckt sich sodann sorgfältig zu und wickelt sich förmlich in die Decke, worauf er sich mit ersichtlicher Wonne dem Schlafe hingiebt. Seine geistige Befähigung scheint kaum geringer zu sein, als die eines Schimpanse, drückt sich aber durchaus verschieden aus. Was er thut, geschieht mit demselben ewig sich gleichbleibenden Ernste, mit derselben Lässigkeit und Theilnahmlosigkeit, welche sein ganzes Wesen kennzeichnen. Auch er lernt, läßt sich unterrichten und unterrichtet sich selbst, ahmt nach, erfindet auch wohl, besitzt aber nicht entfernt die Gewecktheit und Schnelligkeit der Auffassung wie die afrikanischen Menschenaffen, insbesondere der Schimpanse. Sein Temperament ist, um einmal Kunstausdrücke zu gebrauchen, ein phlegmatisches oder ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_284.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)