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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Verkündigung und gehen an Mariä Geburt. Allenthalben herrscht die Meinung, daß das Haus, in welchem sie nisten, gesegnet und vor Unheil geschützt ist. Im Oberinnthale heißt es: Wo Schwalben sich anbauen, giebt es keinen Unfrieden; im Oetzthale: Die Anwesenheit von Schwalben macht ein Dorf reich, und mit ihnen verläßt der Segen das Haus. Im Vinschgau und ebenso in ganz Schwaben und Westphalen glaubt man, daß da, wo sie ihr Nest haben, der Blitz nicht einschlage, zu Crombach bei Olpe, daß ein solches Haus überhaupt vor Feuersgefahr sicher sei. Um diesen Glücksvögeln den Eingang nicht zu verwehren, lassen in anderen westphälischen Gegenden manche Leute im Sommer Tag und Nacht die Fenster offen. Früher ging in diesen Landstrichen an den Tagen, wo man ihre Wiederkehr erwartete, die ganze Hausgenossenschaft, den Familienvater an der Spitze, ihnen entgegen bis an das Heck, das heißt das Thor des Gehöftes. Festlich wurde ihnen die Scheune geöffnet. Die Schwalbe kümmere sich, so meinte man, um die Wirthschaft; sie fliege bei ihrer Ankunft durch Diele und Scheune und gucke in alle Ecken und Winkel. Finde sie Unordnung und zu geringe Vorräthe, so schelte sie:

„To Joar, ar ik fut genk,
Wören alle Skoppen un Skiuren vull;
Nu, ar ik weer kam,
Is Alles verquickelt, verquackelt, verheert un verteehrt.“

Das heißt: „Vorm Jahre, als ich fortging, waren alle Schuppen und Scheuern voll; jetzt, wo ich wiederkomme, ist Alles verlottert, verzettelt, verheert und verzehrt.“

In der Neumark muß man sich, wenn man die erste Schwalbe sieht, sogleich waschen, denn wer das unterläßt, dem verbrennt die Sonne das Gesicht. In Tirol soll man beim Anblick der ersten Schwalbe sogleich stehen bleiben und mit einem Messer unter dem linken Fuße die Erde aufgraben; man wird dann eine Kohle finden, die das kalte Fieber vertreibt. Ebendaselbst heißt es, daß die Schwalben, wenn sie sieben Jahre in einem und demselben Neste gebrütet haben, darin ein Steinchen zurücklassen, welches große Heilkraft, vorzüglich bei Augenübeln, besitze. Im Eggethale sind zwei Bauern, die einen solchen Stein haben. Er soll von wunderbarer Schönheit sein. Im Unterinnthal verschafft man sich die Springwurzel, die alle Schlösser und Riegel öffnet, dadurch, daß man ein Schwalbennest mit starken Fäden umwickelt und so den Eingang verschließt. Dann kommt die alte Schwalbe mit jener Wurzel, macht das Nest damit auf und läßt sie darauf fallen. Nur im Lippeschen scheint der Glaube zu herrschen, daß man da, wo Schwalben nisten, keine Kälber groß ziehen könne, und nur in westphälischen Dörfern kommt die Meinung vor, daß eine Kuh, wenn eine Schwalbe unter ihr weggeflogen sei, Blut statt Milch gebe. Sonst gilt die Schwalbe allgemein für glückbedeutend, ihr Fernbleiben für gefährlich und ihre Verletzung oder Störung für Frevel, der sich rächt. Im Pusterthal, bei Bühl in Schwaben sowie im Lechrain hat der, welcher eine Schwalbe tödtet, Unglück mit seinem Viehe, namentlich geben ihm dann die Kühe rothe Milch. Zu Nauders in Tirol stirbt dem Frevler Vater oder Mutter; in dem benachbarten Telfs „theilt sich bei solcher Unthat der Himmel“, das heißt es blitzt; im Oberinnthal folgt als Strafe, daß das Haus des Thäters binnen Kurzem niederbrennt. Zu Sarsans in Tirol sowie im Oetzthale kostet das Zerstören oder Ausnehmen eines Schwalbennestes die beste Kuh im Stalle. Ferner sind die Schwalben auch prophetische Vögel. In gewissen Strichen Westphalens muß man, sobald man die erste im Jahre kommen sieht, unter seinen Füßen nachsuchen, ob da ein Haar liegt. Findet sich eins, so ist es von der Farbe der Haare, welche die zukünftige Frau trägt. Ziehen im Unterinnthal die Schwalben während des Sommers aus einem Hause, so wird bald Jemand sterben. Wieder allgemein ist die (vielleicht richtige) Ansicht, daß Hochfliegen der Schwalben gutes Wetter, Tieffliegen schlechtes bedeute. Endlich kommt die Schwalbe in einem sympathetischen Zauberspruche des Harzes vor, mit dem Flechten beschworen werden und der folgendermaßen lautet:

„De Schwale und de Flechte,
De floge wohl ober dat wille Meer;
De Schwale, de kam wedder,
De Flechte nimmermehr.“

Ein sehr alter Aberglaube, der schon im dreizehnten Jahrhunderte aufgezeichnet wurde, ist der, daß die Störche, zu denen wir uns jetzt wenden, nur bei uns in Vogelgestalt leben, in den fernen Gegenden aber, nach denen sie von uns im Herbste wegziehen, Menschen sind, welche alle Jahre sich in Störche verwandeln. Diese Meinung, schon bei Gervasius von Tilbury zu finden, herrscht noch gegenwärtig in Ostpreußen. Auch in der Nachbarschaft von Uchte in Westphalen hält man die Störche für verwandelte Menschen und erklärt daraus ihr eigenthümliches Wesen. Wenn die Jungen flügge geworden sind, sollen sie hier in der Luft über dem Neste tanzen. Im Herbst ziehen sie mit den Alten fort, aber im nächsten Frühjahr kommen nur diese wieder. In Schwaben sagt man: wenn der Storch eine Zunge hätte, so würde er reden und dann Land und Leute verrathen, weil er Alles sieht und hört. Wo indeß etwas Besonderes vorgeht, giebt er noch immer ein Zeichen, indem er klappert. Sieht man den Storch zum ersten Male, so wird man, wenn er klappert, in diesem Jahre viel Geschirr zerbrechen, wenn er steht, faul sein, wenn er fliegt, fleißig arbeiten – sagt der Bauer in Mecklenburg und Hannover. In der Altmark aber bedeutet dann der fliegende Storch einem Mädchen, daß sie bald heirathen, der stehende, daß sie nächstens Gevatter stehen wird. In Niedersachsen heißt es, wenn man beim Anblick des ersten Storches Geld in der Tasche hat, so hat man dessen das ganze Jahr über. Allgemeiner Kinderglaube ist, daß der Storch die kleinen Brüder und Schwestern bringe. In Schleswig-Holstein und Mecklenburg rufen daher die Knaben ihm, wenn er über sie hinfliegt, zu:

„Attebar, Du goder,
Bring mi en lüttjen Broder,
Attebar, Du bester,
Bring mi ’ne lüttje Söster.“

In Schlesien meint man, wenn ein Storch über das Haus fliege, so gebe es darin bald ein Kind, und auf der Insel Rügen ist man der Ansicht, daß, wenn die Störche keine Eier legen, in dem Hause, auf dem sie nisten, keine Kinder geboren werden, und daß, wenn die jungen Störche sterben, auch die kleinen Kinder in dem Hause unter ihnen nicht am Leben bleiben. Auch der Storch ist unverletzlich, und auch er schützt das Haus, auf dem er sich ansiedelt, vor Wetterschlag – ein im Norden wie im Süden verbreiteter Glaube. Wer sein Nest zerstört oder ihn selbst tödtet, hat den Blitz zu fürchten – sagt man in Schwaben, und auf Rügen darf man auf ihn nicht schießen; denn wenn er angeschossen ist, so weint er große Thränen, von denen jede ein Vorzeichen großen Unglücks ist. Auf eine Beziehung zur Ehe weist ferner hin, daß man in Westphalen glaubt, der Storch verlasse das Dach, unter dem Unfrieden herrsche, und daß man in Schwaben wissen will, wenn die Störche sich im Herbste versammelten, um fortzuziehen, und unter ihnen sich ein „Ungrader“ befinde, d. h. ein Männchen oder Weibchen, das sich nicht paaren könne, so werde es von den Uebrigen todtgehackt. Ebenfalls hierher gehört der westphälische Aberglaube, nach welchem der Storch, der „unpaare“ Brut im Neste habe, eines davon für den Teufel herauswerfe. Naiv und komisch ist die im Oldenburgischen hier und da zu hörende Meinung, die herbstlichen Versammlungen der Störche seien Zusammenkünfte der Freimaurer, wobei mitunter auch einer todtgebissen würde. Wo man dem Storch ein Nest macht, was häufig durch Aufstecken eines alten Wagenrades, in dessen Speichen man Zweige flicht, bewerkstelligt wird, wirft er nach norddeutschem und schwäbischem Volksglauben das erste Jahr zum Danke eine Feder, das zweite ein Ei und das dritte einen jungen Storch herab.

Der Kukuk, der ebenfalls zu den Göttervögeln des deutschen Heidenthums gehörte, indem er zu Donar und Freia in naher Beziehung stand, gilt allenthalben als Prophet. Wenn er nach Johanni ruft, so giebt es nach der Meinung der tiroler Landleute Mißwachs oder einen kalten Winter. Schreit er auf einem Hause, so steht darin ein Todesfall oder sonst ein Unglück nahe bevor. In ganz Nord- und Mitteldeutschland und ebenso in Tirol und Schwaben geht die Rede, daß er Einem, wenn man ihn zum ersten Male im Jahre rufen höre, die Frage beantwortet könne, wie lange man noch lebe. Man zählt nach getaner Frage nach, wie oft er schreit, und so viel Rufe man vernimmt, so viel Jahre hat man noch zu erwarten. Fast ebenso allgemein glaubt man, wer beim Hören des ersten Kukuksrufes Geld in der Tasche habe, dem könne es im ganzen Jahre nicht daran fehlen; doch muß man in der Neumark, in dem westphälischen Büren und in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_354.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)