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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Böhmische Glasindustrie.
Von A. B.
(Schluß.)


Bei unseren Wanderungen in dieser so stark bevölkerten Gegend ist es auffallend, wie still und ruhig es in den Ortschaften zugeht, welche die Hausindustrie der Glasartikel umfassen. Auf der Landstraße begegnet man meistens Leuten, welche in kleinen Bündeln die Erzeugnisse ihrer Thätigkeit an die Handelshäuser abliefern, für welche sie beschäftigt sind. Die Zurückkehrenden nehmen das in den Rohglasniederlagen für einen Theil des Erlöses gekaufte Material zu neuen Arbeiten mit heim. Lange Reihen schwerbeladener Frachtwagen führen Massen großer und kleiner Kisten nach den nächsten Eisenbahnstationen, von wo aus diese Waaren die Weiterreise über das Meer nach fernen Welttheilen antreten.

Es ist ein schweres Leben, das die Bewohner der Gebirgsdörfer schon von Kindesbeinen an führen. Die armen Kleinen müssen bereits daheim von frühester Jugend an schaffen helfen und zum Erwerbe des oft kargen Lebensunterhaltes beitragen. Die Perlen, welche Vater und Mutter oder größere Geschwister gesprengt oder geschliffen haben, müssen die kleinen oft nur drei- oder vierjährigen Kinder auf Fäden reihen, Knöpfe oder allerhand Schmucksachen auf Cartonnagen befestigen, die etwas älteren Kinder müssen sogar mit den schweren Scheeren die beim Pressen des geformten Glases zurückgebliebenen Ränder entfernen, um so diese Gegenstände zum Schleifen vorzubereiten. Es ist oft rührend zu sehen, wie diese armen Kinder voll Aufmerksamkeit die ihnen übertragenen Arbeiten emsig verrichten. Nur verstohlen werfen sie zuweilen einen sehnsüchtigen Blick hinaus nach den schönen Bergen oder auf das Stückchen Garten vor dem Hause, wo nur Schmetterlinge und Käfer ungestört spielen dürfen. Das Spiel der fleißigen Kleinen hier heißt – Arbeit, und das Leben stellt ihnen meist für die Zukunft nur eine endlose Kette von Mühe und Anstrengung in Aussicht.

Welche Thätigkeit herrscht überhaupt in jenen einfachen, aber immer reinlichen Wohnungen, wo die Arbeitsstube freilich oft genug gleichzeitig Wohn- und Schlafraum sowie Küche für die ganze Familie abgeben muß! Bei dem Glasformer sitzen an einem kleinen Tische zwei oder drei Arbeiter. Jeder hat eine Lampe einfachster Art vor sich: ein kleines irdenes Gefäß, in dem ein durch Talgstücke genährter Docht brennt; Manche versteigen sich auch schon zu dem kostspieligeren Petroleum für ihre Lampen. Unter dem Tische ist für jeden Arbeiter ein kleiner Blasebalg angebracht, der mit dem Fuße in steter Thätigkeit gehalten wird und dessen nach oben geleitetes Rohr an der Lampe eine lange Stichflamme erzeugt. Den Stab der durch ihren starken Bleioxydzusatz so leicht schmelzbaren Glascomposition bringt nun der Former mit der einen Hand zur Flamme, während er, um z. B. einen Knopf zu fertigen, mit einer durch die andere Hand gehaltenen Zange einen Metallhenkel aufnimmt, an welchen er von der glühenden und sich fast so leicht wie geschmolzenes Siegellack verarbeitenden Masse durch gleichmäßiges Drehen so viel anlegt, bis der Knopf seine vorgeschriebene Gestalt erlangt hat. Dann werden auch sogleich noch die etwa zur Verzierung bestimmten Metallblättchen oder die aus anders gefärbtem Glase bestehenden Muster aufgelegt, und endlich wird der nun fertige Knopf vor seinem gänzlichen Erkalten in eine Metallform gedrückt, wodurch er gleichzeitig noch einen reicheren Glanz erhält. – Auf ähnliche Weise werden aus freier Hand Blumen und allerhand Gegenstände gefertigt, die uns den Formensinn des Arbeiters in höchster Entwickelung zeigen.

Es würde zu weit führen wenn wir auch nur oberflächlich die interessante Anfertigung der zahllosen Glaskurzwaaren hier beschreiben wollten, denn in jedem Häuschen findet man wieder irgend etwas Neues und Ueberraschendes. Aber auch der Naturfreund findet hier nicht minder seine volle Befriedigung. Von Gablonz führt unser Weg weiter aufwärts im Neissethale, welches die prächtigsten Punkte in Menge darbietet. Bald erreichen wir Wiesenthal, ein weit ausgedehntes Dorf von städtischem Aussehen. Hier steht die Fabrikation der Glaskurzwaaren seit langer Zeit in höchster Blüthe und hat sich wesentlich von hier aus auf die übrigen Orte ausgebreitet. Ebenso hat das zunächst gelegene Morchenstern gewaltig an fast großstädtischer Ausdehnung gewonnen. Zwischen den letztgenannten beiden Orten führt die prächtige Landstraße über den hohen Bergrücken, welcher die Wasserscheide für die Zuflüsse der Nord- und Ostsee bildet. Von diesem höchsten Punkte bietet sich eine überraschend schöne Aussicht. Gegen Westen erhebt das Jeschkengebirge bei Reichenberg seine dunkeln Massen, mit denen der Hintergrund des von uns eben verlassenen lieblichen Thales sich abschließt. Nach Osten zu aber eröffnet sich uns ein neues Thal, welches dem vorigen den Vorzug landschaftlicher Schönheit streitig zu machen scheint. Weit in der Ferne aber erblicken wir einen großen Theil des Riesengebirges.

Ein schon ziemlich ansehnliches Gebirgswasser, die Kamnitz, wird von jetzt an unser Begleiter, und bald erheben sich auch schon uns zur Seite auf’s Neue großartige Baumwollenspinnereien, welche sich die Kraft des Wassers zu Nutze machen. An die letzten Häuser des weit ausgedehnten Ortes Morchenstern schließt sich sogleich tiefer unten im Thale Tannwald an, wo auf kurze Zeit die Webe- und Spinnerei-Industrie die Anfertigung der Glasfabrikate überwiegt. Die Lage Tannwalds ist überaus romantisch und zu längerem Aufenthalte einladend; dabei herrscht hier ein reger Verkehr und geselliges Leben, dem Fußwanderer aber bieten sich prächtige Ausflüge in die Umgebung.

An Tannwald schließen sich unmittelbar Tiefenbach und Polaun. Hier beginnt nun neben der überall vertheilten Hausindustrie die Fabrikation des Rohglases in größeren Massen. Die größten Glashütten dieser Art befinden sich in Polaun, dann in Wilhelmsthal (Klein-Iser) und Wurzelsdorf. Sämmtliche drei Werke gehören einem einzigen Besitzer, Josef Riedel, der durch Intelligenz und Fleiß sich zu hoher Bedeutung emporgeschwungen hat und dessen vielseitigen Schöpfungen wir auch noch auf anderen Gebieten begegnen.

Zu der nahe an der Landstraße liegenden Polauner Glashütte führt der Weg durch lange Reihen von mächtigen Holzstößen, aus deren Asche, dem Phönix gleich, ein schöneres, glänzendes Gebilde hervorgeht. In dieser Hütte wird jetzt nur weißes Krystallglas producirt. Die weißglühende flüssige Masse wogt in zwei gewaltigen Ringöfen auf und nieder. Von den Formern und Glasbläsern werden hier mit metallenen Stäben oder Röhren kleinere oder größere Quantitäten der glühend-flüssigen Masse aus den Schmelzhäfen emporgehoben und entweder zu zierlichen Gläsern oder Flacons aufgeblasen oder in Formen zu massiven Gegenständen gepreßt. Selbstverständlich bedürfen alle diese Artikel nun erst noch des mühevollen, sorgfältigen Schleifens, um uns dann in ganzer Schönheit entgegen zu treten.

So interessant die verschiedenen Arbeiten in einer großen Glashütte stets für die Zuschauer sind, so anstrengend und aufreibend sind sie für die Arbeiter selbst. Die gewöhnlich fünf bis sieben Stunden anhaltende Beschäftigung vor dem weißglühenden Ofen, dem wir kaum bis auf einige Schritte zu nahen wagen, ferner das für die Lungen auf die Dauer so schädliche Glasblasen sind leider nur zu sehr dazu angethan, auf Gesundheit und Leben jener Leute einen keineswegs günstigen Eindruck auszuüben. Mancher dieser Arbeiter am Glasofen verdient sich täglich sechs Gulden und noch mehr. Aber der größte Theil dieses nur scheinbar hohen Lohnes geht oft für seinen Lebensmittelbedarf auf. Der von dem glühenden Ofen hervorgerufene Durst widersteht dem Wasser und ist nur durch Bier siegreich zu bekämpfen; so behaupten nämlich diese Arbeiter meist selbst. Dann aber gehört zur Ueberwindung des hitzigen Feindes stets eine so mächtige Colonne gefüllter Bierkrüge, daß ein solches Contingent gar nicht unter zwei Gulden täglich zu beschaffen ist. Dazu kommt nun noch, durch Gluth und Arbeit geweckt, ein Bärenhunger, zu dessen Stillung, schon wegen der so nöthigen Körperkräftigung, Kartoffeln und trockenes Brod auch nicht genügen. Man wird also begreifen, daß nur die kleinere Hälfte des scheinbar hohen Lohnes der Familie übrig bleiben kann.

Die oben erwähnten beiden anderen Glashütten desselben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_386.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)