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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

sich die größten Verdienste um die Schifffahrt auf dem hohen Meere erworben hat.

Wir legen gerade auf dieses deutsche Verdienst unseres Regiomontanus, unseres großes Todten, besonderes Gewicht, weil es Jahrhunderte lang und noch hart bis in die neueste Zeit nicht blos bei den seefahrenden Nationen, sondern in den regierenden Köpfen Deutschlands selbst zur Modeansicht geworden war, daß Deutschland vor Allem eine Landmacht sei und eigentlich auf der See gar nichts zu suchen habe. Hat doch noch im April 1861 eine der angesehensten englischen Zeitungen (die „Morning-Post“) aller Welt Folgendes kund und zu wissen gethan: „Der Wunsch nach einer deutschen Flotte ist ein nebelhaftes, weinerliches, albernes Sehnen und kann nur einem Volke, das in den Wolken lebt, in den Sinn kommen. Wenn es in Preußen einen Staatsmann gäbe, was nicht der Fall ist, wenn es im preußischen Ministerium

Die Denkmal-Statue des Regiomontanus zu Königsberg in Franken.

einen einzigen guten Politiker gäbe, was auch nicht der Fall ist, so würde er diesem Unsinn von einer deutschen Flotte ein Ende machen. Die Deutschen mögen die Erde pflügen, mit den Wolken segeln oder Luftschlösser bauen, aber nie seit dem Anfang der Zeiten hätten sie den Genius, das Weltmeer zu durchfurchen oder die hohe See oder nur die schmalen Gewässer zu befahren.“

Wenn wir auch diese Auslassungen eines Einzelnen nicht seinem ganzen Volke zur Last legen wollen, so bleibt es doch eine auffallende Erscheinung, daß es trotz der untrüglichsten Anzeichen für den Seefahrts-Beruf der Deutschen, so lange dauerte, bis derselbe auf den eigenen Thronen erkannt und endlich auch vom Auslande anerkannt worden ist.

Schon vor zweiundzwanzig Jahren habe ich (in Frömmann’s „Deutschlands Mundarten“) auf den merkwürdigen Seelenspiegel hingewiesen, den wir vom deutschen Volke in seiner Sprachkarte besitzen. Wenn wir nämlich auf der Landkarte von Mitteleuropa die Grenzen ziehen, bis zu welchen des deutschen Volkes Geist mit seiner Sprache vordrang und Herr wurde, so finden wir sofort, daß im Norden die deutsche Sprache ihre größten Triumphe feierte: dort hatte sie das halbe Norddeutschland erst für sich zu erobern, und machte sich zum Herrn der Ostseeküste weit über die Grenzen des deutschen Reichs hinaus. Die Religion drang kämpfend vorwärts, und wohin die Schwerter der deutschen Ritter nicht reichten, dahin trugen die Schiffe der Hansa deutsche Cultur und deutsche Sprache. Und so sehen wir beide noch heute herrschen von Dünkirchen in Frankreich bis Riga in Rußland. Wie zwei sehnsüchtig und liebend nach dem Meere ausgebreitete Arme strecken sich die Sprachgebiete nach Ost und West die Küsten entlang, – ganz so sehnsüchtig und liebend, wie das gesammte deutsche Volk zum Meere blickt. Wer verlangt ein unumstößlicheres Zeugniß für den Beruf der Deutschen zur Seeherrschaft, als uns die Sprachkarte von Deutschland giebt? Ist sie nicht wirklich hier das vollkommenste Spiegelbild der Seele des deutschen Volkes?

Nicht weniger deutlich und bedeutungsvoll spricht, abgesehen von der Geschichte der Hansa und der noch älteren der Angeln und Sachsen, die Thatsache für uns, daß die Schifffahrt ihre wichtigsten Fortschritte den Arbeiten deutscher Geister zu verdanken hat. Selbst die kühnsten Seefahrer blieben mit ihren Schiffen an die Küsten gebannt, bis unser Regiomontanus durch seine astronomischen Instrumente und Berechnungen sie in den Stand setzte, ihren Weg nach den Sternen zu finden. Das erste Dampfschiff fuhr am 27. September 1707 auf der Fulda von Kassel nach Münden; sein Erfinder, Dionys Papin, war zwar ein Franzose von Geburt, aber Professor der Physik an der deutschen Universität Marburg. Ebenso ist die wichtigste Verbesserung der Dampfschifffahrt durch die Schiffsschraube die That eines Deutschen, Joseph Ressel’s, dessen erster Schraubendampfer im Hochsommer 1829 von der Rhede von Triest aus seine Probefahrt hielt. Ein Deutscher war endlich auch der Erfinder der unterseeischen Schifffahrt, die sicherlich ihre Auferstehung feiern wird, und hoffentlich nicht wieder unter fremder Flagge. – Diese Zeugnisse für den deutschen Seefahrtsberuf wird man wohl gelten lassen müssen; nicht unbemerkt darf bleiben, daß Keiner dieser vier Männer an der See geboren ist, drei davon gehören sogar Süddeutschland an: Franken, Deutsch-Böhmen und Schwaben.

Ein freundliches Geschick will es, daß in derselben Zeit, wo zum ersten Male nach Jahrhunderten wieder eine deutsche Kriegsflotte achtunggebietend das Meer befährt, ein Erinnerungsfest den Namen des ersten der genannten vier Männer zu feiern hat, und an dieser Feier nimmt hiermit auch die „Gartenlaube“ Theil.

Wir kehren in das Städtchen Königsberg zurück, das heute im Festschmucke prangt. Johannes Müller ist der deutsche Name des Mannes, der sich nach der Gelehrtensitte seiner Zeit den latinisirten Namen Regiomontanus, d. h. der Königsberger, gab. Fast noch im Knabenalter bezog er die damals ebenfalls noch sehr junge Universität Leipzig, fand jedoch dort außer seinen philologischen Studien nicht, was er suchte, und wandte sich drei Jahre später (1451) nach Wien, wo Georg Purbach (nach seinem Geburtsorte auch Peurbach genannt) damals der einzige Lehrer der Astronomie in Deutschland war. Die Astronomie gehörte zu den Wissenschaften, welche im Abendlande völlig untergegangen, von den vor den hereinbrechenden Osmanen fliehenden Griechen mit den anderen Wissensschätzen des classischen Alterthums dahin zurückgebracht wurden. Der große Meister fand am jungen Schüler bald einen gereiften Mitstrebenden und Freund und arbeitete mit ihm gemeinschaftlich an der Erforschung und Ausbeutung der für ihre Zeit unschätzbaren astronomischen Reliquien des Alterthums, namentlich des „Almagest“, jenes von den Arabern so benannten „Lehrgebäudes der Astronomie“ des Ptolemäus und Hipparch, das noch bis in das vorige Jahrhundert das einzige Lehrbuch der Sternkunde war. Es ist ergreifend, zu sehen, wie beide Männer, noch befangen von der Annahme ihrer Zeit, daß die Erde feststehe, sich vergeblich abmühten, den Planetenlauf zu bestimmen. Dennoch erregten ihre Arbeiten ungemeines Aufsehen, und dies half auch ihren übrigen Bestrebungen zu manchem Erfolge. Ein Verdienst, das Jeder zu würdigen versteht, welcher begreift, wie schwer das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_469.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)