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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


hin und her, und in der Ferne erblickt man die Bauten des zoologischen Gartens am Westufer und eine Anzahl mächtiger Brücken, über welche von Zeit zu Zeit ein Eisenbahnzug hinwegbraust. Drunten im Thale tritt man in den Schatten hoher Baumkronen, sieht Equipagen und Reiter über die Kieswege jagen und findet auf breiter Rasenfläche, beschattet von Trauerweiden, die Bronzestatue des unvergeßlichen Lincoln. Das Denkmal, welches das dankbare Volk dem Andenken des hochverdienten Präsidenten weihte, liegt fast dicht am Fuße „der Hügel“.

Diese Hügel haben dadurch eine historische Bedeutung erlangt, daß sie von dem Landhause des berühmten Robert Morris gekrönt wurden, der auch die herrlichen Anlagen schuf, in deren dunkeln Schattenbäumen jetzt ein ganzes Heer bunter Singvögel nistet. Robert Morris war bekanntlich jener vortreffliche und patriotische Finanzmann, welcher Washington’s Unternehmungen im Freiheitskriege in so bewundernswerther Weise unterstützte. Morris sorgte für Waffen, Kleider, Lebensmittel und Geld während der langen Kriegsjahre, und als Washington endlich den letzten entscheidenden Schlag in Virginien ausführen wollte und es ihm hierzu an Mitteln gebrach, brachte Morris die für die damalige Zeit ungeheure Summe von 1,400,000 Dollars auf. Diese Unterstützung genügte, um die gekräftigte Armee nach Virginien zu führen, woselbst der britische Löwe Cornwallis mit seiner Armee bei Yorktown zur Uebergabe gezwungen wurde.

In der Independence-Hall zu Philadelphia glänzt das Portrait dieses wackeren Patrioten und auch das seiner Frau. Morris war ein behäbig und jovial aussehender Herr; um seinen Mund spielt ein feinsinniges Lächeln, und seine Augen blicken klug und entschlossen in die Welt. Ganz wie Benjamin Franklin trägt er ein ärmliches Gewand, und sein weißes Haar ist einfach und schlicht nach hinten gekämmt. Frau Morris dagegen präsentirt sich als eine fashionable Dame, die einen hohen Turban mit Straußfedern auf dem Kopfe trägt.

In dem gastlichen Hause des reichen Finanzmannes verkehrten lange Jahre die Helden der Republik, dann, mit einem Schlage, brach das Glück des Robert Morris zusammen, und „die Hügel“ kamen unter den Hammer.

Als der Congreß der unabhängigen Staaten nämlich sich seinen legislatorischen Aufgaben widmete, hatte Robert Morris für die Schuldhaft plaidirt und die Annahme derselben durchgesetzt. Später ließ er sich mit zwei Freunden in eine Speculation ein, die fehlschlug und in Folge der Treulosigkeit seiner Compagnons seinen Ruin herbeiführte. Morris wurde nun selber zur Schuldhaft verurtheilt, allein in Ansehung seiner hohen Verdienste um’s Vaterland bot man ihm die Freiheit an. Der charaktervolle Mann wies dieses Anerbieten standhaft von sich, indem er sagte: „Ein Gesetzgeber darf kein Gesetzbrecher sein.“ Vier Jahre blieb Morris im Gefängnisse, dann erlöste ihn das Bankerottgesetz. Bald nach seiner Befreiung starb der amerikanische Crösus, welcher die Hügel zum Schauplatze des ganzen Parks gemacht hatte, arm und verlassen in einer der dürftigsten Wohnungen der Stadt.

Auf den Hügeln findet man jetzt eine Restauration an der Stelle, wo das Landhaus von Robert Morris stand, dann ein Observatorium, zum Ausblicke über Stadt und Land, ferner ein epheuumranktes Blockhaus, welches Grant im Kriege zum Hauptquartiere von City-Point machte, und endlich den Platz, auf welchem man Alexander von Humboldt ein Denkmal errichten will. Der Entwurf zu dieser Statue ist bereits da; es fehlen nur noch die dreizehntausend Dollars, um denselben auszuführen.

Hinter den Hügeln findet man eine der schönsten und sicher die breiteste Brücke der Welt. Dieselbe ist aus Eisen construirt, sieht ungemein leicht und gefällig aus und verbindet die schöne Girard Avenue an der Ostseite mit der Westseite des Parks. Unter der Brücke öffnet sich dem Wanderer ein Felsentunnel, der ihn zu den romantischen Schluchten und Bergen des oberen Theiles des Ostparks führt. Selten habe ich einen so raschen und ergötzlichen Wechsel der Scenerie gefunden wie hier. Bald steigt man in eine tiefe schattige Schlucht hinab, in der ein Bach in wilden Sprüngen über die Felsen wirbelt und das Moos und die Baumwurzeln an seinen Ufern mit einem silbernen Sprühregen übergießt; bald kommt man auf sonnige Höhen, wo der schlanke Robin sein bronzeartiges Gefieder in der Sonne erglänzen läßt, und der schillernde Blauvogel in allen erdenklichen Tönen sein Weibchen lockt.

Auf dem Mount Pleasant liegt im Schatten uralter Bäume ein Landhaus, das an die Sommerresidenzen unserer Duodezfürsten aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts erinnert. Es ist ein steinerner Rococobau mit zwei Seitenpavillons. Erbaut wurde dieses Mount-Pleasant-Landhaus von John Macpherson, dem Vater des tapferen Revolutionshelden William Macpherson, und wenn ich nicht irre, dem Urgroßvater des kühnen und ritterlichen Birdseye Macpherson, der leider während des letzten Bürgerkrieges in Tennessee sein junges Leben ließ. Die idyllische Besitzung ging später in die Hände des Verräthers Benedict Arnold über, und zuletzt residirte hier unser braver Landsmann General von Steuben, dessen Portrait neben dem des Barons de Kalb im Sitzungssaale der Independence-Hall aufgehängt ist.

Ein rosiger Blumengarten, dessen Duft uns der Wind schon von Weitem entgegenträgt, bedeckt die zunächst liegenden Erdbeerhügel. An den Berghängen im Norden ragt die Todtenstadt von Laurel-Hill aus dem tiefen Grün der Baumgruppen hervor. Hier liegen in stiller Waldeinsamkeit die Familiengräber reicher Bürger Philadelphias. Wie auf dem Père Lachaise zu Paris, so wandelt man auch hier durch lange Gassen von Marmorobelisken, Mausoleen, Statuen und stolzen Sarkophagen. Ich habe selten einen friedlicheren Kirchhof gesehen, wie den von Laurel-Hill, allein das Vergnügen, hier schlafen zu dürfen, wird mit schwerem Golde aufgewogen. Ich sah einen mäßig großen Begräbnißplatz, der Tags zuvor für die stattliche Summe von fünfzehntausend Dollars erworben wurde.

Der nördlichste Theil des Ostparks wird vom Bache Wissahickon durchflossen, und hier nimmt die Scenerie den wildesten und romantischsten Charakter an. Vor hundert Jahren jagten hier noch die Indianer unter ihrem Häuptling Todyaseuny den Hirsch, als jedoch der Krieg ausbrach, folgten sie dem sagenhaften rothen Schwan, der Tag für Tag gen Westen zieht.

In das Dunkel dieser Wälder zog auch der deutsche Schwärmer Johann Velpius gegen Ende des siebenzehnten Jahrhunderts, um die Wiederkunft Christi abzuwarten. Mit seinen vierzig Anhängern saß der Fanatiker in den Höhlen beim Wissahickon und schmachtete nach dem tausendjährigen Reiche, bis ihn im Jahre 1708 der Tod von seiner Eremitage abrief. Die Jünger begruben ihren Meister, und da sie des unfruchtbaren Harrens müde waren, schlugen sie sich seitwärts in die Büsche und fingen an zu arbeiten.

Ganz am Rande des Parkes liegt Germantown, eine der ältesten Ansiedlungen Pennsylvaniens, berühmt durch das blutige Treffen, welches hier zwischen den Engländern und Washington’s Armee stattfand. Noch etwas weiter finden wir das Spring-Brook-Mansion zu Holmesburg, jenen prächtigen Landsitz des berühmten Tragöden Edwin Forrest, welchen dieser bei seinem Ableben der Schauspielergenossenschaft des Landes als Invalidenhaus vermachte. Hier können die alt gewordenen Histrionen die langentbehrten Reize des Landlebens genießen, bis sich auch über ihr Dasein jener dunkle Vorhang senkt, der die Scene für immer schließt, wenn auch die ganze Welt Bravo riefe.

Soweit der Ostpark; der Westpark ist in seinen nördlichen Partien wenig interessant; erst die Belmont-Schlucht, in welcher einst der irische Dichter Thomas Moore einen Sommer verbrachte, bietet mit ihren kühlen Quellen, bemoosten Felsen und verschlungenen Pfaden eine so reizende Wildniß, daß man aus ihrem tiefen Waldesschatten gar nicht mehr heraustreten möchte. Ersteigen wir die Höhe des einsamen Ridgelom oder die Terrasse von Belmont-Mansion, so breitet sich vor uns ein Panorama von staunenswerther Pracht aus. Der Blick schweift zu den Ufern des Schuylkill hinüber; im Südosten breitet sich Philadelphia aus, die friedliche Stadt der Bruderliebe. Aus dem Meere kleiner rother Ziegelhäuser ragen eine Anzahl stolzer Monumentalbauten auf, wie Riesen unter den Zwergen. Die hohe Kuppel da in der Ferne, welche im Sonnenlichte glänzt und flimmert, überwölbt das Schiff der Kathedrale von Sanct Peter und Paul. Der gewaltige Granitpalast mit seinen normannischen Erkern und Thürmen ist die Freimaurerhalle, und jenen weiße Marmorbau im griechischen Tempelstile, dessen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_477.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)