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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Formen sich so edel im Vordergrunde abheben, kennt man in ganz Amerika; es ist das Girard-College, in welchem alle Waisenknaben von Philadelphia die vortrefflichste Erziehung erhalten. Auf den Thüren dieses segensreichen Instituts steht laut dem Willen des Stifters Girardt: „Hier findet kein Priester Einlaß.“

Von Belmont-Mansion und dem danebenliegenden Observatorium übersieht man auch den dicht am Fuße des Hügels liegenden Ausstellungsplatz, der sich über das Lansdowne Plateau und die danebenliegenden Schluchten von George-Hill bis zum Sweet-Briar, einem Höhenpunkte am Schuylkill, erstreckt und von etwa hundertsiebenzig Bauten bedeckt wird.

Der von einer hohen Umfriedigung eingeschlossene Ausstellungsgrund hat beinahe die Gestalt eines Dreiecks, dessen Grundlinie von der Haupthalle und der Maschinenhalle gebildet wird. Diese beiden gewaltigen Bauten stellen eine fast ununterbrochene Front von viertausend Fuß dar. Der ganze Ausstellungsplatz umfaßt einen Flächenraum von zweihundertsechsunddreißig Acker.

Das aus Eisen und Glas gebaute Hauptgebäude gewährt einen recht imposanten Anblick. Die Farbe des Gebäudes ist die der hellen Bronze, doch sind die Kanten dunkel und bilden kräftige Linien. Ein Wald von Fahnen und Panieren flattert von den Thürmen und Dächern. Auch die Maschinenhalle ist ein ansehnlicher Bau, doch faßte die Commission hier wie beim Hauptgebäude mehr die praktischen Zwecke in’s Auge als die Schönheit der Architektur. Es galt vor allem bei diesen Kolossalbauten, die inneren Räume mit Licht und Luft zu versehen; dieses Resultat ist in glücklichster Weise erreicht worden.

Die Memorial-Halle, welche hinter dem Hauptgebäude und mit diesem in einer Parallele liegt, sollte ein Monumentalbau werden, und auf diesen verwandte man die Summe von 1,500,000 Dollars und betraute mit dem Entwurfe und der Ausführung des Gebäudes den deutschen Architekten Schwarzmann.

Unser genialer Landsmann hat mit diesem Werke einen glücklichen Wurf gethan. Der moderne Renaissance-Bau ist in hellem Granit ausgeführt, und seine stattliche Façade gewährt auf der hohen Terrasse einen erquicklichen Anblick. Das Centrum ist von einem hohen Dome überwölbt, welcher die Figur der Columbia trägt. Der Haupteingang im Centrum besteht aus drei mit korinthischen Säulen eingefaßten Bogenthüren, und das Centrum selbst ist mit den beiden Eckpavillons durch schöne Arcaden verbunden, welche den Blick auf kleine reizende Blumengärten gestatten. Die Ornamentation des Gebäudes ist sehr reich, aber nicht überall glücklich ausgeführt, namentlich steht die lange Columbia mit dem Kranze des Siegers so kerzengerade und steif auf der Weltkugel, wie ein Gedankenstrich auf dem Punkte. Wie ich höre, soll Schwarzmann auch die Absicht haben, Frau Columbia um ihre erhabene Stellung zu bringen und die Kuppel durch eine Gruppe zu schmücken. Um die breiten zur Terrasse führenden Treppen nicht ganz leer ausgehen zu lassen, hat man dieselben mit zwei Pegasussen geschmückt, denen die mit der Leier bewaffnete Poesie zur Seite geht. Dem Bildhauer wollte es nämlich absolut nicht gelingen, die Poesie, wie es sich gebührt, auf’s hohe Pferd zu bringen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die Flügel des edeln Dichterrosses der Reiterin keinen Platz für ihre Füße gewährten; so machte er aus der Noth eine Tugend und ließ die dichterische Muse neben dem Pegasus herlaufen. Die kolossalen Flügelrosse waren zuerst für das Wiener Opernhaus bestimmt, allein hier erregte es Anstoß, daß die Poesie neben dem Pegasus einherschreite, und man ließ das gewaltige Bronze-Ornament nicht auf’s Dach. Jetzt soll ein Amerikaner die verwaisten Flügelpferde erworben und der Ausstellungscommission zum Geschenke gemacht haben. Einem geschenkten Gaule schaut man bekanntlich nicht in’s Maul, zumal wenn derselbe ein Pegasus ist.

Das Innere der Memorial-Halle können wir uns bei gelegenerer Zeit betrachten. Nehmen wir den Weg durch eine von drei schlanken Brücken überspannte Waldschlucht, so erblicken wir auf der nächsten Höhe, umgeben von wahrhaft herrlichen Gartenanlagen, einen buntfarbenen maurischen Glaspalast, welchen gleichfalls der Architekt Schwarzmann erbaut hat. Dies ist die Horticultur-Halle, und ihre phantastische, echt orientalische Schönheit entzückt jeden Beschauer. Wie ein funkelndes Diadem krönt dieser luftige Bau die mit Rasenflächen, duftigen Blumenbeeten, blühenden Bosquets, Pavillons und Statuen bedeckte Höhe. Die herrlichen Anlagen ziehen sich von hier aus südwärts bis zu dem See vor der Maschinen-Halle, aus dessen Mitte eine mächtige Fontaine hervorschießt, und im Norden bis zu der Schlucht, welche die Horticultur-Halle von der Agricultur-Halle trennt. Die letztere gehört auch zu den großen Bauten und liegt mitten in einem Cedernwäldchen. Diese Halle besteht aus einem Mittelschiffe und drei Querschiffen, ist aus Holz und Glas im Spitzbogenstile gebaut und erinnert mit ihren gothischen Thürmen, grünen Dächern und gewaltigen Rosetten an den Eingangspforten an irgend einen mittelalterlichen Klosterbau.

Zu diesen Riesenbauten gesellt sich noch das gleichfalls sehr stattliche Ausstellungsgebäude der amerikanischen Regierung, welches in Form eines Kreuzes construirt ist, sowie der anmuthige Frauenpavillon. Damit ist jedoch die Aufzählung der schönen und interessanten Bauten noch lange nicht erschöpft. Da ist ein luftiger Sommerpalast der Japaner am Abhange einer waldigen Schlucht mit zierlichen Vorgärten zu erwähnen, dann ein schönes schwedisches Schulhaus, aus Fichtenholz gezimmert, ferner ein kleiner maurischer Palast, in welchem Kaufleute von Marokko Töpferwaaren und Teppiche ausstellen. In einer schönen Cottage zeigt die Singer’sche Firma ihre exact gearbeiteten Nähmaschinen.

An den schattigsten Plätzen erheben sich die Regierungsgebäude, unter denen das deutsche durch geschmackvolle Bauart hervorragt. Hierbei ist es nur zu bedauern, daß die deutsche Ausstellung mit dem hübschen Villenbau in gar keinem Einklang steht und sich nur durch Krupp’s große Kanone unter den übrigen Nationen hervorthut. Unter den Regierungsbauten amerikanischer Staaten sind die von New-Jersey, Ohio und Colorado besonders bemerkenswerth. Für die photographischen Werke ist auch ein besonderer Pavillon erbaut, dann hat man der Presse eine geräumige Villa als Hauptquartier eingerichtet; ferner findet man einen Pavillon, in welchem Reisebillets nach allen Punkten der Welt, soweit diese durch Dampfer und Eisenbahnen erreichbar sind, verkauft werden, und endlich eine Bank, ein Postbureau und andere Einrichtungen, welche den Zwecken des Publicums dienen. In ihrer Gesammtheit bedecken die Ausstellungsbauten ein Terrain, welches um ein Dritttheil größer ist, als das der Wiener Ausstellung. Da nun diese Bauten über das weite Terrain verstreut liegen, so hat man, damit sich der Besucher der Ausstellung nicht allzusehr mit Laufen plage, zwei Eisenbahnzüge mit offenen Sommerwagen eingerichtet, welche in munterem Tempo die schaulustige Menge durch die ganze Ausstellung führen. Diese Fahrt kostet nur fünf Cents, und man genießt dafür in raschem Wechsel den Anblick von Scenerien, welche in der That bewundernswerth sind. Auf dieser Fahrt bemerkt man auch das Zeltlager der Cadetten von Westpoint, welches gleichfalls einen Theil der Ausstellung ausmacht, dann ein gut eingerichtetes Feldhospital, ein Feldtelegraphen- und Signalamt, und was dergleichen Dinge mehr sind.

Ueber die Schlucht bei der Horticulturhalle fährt – nein, sagen wir lieber reitet – eine seltsam construirte Locomotive mit einem hohen Sommerwagen. Diese neuconstruirte Maschine soll einem ganz besonderen Zwecke dienen; sie soll nämlich die New-Yorker Stadteisenbahn befahren, welche auf hohen eisernen Pfählen über die Dächer und Straßen der Stadt geht. Von einer gewöhnlichen Locomotive befürchtet man doch, daß sie einmal in die leere Luft entgleisen und dann furchtbares Unheil anrichten könne. So hat man denn ein spitzwinkeliges Schienengeleise gebaut, auf welchem Locomotive und Waggons gleich einem Reiter sitzen. Der Zug ruht auf dem obersten Geleise, allein ein Kastenbau geht bis hinunter zu den breit auseinanderstehenden Schienen der Basis und klemmt sich hier mit wagerecht liegenden Rädern gegen diese Geleise fest. So wird ein Entgleisen ganz unmöglich und man fährt so gefahrlos über die tiefe Schlucht, als hingen die Schienen nicht in der Luft, sondern lägen auf der festen Erde.

Wie belehrend die Commission der Ausstellung nach jeder Richtung hin zu wirken suchte, geht am klarsten aus den Leistungen der Maschinenhalle und der Regierungsausstellung hervor. Vorläufig sei nur erwähnt, daß man die Firma Gillender und Sohn veranlaßte, eine vollkommene Glasfabrik als Ausstellungsobject einzurichten, in welcher große Oefen im Betrieb

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_478.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)