Seite:Die Gartenlaube (1876) 564.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


ganzen Gesellschaft war, denn er erhöhte mir schon nach den ersten Jahren Gehalt und Tantième in einer Weise, daß ich mit der Ehrlichkeit gerade so gut fuhr, wie die Anderen mit ihren Diebereien und wäre er am Leben geblieben, so hätte ich Wilicza nicht verlassen, trotz aller Chicanen der Fürstin. Sie wagte sich auch wohlweislich nicht an mich; sie wußte, daß, wenn ich einmal nach Altenhof schrieb und Herrn Witold reinen Wein einschenkte, es eine Explosion geben würde. So viel Einfluß besaß er denn doch noch auf seinen Pflegesohn, mir hier freie Bahn zu schaffen. Bei seinen Lebzeiten hatte ich Ruhe, aber als er starb, war es aus damit. Was hilft es, daß mein Contract mir die Selbstständigkeit meiner Stellung garantirt? Wenn die fortwährenden Eingriffe vom Schlosse aus geschehen und es die Mutter meines Gutsherrn ist, die sie anbefiehlt, dann heißt es entweder ertragen oder gehen, und ich habe lange genug ertragen – ich gehe jetzt.“

„Aber das ist ein Unglück für Wilicza,“ fiel der Assessor ein. „Sie waren noch der Einzige, der es wagte, der Fürstin einigermaßen die Spitze zu bieten, vor dessen scharfen Augen man eine heilsame Furcht hatte. Wenn Sie gehen, sind den geheimen Umtrieben hier Thür und Thor geöffnet. Wir von der Regierung“ – er legte jedesmal einen Nachdruck auf das Wort – „wissen am besten, was es heißen will, wenn die Nordeck’schen Güter mit ihrer riesigen Ausdehnung und ihrer verwünschten Lage so dicht an der Grenze unter dem Regimente einer Baratowska stehen.“

„Ja, sie hat es in den vier Jahren ziemlich weit gebracht,“ sagte der Administrator bitter. „Das ging vom ersten Tage an vorwärts, langsam, Schritt für Schritt, aber unverrückt auf das Ziel los, mit einer Energie, die man trotz alledem bewundern muß. Als vor Jahr und Tag die Pachtcontracte abliefen, da wußte sie es durchzusetzen, daß die Pachtgüter sämmtlich in die Hände ihrer Landsleute geriethen; sie bewarben sich darum und sie bekamen sie. Herr Nordeck erfuhr wahrscheinlich gar nicht, daß überhaupt noch andere Bewerber da waren. Aus der Forstverwaltung ist nach und nach jedes deutsche Element verdrängt worden; das ganze Personal besteht nur noch aus gehorsamen Dienern der Fürstin, und wie oft habe ich alle Energie aufbieten müssen, um meine deutschen Inspectoren und Aufseher in ihren Stellungen zu schützen. Aber es half zuletzt auch nichts mehr. Sie gingen freiwillig, weil sie die Widerspänstigkeit der Leute nicht mehr ertragen konnten. Wir wissen recht gut, von welcher Seite das Dienstvolk unaufhörlich aufgehetzt und gestachelt wird. – Meinen Nachfolger im Amte glaube ich auch schon zu kennen; er ist ein Trunkenbold, der so gut wie nichts von der Landwirthschaft versteht und Wilicza zu Grunde richten wird, wie die Pächter und Förster eben daran sind, es mit den anderen Gütern und den Waldungen zu thun, aber er ist ein Nationaler vom reinsten Wasser, und das entscheidet bei der Fürstin – der Posten ist ihm gewiß.“

„Wenn Herr Nordeck sich nur einmal entschließen wollte, hierher zu kommen,“ meinte der Assessor. „Er hat sicher keine Ahnung davon, wie es auf seinen Gütern zugeht.“

Frank zuckte die Achseln. „Unser junger Herr? Als ob der sich jemals um sein Wilicza gekümmert hätte! Seit zehn Jahren hat er es mit keinem Fuße betreten; er treibt sich lieber draußen in der Welt herum. Ich hoffte, er würde nach erlangter Mündigkeit endlich einmal auf längere Zeit kommen, und es hieß ja anfangs auch so, aber er blieb fort und schickte uns seine Frau Mutter her, die denn auch nicht säumte, das Regiment an sich zu reißen. Keiner von den Beamten verkehrt ja direct mit ihm – wir sind mit unseren Rechnungslagen, Einzahlungen, Anforderungen ausschließlich an den Justizrath in L. gewiesen. Uebrigens habe ich, ehe ich mich zum Gehen entschloß, noch das letzte Mittel versucht und an Herrn Nordeck selbst geschrieben. Ich wußte bereits, daß meine Stellung unhaltbar war, und da hielt ich es nach zwanzigjährigen Diensten denn doch für Pflicht, ihm die Wirthschaft hier auf seinen Gütern aufzudecken und ihm gerade heraus zu sagen, daß, wenn das so weiter ginge, auch sein Vermögen nicht mehr Stand halten würde. Vor vier Wochen sandte ich den Brief ab – glauben Sie, daß ich auch nur eine Antwort darauf erhalten habe? Nein, von der Seite ist nichts zu hoffen. – Aber über dem Aerger vergesse ich ganz, daß wir jetzt vollständig im Finstern sitzen. Ich begreife nicht, weshalb Gretchen nicht wie sonst die Lampe hereinbringt. Sie weiß wahrscheinlich nicht, daß Sie hier sind.“

„O doch!“ sagte der Assessor etwas pikirt. „Fräulein Margaretha stand im Hausflur, als ich auf den Hof fuhr, aber sie ließ mir nicht einmal Zeit zu grüßen, sondern lief in größter Eile die Treppe hinauf bis zur Bodenkammer.“

In Frank’s Gesicht zeigte sich eine leichte Verlegenheit. „Nicht doch, Sie täuschen sich wohl.“

„Die ganze Treppe hinauf bis zur Bodenkammer!“ wiederholte der kleine Herr mit Nachdruck, indem er die Augenbrauen in die Höhe zog und den Administrator ansah, als verlange er, dieser solle in seine Entrüstung einstimmen, aber Frank lachte nur.

„Das thut mir leid, aber da kann ich Ihnen beim besten Willen nicht helfen.“

„Sie können mir sehr viel helfen,“ rief der Assessor lebhaft. „Die Autorität des Vaters ist eine unbeschränkte, wenn Sie Ihrer Tochter sagen, daß es Ihr Wunsch und Wille ist –“

„Das thue ich unter keiner Bedingung,“ unterbrach ihn Frank mit ruhiger Bestimmtheit. „Sie wissen, ich lege Ihrer Bewerbung nichts in den Weg, denn ich glaube, daß Sie mein Kind aufrichtig lieben, und habe gegen Ihre Persönlichkeit und Verhältnisse nichts einzuwenden; sich das Jawort des Mädchens zu holen ist aber Ihre Sache, darein mische ich mich nicht. Sagt sie aus freien Stücken Ja, so sind Sie mir als Schwiegersohn willkommen, mir scheint freilich, Sie haben wenig Aussicht dazu.“

„Da täuschen Sie sich, Herr Frank,“ sagte der Assessor zuversichtlich, „da täuschen Sie sich ganz entschieden. Es ist wahr, Fräulein Margarethe behandelt mich bisweilen ganz eigenthümlich, sozusagen rücksichtslos, aber das ist nur die gewöhnliche Sprödigkeit junger Mädchen. Sie wollen gesucht, umworben sein, wollen durch ihre Zurückhaltung den Preis begehrenswerther machen. O, ich verstehe mich ganz ausgezeichnet auf dergleichen. Seien Sie unbesorgt – ich erreiche sicher mein Ziel.“

„Soll mich freuen,“ erwiderte der Administrator kurz abbrechend, da der Gegenstand des Gespräches mit der Lampe in der Hand soeben eintrat.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Ahasver der Kunst.

Das Jahr weiß ich nicht mehr anzugeben, aber an einem Wintervormittage in der ersten Hälfte der vierziger Jahre war es, als zu früher Stunde ein Fremder in meine noch halbstudentische Berliner Garçonwohnung trat, nachdem er vorher lebhaft und unter freundlichem Zunicken seinen Kopf durch die von ihm geöffnete Thür gesteckt und mir zugerufen hatte, daß er der Franz Wallner sei. Schon am Tage vorher hatte ich den Namen auf dem Zettel des Königstädtischen Theaters, den Gast selbst aber früher mehrfach mit ganz besonderem Ergötzen auf den Brettern dieser Bühne gesehen. Im Uebrigen wußte ich, daß wir hier und dort gemeinsame Freunde hatten, von denen er mir denn auch mündliche und schriftliche Grüße brachte.

Wallner stand damals in der Mitte der Dreißiger und war um ein Beträchtliches älter als der jugendliche Schriftsteller, den er durch seinen Besuch erfreut hatte. Schon sein Aeußeres mußte für ihn einnehmen. Er war von hohem Wuchse, und mit der bequem und doch elegant gekleideten, breitschultrig-stattlichen und doch geschmeidigen und schlanken Gestalt vereinigten sich die regelmäßigen Formen und feingeschwungenen Züge des etwas breiten und bleichfarbigen, von kurzgeschnittenem dunkelglänzendem Haar beschatteten Gesichts zu einem Ganzen von interessanter und anziehender Wirkung, besonders wenn der zuweilen etwas strenge und finstere Blick des beweglichen Auges unter den Eindrücken der Unterhaltung einem freundlichen Aufleuchten zu weichen begann. Wie die Außenseite, so zeigten auch Haltung und Benehmen, bei aller treuherzigen Ungezwungenheit, den

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_564.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)