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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


„Das meine ich allerdings. Die Fürstin mag Glanz und Pracht lieben, daß sie aber in einer Zeit wie die jetzige nur Sinn für Festlichkeiten haben sollte, traue ich ihr entschieden nicht zu. Diese großen Jagden und Bälle sind der einfachste und bequemste Vorwand, alle möglichen Persönlichkeiten in Wilicza zu vereinigen, ohne daß es besonders auffällt. Jetzt tanzen und diniren sie allerdings – man muß ja den Schein wahren – aber der größte Theil der Gäste bleibt über Nacht im Schlosse, und was geschieht, wenn die Kronleuchter ausgelöscht, möchte nicht ganz so harmlos sein.“

Der Assessor hörte mit gespannter Aufmerksamkeit diesen für ihn so interessanten Erörterungen zu; leider wurden sie unterbrochen, denn man rief den Administrator ab. Ein Krankheitsfall, der sein eigenes, sehr schönes Reitpferd betroffen, drohte eine ernste Wendung zu nehmen. Frank ging selbst, um nach dem Thiere zu sehen, und ließ die beiden jungen Leute allein.

Fräulein Margarethe wurde durch dieses unerwartete Alleinsein mit dem Assessor sichtlich unangenehm berührt; desto angenehmer war es offenbar dem Letzteren. Er drehte wohlgefällig sein Schnurrbärtchen, fuhr sich mit der weißen Hand durch die gekräuselten Haare und beschloß, die günstige Gelegenheit nach Kräften auszunutzen.

„Herr Frank hat mir vorhin mitgetheilt, daß er seine Stellung aufzugeben beabsichtigt,“ begann er. „Der Gedanke, ihn und die Seinigen nicht mehr in Wilicza zu wissen, würde mich unter anderen Umständen schwer getroffen haben, sozusagen wie ein Donnerschlag, aber da ich selbst nicht mehr allzu lange in L. bleiben werde –“

„Wollen Sie denn fort?“ fragte das junge Mädchen verwundert.

Der Assessor lächelte selbstbewußt. „Sie wissen ja, Fräulein Margarethe, daß bei uns Beamten mit der Beförderung meist eine Versetzung verbunden ist, und ich hoffe, nun baldigst Carrière zu machen.“

„Wirklich?“

„Ganz unzweifelhaft! Ich bin bereits Regierungsassessor, und das will in einem Staate wie der unserige Alles sagen. Es ist gewissermaßen die erste Stufe der großen Beamtenleiter, die direct zum Ministersessel empor führt.“

„Nun, bis dahin haben Sie doch noch ein wenig weit,“ meinte Gretchen in ziemlich mißtrauischem Tone.

Der kleine Herr lehnte sich mit einer Würde zurück, als sei der einfache Rohrstuhl, auf dem er Platz genommen hatte, schon der erwähnte Ministersessel.

„In Jahr und Tag läßt sich dergleichen allerdings nicht erreichen, aber für die Zukunft – man muß stets das Große im Auge haben, mein Fräulein; man muß sich immer nur die höchsten Ziele stecken; der Ehrgeiz ist der edelste Sporn des Beamten. Was mich speciell betrifft, so warte ich täglich auf den Regierungsrath.“

„Darauf warten Sie aber schon sehr lange,“ warf das junge Mädchen ein.

„Weil mir überall Neid und Mißgunst im Wege stehen,“ rief der Assessor mit aufwallender Empfindlichkeit. „Wir jüngeren Beamten werden ja von den Herren Vorgesetzten niedergehalten, so lange es nur irgend geht. Mir fehlte bisher die Gelegenheit, mich auszuzeichnen, jetzt endlich hat man die Nothwendigkeit eingesehen, eine Mission von Wichtigkeit in meine Hände zu legen. Seine Excellenz der Herr Präsident hat mir selbst die nöthigen Instructionen ertheilt und mich beauftragt, ihm persönlich Vortrag über das Ergebniß meiner Recherchen zu halten. Wenn es günstig ausfällt, so ist mir der Regierungsrath gewiß.“

Er blickte bei den letzten Worten so vielsagend zu der jungen Dame hinüber, daß sie unmöglich im Zweifel sein konnte, wer zur künftigen Regierungsräthin auserkoren sei, dennoch beobachtete sie ein hartnäckiges Schweigen.

„Dann würde wohl auch meine Versetzung erfolgen,“ fuhr der Assessor fort. „Wahrscheinlich sogar nach der Hauptstadt; ich habe einflußreiche Verwandte dort. Sie kennen die Hauptstadt noch nicht, mein Fräulein,“ und nun begann er das Residenzleben zu schildern, die dortigen Vergnügungen, die einflußreichen Verwandten und wußte das Alles äußerst geschickt um seine Person zu gruppiren. Gretchen hörte mit einem Gemisch von Neugier und Bedenklichkeit zu. Die glänzenden Bilder, die da vor ihr aufgerollt wurden, hatten doch viel Verlockendes für ein junges, in der Einsamkeit des Landlebens erzogenes Mädchen; sie stützte den blonden Kopf in die Hand und sah nachdenklich auf die Tischdecke. Das Bedenkliche der Sache lag für sie augenscheinlich nur in der unvermeidlichen Zugabe des jetzigen Assessors und künftigen Ministers. Dieser jedoch bemerkte seinen Vortheil recht gut und säumte nicht, ihn zu verfolgen; er rüstete sich zu einer Hauptattaque.

„Aber ich werde mich trotzdem einsam und verlassen fühlen,“ sagte er mit Pathos, „denn mein Herz bleibt doch hier zurück. Fräulein Margaretha –“

Gretchen erschrak; sie sah, daß der Assessor, der nach ihrem Namen eine große Kunstpause gemacht, jetzt aufstand, in der ganz unzweifelhaften Absicht, sich vor ihr auf die Kniee niederzulassen, aber die Feierlichkeit und Umständlichkeit, womit er diese Präliminarien der Liebeserklärung in Scene setzte, sollten verhängnißvoll für ihn werden – sie ließen dem jungen Mädchen Zeit, zur Besinnung zu kommen; sie sprang gleichfalls auf.

„Entschuldigen Sie, Herr Assessor – ich glaube – ich glaube, die Hausthür ist soeben in’s Schloß gefallen. Papa kann nicht herein, wenn er zurückkommt. Ich werde ihm öffnen –“ damit flog sie aus dem Zimmer.

Der Assessor stand mit seiner Kunstpause und den halb eingebogenen Knieen da und sah äußerst betroffen aus. Es war heute das zweite Mal, daß seine Auserwählte vor ihm die Flucht nahm, und diese Sprödigkeit fing nachgerade an, ihm unbequem zu werden. Es fiel ihm freilich nicht ein, an einen ernstlichen Widerstand zu denken; es war Eigensinn, Coquetterie, vielleicht sogar – der Bewerber lächelte – Furcht vor seiner Unwiderstehlichkeit. Man wagte augenscheinlich nicht, ihm das Ja zu verweigern, und floh nun in reizender Schüchternheit die Entscheidung. Dieser Gedanke hatte etwas außerordentlich Tröstendes für den Herrn Assessor, und wenn er auch bedauerte, wieder einmal nicht zum Ziele gekommen zu sein, so zweifelte er doch durchaus nicht an seinem endlichen Siege; er verstand sich ja so ausgezeichnet darauf.

Der Vorwand, den das junge Mädchen gebraucht hatte, war nicht ganz aus der Luft gegriffen. Die große Eingangsthür war wirklich, von einer unkundigen Hand geworfen, mit großem Geräusch in’s Schloß gefallen. Der Administrator brauchte nun freilich bei seiner Rückkehr nur vom Hofe aus die Magd zu rufen und sich öffnen zu lassen, aber daran schien seine Tochter gar nicht zu denken, denn sie flog wie der Sturmwind durch das Nebenzimmer in den Hausflur.

Ein Schmerzens- und ein Schreckensruf ertönten zu gleicher Zeit. Gretchen hatte die Thür, welche in den Flur führte, mit voller Gewalt aufgestoßen, gerade in dem Augenblicke, als von draußen Jemand die Hand auf die Klinke legte; der Fremde taumelte, von dem Anprall des Thürflügels getroffen, einige Schritte zurück und wäre wahrscheinlich hingestürzt, wenn sein Gefährte ihn nicht rasch umfaßt und gehalten hätte.

„Mein Gott, was ist denn geschehen?“ rief das junge Mädchen erschrocken.

„Ich bitte tausendmal um Entschuldigung!“ sagte eine schüchterne Stimme, im Tone außerordentlicher Höflichkeit.

Gretchen blickte verwundert auf den Mann, der sich so höflich entschuldigte, weil man ihn gestoßen, und der sich jetzt eiligst wieder emporrichtete, ehe sie aber noch Zeit zur Antwort fand, trat der zweite Fremde näher und wendete sich direct an sie.

„Wir wünschen Herrn Administrator Frank zu sprechen; man sagte uns, er sei zu Hause.“

„Papa ist augenblicklich nicht hier, wird aber sogleich kommen,“ versicherte Gretchen, der dieser späte und unerwartete Besuch eine große Erleichterung gewährte, denn er zeigte ihr einen Ausweg zwischen der Unhöflichkeit, den Assessor bis zur Rückkehr des Vaters allein zu lassen, und der Nothwendigkeit, ihm Gesellschaft zu leisten; sie führte die Fremden deshalb auch nicht in die Arbeitsstube Frank’s, wie es sonst gewöhnlich geschah, sondern dirigirte sie ohne Weiteres in das Wohnzimmer.

„Zwei Herren, die den Papa zu sprechen wünschen,“ sagte sie erklärend zu dem verwundert aufschauenden Assessor; dieser erhob sich; die Fremden traten grüßend näher, während das junge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_578.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)