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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


in derselben Zeit von 2733 Mark auf 322,620 Mark gestiegen, der Geschäftsumsatz von 11,511 Mark auf 1,391,242 Mark, der Reservefonds von 312 Mark auf 39,374 Mark, und während 1865 die Gesammtdividende 480 Mark nach Zuschreibung von 66 Mark Zinsen betrug, hat der Verein diesmal über einen Reingewinn von 46,228 Mark zu verfügen, nachdem 62/3 % auf das Mitgliederguthaben an Zinsen gezahlt oder gutgeschrieben sind.

Für die Steigerung des Umsatzes wie für den Umfang des Geschäfts in einzelnen Waaren geben folgende Zahlen einigen Anhalt, welche den Absatz 1865 und 1875 bezeichnen. Der Verkauf des Salzes stieg von 27,50 Centner auf 5773 Centner, des Zuckers von 14 auf 5348 Centner, der Soda von 7 auf 1470 Centner, der Waschseife von ½ auf 1101 Centner, des Reises von 2,35 auf 2168 Centner, des Kaffee von 8,30 auf 1810 Centner, der trockenen Gemüse (Bohnen, Erbsen, Hirse, Linsen, Graupen, Gries) von 16,48 auf 2618 Centner. Von den erst 1866 eingeführten Waaren ist der Verbrauch des Petroleums von 45,45 auf 6250 Centner, der Heringe von 4 auf 411 Tonnen, der Rosinen und Korinthen von 16,60 auf 587 Centner gestiegen, während der erst 1867 eingeführte Weinverkauf seitdem von 385 Flaschen auf rund 100,000 Flaschen angewachsen ist.

Mit der Vergrößerung des Umsatzes und der Steigerung der Zahl der Mitglieder stand selbstverständlich eine Erweiterung und Vermehrung der Geschäftslocale in Zusammenhang.

Das dunkle und enge Local in der Rosenstraße hatte der Verein schon im Frühjahre 1865 aufgegeben und war nach der gleichfalls in der Altstadt gelegenen Nicolaistraße übergesiedelt, wo der Verkaufsraum ein freundlicheres Ansehen hatte, während als Comptoir, Conferenzzimmer und Niederlage ein nur sechs Fuß hoher Raum diente, zu dem man auf einer leiterartigen Holztreppe emporkletterte. Bald wurde die Errichtung eines zweiten Lagers nöthig, 1867 die eines dritten und dann erfolgte in den Jahren bis 1870, in kurzen Zwischenräumen, nacheinander die Eröffnung von noch sechs anderen Verkaufsstellen. Der Vertrieb in diesen Läden, die ohne jeden Luxus eingerichtet, aber zur Bequemlichkeit der Mitglieder in den verschiedensten Stadttheilen errichtet waren, wurde meist früheren Arbeitern übergeben, die auf Wochenlohn und Tantieme gestellt wurden. Da der Einkauf sie Nichts anging, ein großer Theil der Waaren ihnen auch bereits verpackt und abgewogen übergeben wurde, so war Ehrlichkeit, Sicherheit im Rechnen, Schnelligkeit in der Expedirung und Aufmerksamkeit genügend, sie für den Posten zu qualificiren, und eine genaue Controle mußte das Uebrige thun. In weitaus den meisten Fällen hat der Verein mit der Auswahl dieser Detaillisten ohne kaufmännische Vorbildung Glück gehabt, und Verluste durch Schuld derselben sind nicht zu verzeichnen gewesen.

Der Einkauf der Waaren, also die eigentlich kaufmännische Thätigkeit, fiel dem Geschäftsführer zu, der dabei einen jungen Kaufmann und einige Comptoiristen zur Unterstützung erhielt, unter Mitwirkung des Vorstandes bei allen größeren Einkäufen. Das Ziel, den Verein von den einheimischen Kaufleuten zu emancipiren, war schon sehr bald erreicht, und bald zwang das Auftreten der Material- und Colonialwaarenhändler den Verein, für Colonialwaaren auch von den inländischen Grossisten sich großentheils abzuwenden und an den Seeplätzen seine Einkäufe zu machen.

So lange der Bedarf des Vereins bei den größeren Görlitzern Häusern gedeckt wurde und der Verkauf zu Tagespreisen stattfand, hatten ihn die Geschäftsleute unbehelligt gelassen, ja mit einem gewissen vornehmen Wohlwollen diese Bestrebungen zur Hebung des Arbeiterstandes besprochen. Das änderte sich aber mit einen Schlage, als der Verein Miene machte, für das gesammte Publicum die Preise zu reguliren. Von diesem Momente an begann der theils offen, theils geheim geführte Kampf gegen den „Verein“, wie er seit seiner großen Ausbreitung in der Bürgerschaft schlechtweg hieß und noch heißt. Abschneidung der Bezugsquellen und Auferlegung der Gewerbesteuer waren die Hauptwaffen, mit denen die Kaufmannschaft dem Verein zu Leibe ging, aber all diese feindlichen Maßnahmen trugen nur zur Hebung des Unternehmens bei.

Wie das immer zu geschehen pflegt, hatten sich auch diesmal die Genossenschafter, redlich bemüht, ihre Organisation zu verbessern und ihr Geschäft zu consolidiren, im der Zeit des Kampfes nur noch enger aneinander geschlossen. Man fühlte das Bedürfniß, auch außerhalb der Generalversammlungen Vereinsangelegenheiten zu besprechen und gesellig zu verkehren. So entstand das Lesezimmer, in dem für die Mitglieder unentgeltlich eine große Anzahl von Zeitungen und Journalen ausliegt, neben dem Versammlungssaale, an dem während des Winters fast jeden Sonnabend ein populärer Vortrag für die Mitglieder gehalten wird, beide für jetzt noch in gemietheten Räumen eines ehemaligen Privattheaters, da für diese Zwecke das Vereinshaus nicht ausreichte.

Ein Vereinshaus hatte nämlich bereits im Jahre 1867 die Genossenschaft erworben, ein stattliches altes Patricierhaus an der Petersstraße, unmittelbar neben dem ersten Verkaufslager des Vereins in der Rosenstraße. Die Geldmittel zum Ankaufe des für dem Verein sehr werthvollen Grundstücks wurden in kürzester Zeit gegen Ausgabe von Schuldscheinen von den Mitgliedern beschafft, und nun ward allmählich an den Ausbau des Hauses gegangen, in dem die Weinniederlagen, das Magazin, das Comptoir, das Cassenlocal, die Zuckerschneideanstalt sowie das erste Vertriebslager untergebracht wurden.

So sehr man aber auch die für Vereinszwecke benutzten Räume vermehrte, so wuchsen sie doch nicht in dem Verhältnisse, wie der Umfang des Geschäfts, und da überdies die Versendung der Waaren nach außerhalb, namentlich auch an die befreundeten Vereine, zunahm, welche den Vortheil des gemeinsamen Einkaufs mit dem Waareneinkaufsverein einsahen, da die Weinkeller nicht mehr ausreichten, für das Petroleum auswärts besondere Räume gemiethet werden mußten, überdies für das umfangreiche Kohlengeschäft der Erwerb eines Lagerplatzes an der Bahn nöthig wurde und eine baldige Verlegung der vom Vereine in gemietheten Räumen errichteten Bäckerei in Aussicht stand, auch die Anlegung eines Holzgeschäftes maschinelle Einrichtungen neben einem großen Lagerplatze verlangte, so wurde, sobald die Herstellung einer Schienenverbindung mit der Berlin-Görlitzer Bahn gesichert war, der Ankauf eines etwa zehn Morgen großen, später noch vergrößerten Grundstücks an der Rauschewalder Chaussee und der Bahn beschlossen und dort die Einrichtung des neuen Geschäftshauses des Vereins bewilligt. Die Abschachtung der überflüssigen Erdmassen und die Anschachtung der für die Kellereien bestimmten Räume übernahm die Berlin-Görlitzer Eisenbahngesellschaft.

Dieses Geschäftshaus des Vereins ist es, das sich dem Blicke des in den Görlitzer Bahnhof von Berlin her einfahrenden Reisenden darbietet. Einfach und schmucklos im Aeußern, ohne architektonische Zier, ist es doch wegen der außergewöhnlichen Zweckmäßigkeit seiner Einrichtung und der Solidität seiner Ausführung eine Sehenswürdigkeit von Görlitz und, wenigstens vorläufig, ein Unicum in Deutschland, da kein Consumverein und kein Kaufmannshaus Aehnliches aufzuweisen hat.

Man gelangt auf das Grundstück auf einer breiten Straße von der Chaussee her. Erst wenn man bis an den geräumigen gepflasterten Hof vorgeschritten ist, in dessen Mitte in stattlicher Reihe die Brod-, Kohlen-, Roll- und Flaschenwagen aufgefahren sind, bekommt man einen Begriff von der Ausdehnung des Gebäudecomplexes, der aus einem Stall- und Wirthschaftsgebäude als linkem Flügel, dem Mittelhause mit der Böttcherei und dem Magazingebäude mit anstoßendem Comptoirgebäude auf dem rechten Flügel besteht.

Der weiter nach hinten liegende Petroleumspeicher mit geräumigem Bassin zur Aufnahme des Petroleums bei etwaiger Feuersgefahr verräth, daß die den Hof einschließenden Gebäude nicht die einzigen sind, und geht man einige Schritte weit bis hinter das Comptoirgebäude, so erblickt man eine Anzahl kleiner Bauten, die sich an den Hauptbau anschließen, ein sehr zweckmäßig eingerichtetes Badehaus zu Dampf- und Wannenbädern für Beamte und Arbeiter, die Holzspalterei, in welcher mit einer Wiener Holzspaltmaschine dreizehn Klaftern Holz täglich gespalten werden, und neben dem Dampfschornsteine ein Maschinenhaus mit angrenzender Kaffeebrennerei, in der gleichzeitig drei Kaffeetrommeln mit je fünfundzwanzig Pfund Inhalt durch Dampfkraft bewegt werden.

Daneben liegen der Holzplatz und der Kohlenplatz, welche ebenso wie der Ladeperronschuppen an der hintern Seite des Magazingebäudes den Schienenstrang berühren, auf dem die Eisenbahnwaggons unmittelbar zum Entladen herangefahren werden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_601.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)