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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


der Zeitungen sind nach dem ersten Cyclus wieder abgereist. Der schöne Champagnerschaum der Spannung, der uns Alle umsprudelte, ist gefallen. Unsere Kehlen sind heiser; so oft und so viel haben wir uns ausgesprochen. Die Empfangsabende beim „Meister“ in der Gluthhitze gestalten sich auch nur zu einem Ein- und Ausgehen und geben nur Anlaß, die Riesennatur Richard Wagner’s zu bewundern, der ein neues Werk, „Parcival“, vollendet hat und in seiner Sphäre so munter und lebendig bleibt wie der Fisch im Wasser. Oft glaube ich, die Nervenstränge dieses Mannes bestehen aus Baßgeigensaiten, seine Adern aus metallenen Posaunenröhren und seine Herzkammern aus zwei Pauken. Und dabei äußerlich keine Spur von Ermüdung. Stets activ, ohne Ruhe und Rast. – Wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was man mir von seinen Proben erzählt hat, wie er die Sänger, Musiker, Arbeiter geschult und gedrillt hat, so könnte er den seligen Herrn Sisyphus ablösen; er brächte den Stein gewiß über den Berg.

23. August.     

Es ist vollbracht. Mit dem heutigen Abende ging der zweite Cyclus zu Ende. Die Aufführung der „Götterdämmerung“ war eine vollendete. Uns Allen kam diese seltsame Tonschöpfung heute merkwürdig verständlich vor. Das Wort „populär“ wage ich nicht zu gebrauchen, obschon es die Exaltados im Munde führen, allein, einmal entschlossen, keinen Vergleich mit der Oper anzustellen, sondern das Werk schauspielerisch-musikalisch aufzufassen, möchte ich beinahe die Behauptung aussprechen, „Götterdämmerung“ sei das am leichtesten zu fassende der vier Musikdramen.

Am Schlusse der Vorstellung brach ein Jubel aus, der – nach der Uhr gesehen – über zehn Minuten dauerte. Man wollte den Meister sehen, trotz seines Decrets, daß im Interesse der künstlerischen Einheit keine Demonstrationen stattfinden sollten. Also einfach eine Enthusiasmusrebellion, und die Damen waren die ärgsten Rebellen. Die Rebellion besaß zwar Tact genug, keinen Namen zu rufen, aber das Bravo und die Hochs wollten kein Ende nehmen.

Endlich öffnete sich die Gardine, und Richard Wagner erschien.

Athemlose Stille.

Der Meister bleibt in der Oeffnung der Gardine stehen, blickt nach rechts und links, macht ein Gesicht, das ganz deutlich zu sagen scheint: „Ich habe Euch ja erklärt, daß ich solche Demonstrationen verboten habe,“ und tritt mit einer stummen Verbeugung ab.


Es möge mir jetzt gestattet sein, aus dem Rahmen des „Tagebuches“ herauszutreten, um diesen Rahmen von Aufzeichnungen, Eindrücken und Arabesken durch ein übersichtlicheres Bild auszufüllen.

Den Mittelpunkt desselben bildet natürlich Richard Wagner selbst, obgleich er, verhindert, durch seine artistische Thätigkeit, welche ihn fast unausgesetzt in Anspruch nimmt, nicht so individuell scharf hervortritt, wie man wohl zu glauben versucht ist. Sein Aeußeres hat sich – man darf es sagen – zu seinem Vortheile verändert. Der verbissene, zusammengekniffene Mund ist weicher geworden; die stechenden Augen schillern mehr in Bonhomie hinein; der ganze, früher so scharfkantige habitus zeigt mehr Glätte als sonst, als hätte „Wahnfried“, wenn auch den „Frieden“ selbst noch nicht, so doch den Weg zum Frieden gefunden. Eines ist unbedingt an dem merkwürdigen Manne anzuerkennen, daß er nicht „Pose“ lebt, wozu die Huldigungen von Kaisern und Königen, Fürsten und künstlerischen Celebritäten doch so leicht verführen. Er hat sich im Umgange und in der Conversation die ungenirteste Natürlichkeit bewahrt, und diese ist durchaus nicht eine gesuchte.

Das Amt des „Repräsentirens“ hat Frau Cosima, die Tochter Liszt’s, übernommen. Diese Dame ist für den Meister eine wahre Perle; sie ist eine Arbeitskraft; sie erfüllt in der Gesellschaft für ihn alle Formen, zu deren Erfüllung ihr Mann nicht immer Zeit und Lust hat. Sie hat ein merkwürdiges Talent, ein echt französisches Talent, Jedermann irgend ein paar Worte zu sagen, über die man sich freut, und ein Dutzend Gespräche auf einmal zu leiten. Aber man sieht es ihr an, daß sie ihr eigentliches Element in den Kreisen der haute volée lieber erblickt, als in den Künstlerkreisen, und daß sie des Weihrauchs nicht entbehren kann. Man ist nicht ungalant, wenn man behauptet, sie sei auf ihren Mann noch mehr eitel als stolz. Es ist dies Frauenart. Die Damen lieben es, die Situation zu beherrschen, und wenn sie es können, ohne sich Blößen zu geben, so ist es verzeihlich.

Franz Liszt, untrennbar von den beiden Genannten, bildet gleichwohl einen Contrast zu seiner Tochter Frau Cosima. Auch ihm ist der „Hofsonnenschein“ Bedürfniß. Er ist ein musikalischer Tasso, der ohne platonische Leonoren nicht existiren kann. Aber Liszt hat sich in dieser Atmosphäre der Verwöhnung einen bezaubernd liebenswürdigen Charakter bewahrt, dessen Liebenswürdigkeit nie eine gesellschaftlich gezwungene ist. Sein ganzes Wesen ist in der That das eines Grandseigneur der Kunst.

Dies ist das Dreigestirn, welches man den Mittelpunkt der Gesellschaft zu Bayreuth nennen könnte, wenn nicht das ganze Leben und Treiben eine solche kunstrepublikanische Zwanglosigkeit zeigte, daß von einem directen Einfluß der drei Hauptpersonen im Kaleidoskop der Bayreuther Gesellschaft keine Rede sein konnte.

In „Villa Wahnfried“ findet allwöchentlich ein Empfangsabend statt, der selbstverständlich in der Bühnenfestspielzeit mehr von den Mäcenen als von den ausübenden Künstlern besucht wird. Frau Cosima vereinigte hier ihren weiblichen Generalstab, an der Spitze die Baronin von Schleinitz und die Verehrerin Liszt’s erster Classe, Baronin von Meyendorf aus Weimar. Um diese gruppiren sich dann Damen, wie die Comtesse Usedom, die Gemahlin des italienischen Ministers Minghetti, eine neapolitanische Schönheit, die französische Schriftstellerin Madame Catulle Mendès, eine Tochter Theophile Gautier’s etc. Eine gewisse exclusive Färbung läßt sich hier allerdings nicht wegleugnen.

Desto „aufgeknöpfter“ erscheint das Herrenpublicum. Die ungarischen Grafen Festetics und Appony, die Maler Meyerheim und Makart (dieser hat Wagner sein Gemälde „Das ägyptische Mädchen“ zum Geschenk gemacht, ein königliches Geschenk, denn für das Bild ist die Kleinigkeit von dreißigtausend Gulden geboten und ausgeschlagen worden), die Musikschriftsteller Richard Pohl, Schuré, der Leibarzt des Khedive von Aegypten, ein Dr. Sachs, der seinem Namen ein „Bey“ angehängt hat, der berühmte Chirurg und Anatom Esmarch, der bekannte Banquier Plato aus Berlin etc. bilden ein stehendes Corps an den Empfangsabenden.

Aber dennoch verschwindet deren sociale Bedeutung, weil der Hauptmagnet das Theater ist und bleibt. Doch darf eine Persönlichkeit aus dem Generalstab des Meisters nicht unerwähnt bleiben. Es in dies der Rentier Feustel aus Bayreuth selbst, die administrative Seele des ganzen Unternehmens. Ein stattlicher, ernsthafter Herr und durchaus frei von den Eigenthümlichkeiten sogenannter Theaterenthusiasten, wie denn Wagner wirklich das seltene Glück gehabt hat, daß sich fast durchweg Ausnahme-Naturen von Anfang an für sein Unternehmen erwärmten. Aber, wie gesagt, ein compacter gesellschaftlicher, tonangebender Mittelpunkt konnte sich in der artistischen Republik, die in der Festspielzeit von selbst entstand, nicht bilden, und es ist nicht ohne Interesse, zu constatiren, daß die meisten Stammgäste von „Villa Wahnfried“ von diesem Sammelplatz aus das Angermann’sche Bierlocal aufsuchten und sich sehr gemüthlich demokratisierten. War „Villa Wahnfried“ das „Capitolium“ des Senats, so blieb die Angermann’sche „Kneipe“, das „Forum“, wo die „Senatoren“ am häufigsten anzutreffen waren.

Auffallend schwach war in der Gesellschaft die hohe Finanzwelt vertreten, obgleich sie sich an der Zeichnung von Patronatsscheinen betheiligt hatte. Vermuthlich ruhte sie in den Bädern von den Börsenstrapazen aus und hatte über ihre Karten zu Gunsten Anderer verfügt. In Summa könnte man, um das gesellschaftliche Bild zu kennzeichnen, dasselbe ganz passend eine „Molecularbewegung“ nennen. Menschen mit bekannten Köpfen tauchten auf und verschwanden, um wieder aufzutauchen. Die mangelhaften Localitäten verboten sogar, daß sich bestimmte Personen bei Tische regelmäßig zusammenfanden, wie es in Badeorten zu geschehen pflegt. Die Bayreuther Gesellschaft war das Bild der ewigen Unruhe: sie fieberte, wie die Klänge der „Zukunftsmusik“ selber.

Damit gelangen wir denn zu einem Schlußblicke auf das Kunstwerk.

Wenn ich wiederholt bekenne, daß ich an die Einbürgerung dieses Kunstwerks auf unseren Bühnen nicht glaube, oder, falls

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 621. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_621.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)