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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


„Gegen wen?“ rief die junge Gräfin mit flammenden Augen, als er inne hielt.

„Gegen die Braut meines Bruders.“

Wanda zuckte zusammen – seltsam, das Wort traf sie wie ein jäher schmerzlicher Stich; ihr Blick heftete sich unwillkürlich auf den Boden.

„Ich habe es bisher versäumt, Ihnen meinen Glückwunsch abzustatten,“ fuhr Waldemar fort. „Wollen Sie ihn heute annehmen?“

Sie neigte mit stummem Danke das Haupt; sie wußte selbst nicht, was ihr die Lippen schloß, aber es war ihr unmöglich, in diesem Augenblicke irgend eine Antwort zu geben. Es war das erste Mal, daß dieser Gegenstand zwischen ihnen berührt wurde, und mit der bloßen Erwähnung schien es auch schon genug zu sein, denn auch Waldemar fügte seinem Glückwunsche nicht eine einzige Silbe hinzu.

Der gelbe Schein am Himmel war längst verblaßt, und ein ödes trübes Grau an seine Stelle getreten; der Abendwind strich durch die halbentlaubten Gebüsche und rauschte in den Kronen der Bäume, die zum Theil noch den bunten Blätterschmuck trugen, aber er hing welk und matt an den Zweigen, und jetzt sank Blatt an Blatt hernieder und deckte den Rasen und die stille, dunkle Fläche des kleinen Sees. Es rauschte und flüsterte in dem dürren Laube wie eine leise Herbstesklage um all das Leben, das gegrünt und geblüht hatte im Sonnenglanze und nun zu Grabe ging. Düster stand der Wald mit seinen unheimlich dämmernden Schatten, hier auf der nebelathmenden Wiese aber wallten die feuchten Schleier immer dichter empor, schwebten hierhin und dorthin und ballten sich über dem Gewässer zusammen. Dort stand es jetzt wie ein weißes gespenstiges Luftgebilde, unruhig wogend und wallend, und griff mit seinen feuchten Nebelarmen nach den Beiden am Rande des Sees, als wollte es sie zu sich hinüberziehen, und zeigte ihnen tausend Bilder und Gestalten, eins das andere verdrängend, eins in das andere fließend, in endlosem Wechsel.

Man hörte nichts als das einförmige Rauschen des Windes, das leise fallende Laub, und doch klang es daraus hervor wie fernes, fernes Meeresbrausen, und aus dem wogenden Nebel tauchte es empor wie eine Fata Morgana, die grünen Zweige uralter mächtiger Buchen, umleuchtet von dem letzten Abendgolde, die blaue wogende See in ihrer unermeßlichen Weite. Langsam sank der glühende Sonnenball in’s Meer, und aus der Lichtfluth, die sich über die Wellen ausgoß, stieg sie wieder auf, die alte Wunderstadt der Sage, umwoben von Märchenduft und Zauberglanz; das Wunderreich that sich wieder auf mit seinen unermeßlichen Schätzen, und aus der Tiefe klangen die Glocken Vinetas, immer voller, immer mächtiger, wie sie geklungen hatten in jener Stunde auf dem Buchenholm.

Sie hatte nicht Wort gehalten, die Märchenstunde, wenigstens den Beiden nicht, die sie damals mit einander erlebten. Fremd und feindselig hatten sie sich getrennt; fremd und feindselig waren sie wieder einander begegnet, und so standen sie sich noch gegenüber. Der Jüngling war zum Manne geworden, der kalt und einsam durch das Leben ging; das Kind war zu einem Weibe voll Schönheit und Glück herangereift, aber was jene Stunde ihnen gegeben, das hatten sie Beide doch nie wieder empfunden; erst an diesem düstern Herbstabende wurde es wieder lebendig. Und als die Erinnerung jetzt zu ihnen herüberwehte, da versanken die Jahre, die dazwischen lagen, versanken Haß, Streit und Erbitterung, und nichts blieb zurück als das tiefe unaussprechliche Sehnen nach einem ungekannten Glück, das zum ersten Male aufgewacht war unter den Geisterklängen Vineta’s – nichts als der Traum beim Sonnenuntergange.

Waldemar war der Erste, der sich daraus emporiß; er fuhr heftig mit der Hand über die Stirn, als müsse er sich gewaltsam losreißen von all den Bildern und Gedanken.

„Wir thun wohl besser, nach der Försterei zurückzukehren und die Jagd dort zu erwarten,“ sagte er hastig. „Es fängt an zu dämmern und – man kann ja nicht athmen in diesem Nebelmeere.“

Wanda stimmte ihm sofort bei; auch sie wollte nicht länger sehen, was dieses Nebelmeer ihr zeigte, wollte diesem Zusammensein ein Ende machen um jeden Preis. Sie nahm die Schleppe ihres Reitkleides auf und machte sich zum Gehen bereit. Waldemar warf die Flinte über die Schulter, plötzlich aber hielt er inne.

„Ich habe Sie vorhin beleidigt mit meinem Verdachte; vielleicht war ich ungerecht. Aber – seien Sie aufrichtig gegen mich! – galt die halbe Abbitte, zu der Sie sich herabließen, wirklich Waldemar Nordeck? Oder galt sie nicht vielmehr dem Herrn von Wilicza, mit dem man eine Versöhnung sucht, damit er zuläßt oder doch wenigstens übersieht, was auf seinen Gütern geschieht?“

„Sie wissen also – –?“ fiel Wanda betreten ein.

„Genug, um Ihnen jede Besorgniß darüber zu nehmen, daß Sie vorhin unvorsichtig gewesen sind. Hat man mich wirklich für so beschränkt gehalten, daß ich allein nicht sehen sollte, was man sich sogar schon in L. erzählt, daß Wilicza der Sitz eines Parteigetriebes ist, dessen Seele und Mittelpunkt meine Mutter bildet? Sie dürfen mir ohne jede Gefahr zugeben, was bereits die ganze Umgegend weiß – ich wußte es, ehe ich hierher kam.“

Wanda schwieg; sie versuchte in seinen Zügen zu lesen, wie viel er bereits wisse, aber in Waldemar’s Gesicht ließ sich nun einmal nicht lesen. Es war und blieb verschlossen.

„Doch davon ist ja jetzt nicht die Rede,“ hob er wieder an. „Ich bat um Antwort auf meine Frage. War der Act der Selbstüberwindung vorhin ein freiwilliger oder wurde nur ein – Auftrag vollzogen? O, fahren Sie doch nicht so entrüstet auf! Ich frage ja nur, und Sie müssen es mir schon verzeihen, Wanda, wenn ich mißtrauisch bin gegen eine Freundlichkeit von Ihrer Seite.“

Die junge Gräfin hätte diese Worte wahrscheinlich als eine erneute Beleidigung angesehen und demgemäß geantwortet, hätte nicht etwas darin gelegen, das sie wider ihren Willen entwaffnete. Waldemar’s Haltung war eine andere geworden, seit er in den Nebel dort geblickt hatte; es fehlte das Eisige, Feindselige darin, auch seine Stimme klang anders als vorhin, weicher, halb verschleiert, und Wanda bebte leise zusammen, als er zum ersten Mal wieder nach Jahren ihren Namen aussprach.

„Wenn meine Tante mich einst unbewußt zum Werkzeuge ihrer Pläne benutzte, so rechten Sie mit ihr darüber und nicht mit mir!“ entgegnete sie leise, und es war, als habe eine unsichtbare Macht den Stachel aus ihren Worten genommen. „Ich ahnte nichts davon; ich war ein Kind, das nur den Eingebungen seiner Laune folgte. Jetzt aber –“ sie hob mit ihrem ganzen Stolze das Haupt – „jetzt stehe ich selber ein für mein Thun und Lassen, und was ich vorhin that, geschah auf meine alleinige Verantwortung. Sie haben Recht, es galt nicht Waldemar Nordeck; er hat mir seit unserem Wiedersehen keine Veranlassung gegeben, eine Versöhnung mit ihm zu suchen oder auch nur zu wünschen; ich wollte den Herrn von Wilicza zwingen, endlich einmal das geschlossene Visir zu öffnen. Es bedarf dessen nicht mehr. Seit der heutigen Unterredung weiß ich, was ich bisher nur ahnte, daß wir in Ihnen einen erbitterten, erbarmungslosen Gegner haben, der seine Macht im entscheidenden Augenblick brauchen wird, und müßte er auch alle Bande der Familie und der Natur mit Füßen treten.“

„Und an wen sollen mich denn diese Bande ketten?“ fragte Waldemar finster. „An meine Mutter vielleicht? Wir wissen es beide, wie wir mit einander stehen, und sie vergiebt es mir jetzt weniger als je, daß ich der Erbe des Nordeck’schen Reichthums geworden bin und nicht ihr Jüngstgeborener. An Leo? Es ist möglich, daß so etwas wie Bruderliebe zwischen uns existirt, aber ich glaube nicht, daß sie Stand halten wird, wenn unsere Wege sich kreuzen, wenigstens von seiner Seite nicht.“

„Leo wäre Ihnen gern als Bruder entgegen gekommen, wenn Sie es ihm nicht unöglich gemacht hätten,“ fiel Wanda ein. „Unzugänglich waren Sie immer, auch für ihn, aber es gab doch früher Momente, wo er Ihnen näher treten konnte, wo man eine Ahnung davon erhielt, daß Sie Brüder seien, jetzt dagegen hieße es seinem Stolze zu viel zumuthen, wenn er noch länger versuchen wollte, die eisige Abwehr zu durchbrechen, mit welcher Sie ihm und Allem gegenüberstehen, was Sie hier umgiebt. Es wäre ganz vergebens, wenn Mutter und Bruder Ihnen Liebe entgegentragen wollten; sie würde zerschellen an einer Härte, die nichts nach ihnen und nichts nach irgend Jemand in der Welt fragt.“

Sie hielt inne, denn Waldemar stand dicht neben ihr und sein Auge traf unmittelbar das ihrige.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_628.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)