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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


mit Widerhaken versehenen Spitzen bestehende Stecheisen befestigt und der Eisschlitten, welcher wie ein Schlittschuh mit zollhohen dünnen und scharfen Schienen besohlt ist, bestiegen. Auf der äußersten hinteren Kante desselben stehend, fährt der kräftige und gewandte Aalpeeker, wie aus der Pistole geschossen, mit wahrhaft rasender Geschwindigkeit, auf der glatten Eisfläche dahin. Mit beiden Armen, unablässig und schnell auf- und niederfahrend, stößt er die bewegende Kraft und das Steuer seines Schlittens, die scharf eingreifende Pike, zwischen seinen Beinen nach hinten und nach der Seite und kann dadurch eine kaum glaubliche Geschwindigkeit erzielen, da er drei- bis viertausend Schritt in acht bis zehn Minuten zu durchmessen im Stande ist.

Unser Aalstecher ist nun in seinem sausenden Tempo auf der Wahlstatt angelangt; die Axt hat ein Loch in das Eis gehauen, und vorsichtig ohne vieles Geräusch wird der Speer in die Tiefe hinabgelassen.


Ausfahrt der Prinzessinnen von Jagdschoß Glienicke (vergl. Seite 669).
Originalzeichnung von Hermann Lüders.


Hier, auf dem körnigen Sande, auf der grünen Decke von Seetang und zwischen den Steinen des Bodens liegen die glatten Aale oft in großer Anzahl dicht beisammen „so wohlig auf dem Grund“ und sind „keines Ueberfalls gewärtig“; da fährt einem die scharfe Spitze in den Leib und er wird emporgehoben, trotz aller schlangenartig sich windenden, heftig schnellenden Bewegungen seines muskulösen Körpers. Ja oftmals winden und wickeln sich zwei und mehr Leidensgenossen um Eisen und Stange des räuberischen Erdensohnes, wenn sie allzudicht bei einander gelegen. Dieses Aufpeeken ist aber nicht immer so leicht und erfolgreich, wie man vielleicht glaubt, da der Aal, obgleich in lethargischen Zustande, doch bei der leisesten Berührung erwacht und mit instinctiver Beweglichkeit, den Feind ahnend, sich seitwärts fortschnellt. Zu meinem Leidwesen habe ich oft, ehe ich Uebung und Kenntnisse hatte, meinen Speer, den ich erfolgreich, wie ich glaubte, in den glatten Körper gestoßen, leer heraufgezogen. Hat man dagegen erst einige Geschicklichkeit erlangt und besitzt man eine gewisse Spürkraft, so fühlt man, wenn die Spitzen den Boden berühren, sofort das weiche Fleisch und stößt dann nicht mehr so leicht in den Sand. Ein fleißiger und geschickter Mann ist im Stande zehn und zwanzig Pfund Aale an einen Tage aufzuheben, wofür er vier bis acht Reichsmark an Ort und Stelle erhält.

Die dritte und Haupterwerbsquelle des nordischen Fischers ist aber unstreitig der Fang des Härings, da dieser dem Menschen fast unentbehrlich gewordene Magentrost stets in größeren Massen auftritt und also auch im Großen gefangen werden kann. Die Frage, ob der Schöpfer das Salz für den Häring oder den Letzteren für Ersteres geschaffen, ist schon oft von naiven Kindsköpfen aufgestellt worden, und neulich hat sogar eine Binnenländer und Beamter in einer kleinen Stadt mich allen Ernstes gefragt, woher es doch komme, daß gerade der Häring schon fertig gesalzen aus dem Meere gezogen würde, während die anderen Seebewohner noch, um genießbar zu werden, einen Zusatz der unentbehrlichen Beize bedürften. Da dem guten Manne so geringe Gaben attischen Salzes in Hirn und Blut übergegangen und ich seinen blöden, bureaukratischen Augen den Ernst und Kinderglauben ansah, so erklärte ich ihm in mildester Form seinen Irrthum und freute mich über sein ungekünsteltes Erstaunen. Der Mann hatte übrigens studirt und Examina gemacht, darf also getrost seine Unkenntniß der Naturgeschichte den krumm- und geradenasigen sogenannten großen Römern und Griechen und deren Interpreten in’s Conto zur Belastung schreiben.

Um aber wieder auf besagten Salzfisch zurückzukommen, den man füglich im Vereine mit der Kartoffel in der Schale den Trost der Armuth, zugleich aber auch den Wiederhersteller des Gleichgewichts nennen muß, das dem Magen des Schlemmers verloren gegangen, so werden wir wieder, wie immer, bekennen müssen, welche große Weisheit und Voraussicht die Schöpfung bei der Massenproduction des Härings entwickelt hat, und wollen wir darum den Wanderburschen vom hohen Norden, der in silberglänzenden mit grünem Rücken versehenem Gewande zu uns herniedersteigt, etwas näher betrachten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_667.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)