Seite:Die Gartenlaube (1876) 745.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


den größer gewordenen, tief umschatteten Augen nur immer ansah, zuckte bei dieser Frage zusammen.

Valentine ergriff ihre beiden Hände und zog sie neben sich auf einen Sitz. „Was ist Ihnen widerfahren, mein Kind?“ fragte sie leise.

Monika sah die unverfälschte Theilnahme, die sich in jedem Zuge des Gesichtes aussprach, welches sich ihr entgegenbeugte; ihre Seele zerschmolz vor diesen milden Augen. Sie warf sich mit ungestümer Bewegung auf die Kniee und drückte ihren Kopf in des Fräuleins Schooß.

„Mein Fritzel ist todt, Fräulein. Ueberfahren ist er worden, auf der Bahn. Sein eigener Vater – sein Vater legte selbst den Wechsel um, der den Zug vor Schaden bewahrte, und das Kind –“

„Das seid Ihr gewesen?“ rief Valentine erbebend; „mein Gott, das habe ich mir nicht träumen lassen. Wir hörten vor einigen Wochen davon erzählen; die heroische That des Bahnwärters ging ja wohl durch alle Zeitungen. Als ich davon erfuhr, wurde kein Name bezeichnet, und ich selbst nehme selten eine Zeitung in die Hand. Arme, ärmste Monika! Und unser braver Huber – kaum faß’ ich noch so Schreckliches! Wo blieb Ihr Mann? Er ist wohl schon zum Felddienst eingezogen?“

Monika sah auf. „Mein Mann – ja, der ist eingezogen, der ist im Kriege. Ich hab’s gestern erfahren. Der Bahnmeister hat mir das Geld für unsern Hausrath geschickt, den sie dort verkauft haben. Dabei schreibt er, daß der Huber zu seinem Regimente ist.“

„Sie waren also schon zuvor hier?“ fragte Valentine mit leisem Befremden. „Freilich kann ich mir denken, daß es Ihnen schwer fiel dort auszuhalten. Huber sah es wohl selbst gern, daß Sie für eine Weile nach Hause gingen – wer konnte voraus wissen, was geschehen würde! Wie hart nun aber für Sie! All den Jammer allein tragen, auch noch Angst um den Mann auf der Seele, ihn selbst so trostlos in der Fremde zu wissen – arme, gute Monika, wie fühle ich all Ihr Leid mit! Nicht einmal Abschied durften Sie nehmen vor solcher Trennung auf Leben und Tod.“

Monika stand auf. „Wir haben schon von einander Abschied genommen, Fräulein,“ sagte sie in verändertem Tone und strich sich das wirre Haar von der Stirn zurück. „Ich bin von ihm fortgegangen, und wäre weggeblieben auch ohne den Krieg.“

„Ich verstehe Sie nicht.“

„Sie verstehen das nicht? Fräulein, wenn Ihr Liebstes auf der Welt todt und kalt vor Ihnen läge, elend verstümmelt – und Sie wüßten Einen, der schuld daran ist, könnten Sie mit Dem zusammen bleiben, oder gar ihn noch – noch – gern haben?“

„Monika, welche Gedanken!“ rief Valentine erschrocken. „Ist es möglich, daß Sie Ihrem braven Mann sein grenzenloses Unglück zum Vorwurfe machen! Jeder, der von seiner That hörte, hat seine Opferwilligkeit, seine großartige Geistesgegenwart bewundert –“

„Das ist’s,“ sagte die junge Frau herbe. „In dem Augenblick hätte ihm die Geistesgegenwart ausbleiben müssen, da hätte ihm höchstens der Gedanke kommen dürfen: Gottlob, daß mein Kind in Sicherheit ist. So wär’ einem Vater zu Muthe gewesen, der ein Herz im Leibe hat. Er hat sich aber besonnen und hat seine Wahl getroffen, und mit Geistesgegenwart, wie Sie eben sagten, hat er an die Fremden gedacht, und nicht an uns.“

„An seine Pflicht hat er gedacht,“ sagte Valentine ernst und legte beide Hände auf Monika’s Schultern, indem sie ihr eindringlich in die Augen sah. „Tief in uns giebt es doppelten Willen, den eigenen und den Gottes – diesen nennen wir Pflicht. Wem sie einmal innerliche Richtschnur geworden, der besinnt sich nicht erst, der schaut ihr nicht erst prüfend in’s Gesicht; er hört den deutlichen Ruf und gehorcht.“

Monika schüttelte finster den Kopf. „Sie haben kein Kind, Fräulein. Sie wissen nicht, was das heißt.“ Valentinens Augen standen voll Thränen. „Ich weiß wenigstens, daß Sie unglücklich sind, und daß mein Herz von Antheil für Sie voll ist bis zum Rande. Und noch Eins weiß ich, Monika – und weiß es gut – daß Bitterkeit gegen Einen, den man fast lieber gehabt, als die ganze Welt, weher thut, als jedes Unglück. Denken Sie an die Tage, als wir uns zuletzt sahen, wo Ihr Wilhelm Eins und Alles für Sie war, und denken Sie, daß er jetzt jede Minute von Ihnen genommen werden kann – nicht nach Ihrem Willen, der Sie von ihm fortgehen ließ, der sich dann aber nimmer wenden könnte, um zu ihm heimzukehren.“

Die junge Frau zuckte heftig zusammen. „Ich kann an nichts Anderes denken, als an meinen Fritzel,“ sagte sie in beinahe scheuem Tone. „Ich sehe ihn, immer – immer. Aber Sie sind gut zu mir, Fräulein, gut wie ein Engel – vergelt’s Ihnen Gott! Es ist mir eine Wohlthat gewesen, Ihr Gesicht wieder zu sehen und mit Ihnen zu reden. Bis heute hab’ ich mit keinem Menschen davon reden können, auch nicht mit meinem Vater. Ehe ich hergekommen bin, hab’ ich meinen Leuten sagen lassen, was passirt ist und daß ich heim wollte; daß ich im Unfrieden von Wilhelm fort bin, weiß aber Keiner. Wissen Sie, Fräulein, ich hab’ gedacht, ich wollt’ in’s Kloster – da hab’ ich ja schon als Kind hinkommen sollen. Jetzt wird’s mir dort nicht mehr zu still sein; ich bin froh, wenn ich von der ganzen Welt nichts sehen und hören muß. Dann ist mir aber eingefallen, daß ich dazu dem Wilhelm seine Erlaubniß nöthig hab’, und schreiben hab’ ich nicht mögen, und jetzt ist er ja im Kriege. Da muß ich noch warten und weiß nicht, wie ich die Zeit herumbringen soll. Mein Bruder hat inzwischen geheirathet, da giebt’s daheim für mich wenig Arbeit, und wenn ich hinsitze und nähe, mein’ ich, der Kopf zerspringt mir vor Angst.“

„Kommen Sie alle Tage ein paar Stunden zu mir, Monika! Ich bleibe wahrscheinlich lange hier, und wir wollen dann zusammen arbeiten für die armen Verwundeten, für die sich jetzt alle Hände rühren müssen, den es fehlt aller Orten an Verbandzeug. Wollen Sie?“

Ein milderer Ausdruck löste die Spannung, welche alle Züge der jungen Frau gleichsam in Gefangenschaft hielt. Sie beugte sich und küßte Valentinens Hand. „Sie sind gut,“ wiederholte sie.


Schon begannen sich die Bäume herbstlich zu färben. In diesen Jahre lichtete sich das Laub ungewöhnlich früh, denn anhaltende Regenzeit war dem heißen Hochsommer gefolgt. Auch die Zahl der Gäste auf Frauenwörth hatte sich wesentlich gelichtet; nur Wenige hielten trotz der Ungunst des Wetters bis Ende September dort aus.

Heute war einer jener sonnigen, seltenen Tage, die zuweilen den grauen Regenschleier plötzlich von sich werfen, wie eine lächelnde Schönheit dunkle Maskenhüllen. Die Luft war von magischer Durchsichtigkeit; jede fernste Linie erschimmerte. Noch war das Vergehen der Natur so voll Anmuth, daß es den Genuß des Augenblickes steigerte. Obgleich Valentine, welche in ziemlich früher Morgenstunde durch den Klosterhof in den „Frauengang“ gewandert, tief in Gedanken schien, wurde sie doch gerade dort von dem lieblichen Lebewohl zwischen Herbst und Erde eigenthümlich berührt. Zwischen der alten Klostermauer, welche sich der einen Seite des Pfades entlang zieht, und den seltsam gestalteten Uferweiden, durch deren Lücken das bläuliche Schilf hereinnickte, war es wundersam still. Der dichte Rasen war noch immer maiengrün; an der grauen Steinwand kletterte Epheu empor; aus jeder Ritze drängten sich Mauerblümchen, und aus dem verborgenen Klostergarten drang der strenge Duft der reifenden Quitten. Kein Bienchen summte, keine Grille zirpte, und doch war in all der Stille nichts von Trauer, denn durch jede Lichtung lachte der sonnbeglänzte See herein.

In einer dieser kleinen Buchten, ganz in der Nähe einer schmalen Bank, welche dicht am Uferrande unter tiefhängenden Zweigen eines uralten Stammes halb verschwand, saß Bernardin im Grase bei der Arbeit. Doch war er nicht so vertieft, um den bekannten Schritt zu überhören, so leise auch Valentinens Fuß auf dem Rasen klang; er hob den Kopf und nickte der Freundin zu, ohne sich stören zu lassen.

„Pünktlich beim Rendez-vous!“ sagte sie lächelnd; „wir haben aber Zeit.“

Sie blieb hinter ihm stehen und folgte mit dem Blicke seiner Hand. Das Wunder künstlerischen Schaffens übte unbeschreiblichen Reiz auf sie; dennoch gestattete sie sich höchst selten eine

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 745. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_745.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)