Seite:Die Gartenlaube (1876) 751.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


strengere Ahndung, als die bloße Versetzung. Ihr habt die Patrouillen insultirt und zuletzt angegriffen – es ist sogar zu Schüssen gekommen. Wenn man Euch nicht sofort verhaftete, so dankt Ihr das nur meiner Geltung in L. Man weiß dort, daß ich den Willen und nöthigenfalls auch die Macht habe, nur hier auf meinen Gütern selbst Ruhe zu schaffen, daß ich nicht gern Fremde zwischen mich und meine Untergebenen treten lasse, man erwartet nun aber auch ein ernstliches Einschreiten von mir, und dieser Erwartung werde ich unverzüglich nachkommen. Ihr fügt Euch sofort dem, was ich beschlossen habe, oder ich biete noch heute dem Commandanten der Truppen die Försterei als Beobachtungsposten für die Grenze an, und morgen hat das Haus Besatzung.“

Osiecki machte eine heftige Bewegung nach seiner Büchse hin, besann sich aber.

„Das werden Sie nicht thun, Herr Nordeck,“ sagte er dumpf.

„Das werde ich thun, sobald noch einmal von Ungehorsam oder Widerstand die Rede ist. Entscheidet Euch, Ihr habt die Wahl! Werdet Ihr morgen in Wilicza sein oder nicht?“

„Nein und zehnmal Nein!“ schrie Osiecki in furchtbarster Gereiztheit. „Ich habe Befehl, nicht von der Försterei zu weichen, – also weiche ich nur der Gewalt.“

Waldemar stutzte. „Befehl? Von wem?“

Der Förster biß sich auf die Lippen, aber das unbedachte Wort war einmal heraus; er konnte es nicht zurücknehmen.

„Von wem erhieltet Ihr den Befehl, der dem meinigen so direct entgegensteht?“ wiederholte der junge Gutsherr. „Von der Fürstin Baratowska vielleicht?“

„Nun, und wenn das wäre?“ fragte Osiecki trotzig. „Die Frau Fürstin hat Jahre lang uns Allen befohlen, warum soll sie es denn jetzt auf einmal nicht thun?“

„Weil der Herr jetzt selbst zur Stelle ist, und es nicht taugt, wenn Zwei zugleich das Regiment führen,“ sagte Waldemar kalt. „Meine Mutter lebt als Gast in meinem Schlosse, über die Angelegenheiten von Wilicza aber entscheide ich allein. – Also Ihr habt Befehl, die Försterei um jeden Preis zu behaupten und nur der Gewalt zu weichen? Dann scheint es sich doch nun mehr zu handeln, als nur um einen Exceß Eurer Leute.“

Der Förster verharrte in finsterm Schweigen. Seine eigene Unbesonnenheit hatte jetzt verschuldet, was die Fürstin ihrer Nichte gegenüber so drohend „Verrath“ genannt, was Wanda verhindern wollte, als sie selbst hierher eilte. Das eine übereilte Wort verrieth dem Gutsherrn, daß der Widerstand, dem er bisher gar keine besondere Wichtigkeit beigemessen, ein planmäßiger und befohlener war, und er kannte seine Mutter zu gut, um nicht zu wissen, daß, wenn sie Befehl gegeben hatte, die Försterei auf alle Gefahr hin zu halten und es sogar auf die Gewalt ankommen zu lassen, dort all’ die Fäden zusammenliefen, die sie nach wie vor in der Hand hielt.

„Gleichviel!“ nahm er wieder das Wort. „Ueber das Vergangene wollen wir nicht rechten, und von morgen an steht die Grenzförsterei unter anderer Aufsicht. Was wir sonst noch miteinander abzumachen haben, kann in Wilicza geschehen. Auf morgen also!“

Er machte eine Bewegung, als wollte er gehen, aber Osiecki vertrat ihm den Weg. Er hatte sich mit einen raschen Griffe wieder seiner Büchse bemächtigt, die er jetzt anscheinend nachlässig, und doch bedeutungsvoll genug, in der Hand hielt.

„Ich denke, wir machen das lieber sogleich ab, Herr Nordeck! Ein- für allemal: ich gehe nicht von meiner Försterei, weder nach Wilicza noch sonst wohin, aber Sie gehen auch nicht von hier, bis Sie die Versetzung widerrufen haben, nicht einen Schritt.“

Er wollte seinen Leuten einen Wink geben, aber es bedurfte dessen nicht mehr. Wie auf Commando hatte ein jeder seine Büchse wieder ergriffen, und in einer Minute war der Gutsherr umringt. Es waren lauter finstere, drohende Gesichter, die ihn anstarrten, Gesichter, denen man es ansah, daß diese Menschen nicht vor dem Aeußersten zurückschreckten, und das ganze Manöver wurde so rasch, so planmäßig ausgeführt, daß es nothgedrungen vorbereitet sein mußte. Vielleicht bereute es Waldemar in diesem Augenblicke doch, allein gekommen zu sein, aber er bewahrte seine volle Kaltblütigkeit.

„Was soll das heißen?“ fragte er. „Soll ich das etwa für eine Drohung nehmen?“

„Nehmen Sie es, wofür Sie wollen!“ rief der Förster wild, „aber Sie kommen nicht von der Stelle ohne den Widerruf. Jetzt sagen wir ‚Entweder – oder‘. Hüten Sie sich! Sie sind auch nicht kugelfest.“

„Habt Ihr das vielleicht schon zu erproben versucht?“ der Blick des jungen Gutsherrn richtete sich durchbohrend auf den Sprechenden. „Aus wessen Büchse kam die Kugel, die mir nachgesandt wurde, als ich das letzte Mal von hier nach Hause ritt?“

Ein Blitz tödtlichen Hasses, der aus dem Auge Osiecki’s sprühte, war die ganze Antwort.

„Ich habe noch eine Kugel hier im Laufe und jeder meiner Leute hat eine –“ er faßte die Waffe fester. „Wenn Sie es probiren wollen – uns ist’s recht. Also kurz und gut. Sie geben uns Ihr Wort darauf, daß wir allesammt unbehelligt auf der Försterei bleiben und kein Soldat den Fuß hierher setzt – Ihr Ehrenwort, das pflegt bei Ihresgleichen besser zu halten als alles Schriftliche, oder –“

„Oder?“

„Sie kommen nicht lebendig vom Platze,“ schloß der Förster, bebend vor Wuth und Aufregung.

Die Drohung fand laute, fast tumultuarische Zustimmung bei den Uebrigen. Sie drängten näher heran; sechs Flintenläufe, die sich bedeutungsvoll emporhoben, unterstützten die Worte Osiecki’s, aber umsonst. In dem Gesichte Waldemar’s zuckte keine Muskel, während er sich langsam im Kreise umsah. Er stand so gelassen in der Mitte seiner rebellischen Untergebenen, als führe er die friedfertigste Unterhaltung mit ihnen, nur seine Stirn zog sich finster zusammen, während er doch in unerschütterlicher und überlegener Ruhe die Arme kreuzte.

„Ihr seid Thoren,“ entgegnete er in halb verächtlichen Tone, „und vergeßt vollständig, welche Folgen das auf Euch selbst herabziehen würde. Ihr seid verloren, wenn Ihr mich anrührt. Die Entdeckung kann nicht ausbleiben.“

„Wenn wir’s abwarten,“ höhnte der Förster. „Wofür ist die Grenze denn so nahe? In einer halben Stunde sind wir drüben – da ist jetzt Krieg, und da fragt Niemand danach, was unsere Kugeln hier angerichtet haben. Wir haben es ohnedies satt, hier ewig still zu liegen und niemals dreinschlagen zu dürfen. Also zum letzten Male – wollen Sie uns Ihr Ehrenwort geben?“

„Nein!“ sagte der junge Gutsherr, ohne sich zu rühren oder das Auge von dem Sprechenden abzuwenden.

„Besinnen Sie sich, Herr Nordeck!“ – der Grimm erstickte fast die Stimme Osiecki’s – „besinnen Sie sich schnell, ehe es zu spät ist!“

Mit einigen raschen Schritten trat Waldemar zurück an die Wand, „wo er wenigstens im Rücken gedeckt war.

„Nein, sage ich. Und da wir denn doch einmal so weit sind“ – er riß einen Revolver aus der Brusttasche und hielt ihn seinen Angreifern entgegen – „besinnt Ihr Euch, ehe Ihr mir den Kampf bietet! Ein paar von Euch mindestens bezahlen den Mordanfall mit dem Leben. Ich treffe so gut wie Ihr.“

Das entfesselte nun freilich den so lang zurückgehaltenen Sturm. Es erhob sich ein wilder Tumult – zornige Ausrufe, Flüche und Drohungen wurden laut; mehr als Einer legte die Hand an den Drücker, und Osiecki wollte soeben das Signal zum allgemeinen Angriff geben, als die Seitenthür hastig aufgestoßen wurde – in der nächsten Secunde stand Wanda neben dem Bedrohten.

Ihr Erscheinen verhütete nun freilich das Schlimmste, wenigstens für den Augenblick. Die Leute hielten doch inne, als sie die Gräfin Morynska an der Seite ihres Gutsherrn sahen, so nahe, daß ein Angriff, der ihm galt, sie mittreffen mußte. Waldemar dagegen stand einen Moment lang völlig verständnißlos da; er vermochte sich dieses plötzliche Erscheinen nicht zu erklären, auf einmal aber blitzte die Wahrheit in ihm auf. Wanda’s Todtenblässe, der Ausdruck verzweiflungsvoller Energie, mit dem sie sich an seine Seite stellte, sagten ihm, daß sie um seine Gefahr gewußt hatte, daß sie um seinetwillen hier war.

Die Lage war zu bedrohlich, als daß sie den Beiden Zeit gelassen hätte, eine Erklärung oder auch nur ein Wort miteinander auszutauschen. Wanda hatte sich sofort zu den Angreifern gewandt und sprach zu ihnen, leidenschaftlich und gebieterisch. Waldemar, der des Polnischen nicht mächtig war und erst in der letzten Zeit angefangen hatte, sich einigermaßen damit vertraut zu machen, verstand nur so viel, daß es Befehle und Drohungen waren, die

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_751.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)