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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Wettkampf, der hier im Bilde mitgetheilt ist, hat vor allen anderen die Eigenschaft, die Lachmuskeln der Zuschauer in steter Bewegung zu erhalten, ohne irgendwie die Sittlichkeit zu verletzen.

Der Preiskampf findet vor dem offenen Fenster einer Schenke statt; hier sitzen die Kampfesrichter. Auf der Straße stehen oder sitzen die beiden Bewerberinnen, den linken Arm an irgend einem Pfosten oder Stuhle befestigt, mit verbundenen Augen, einen ungeheuren Topf mit dicker Reismilch vor sich und einen großen Kochlöffel in der Rechten, den sie gefüllt in den Mund ihrer Rivalin zu bringen trachten.

Der Leser kann sich die Scene vorstellen und in welcher Weise diese Damen der Marolle zum großen Gaudium der Zuschauer sich gegenseitig tättowiren.

Man darf nicht allzu streng mit der Rohheit jener Spiele ins Gericht gehen. Es ist noch gar nicht so lange her, da wurden sie von oben herab begünstigt, ja der hohe Adel scheute sich nicht, bei derartigen Spielen seiner Hörigen den Vorsitz zu führen. Heute erscheinen diese gar zu derben Späße aber doch sehr wenig zeitgemäß. Man hat das Lachen oben und unten verlernt. Die Zeiten sind ernst. Sonderbar genug, daß das letzte Echo jener populären Lustigkeit der Vorzeit uns aus demjenigen Viertel Brüssels entgegenschallt, in welchem man eigentlich am wenigsten die Fröhlichkeit suchen sollte. Und doch herrscht sie zumeist in jenen Kreisen, die sorglos in den Tag hineinleben und den Augenblick in ihrer Weise genießen. Es ist das Gesetz der natürlichen Ausgleichung.

Max Sulzberger.




Kein Herz.
(Schluß.)


Freude und Leid der Einzelnen behält auch dann sein Recht, wenn Weltgeschicke über die Erde rollen; doch blüht und schmerzt sich’s in solcher Zeit gern in der Stille aus, fast schamhaft, denn wie gering zählt das einzelne menschliche Dasein, wo Tausende hingeben müssen, was durch lange Jahre mit Sorgfalt und Hoffnung gepflegt worden, wo sich jeder Tag mit ehernen Zügen in das Buch der Geschichte gräbt! Dies empfand Valentine lebhaft, als sie von der stillen Insel in die Hauptstadt zurückkehrte, und es war ihr wohlthuend, daß sich die Wendung ihrer Stimmung, vielleicht ihres Geschickes, vorerst nur innerlich ausklingen durfte. Ein Wiedersehen Hartung’s stand nicht unmittelbar bevor; noch war er in Norddeutschland gebunden und konnte dem ehrenvollen Rufe in die Heimath erst im Frühjahre entsprechen. Alles war gut, so wie es war.

Den wenigen, aber guten Worten, mit denen Valentine seine Zeilen beantwortet, war eine Correspondenz gefolgt, die, von beiden Seiten mit leiser Zurückhaltung begonnen, im Laufe der Wochen und Monate so rege ward, daß an jedem Briefe für den Empfänger ein glücklicher Tag hing. Noch ward mit keinem Laut einer gemeinschaftlichen Zukunft gedacht. Beide empfanden aber klar, daß ein Wiedersehen zugleich ein Wiedererfassen sein müßte. Bot Valentinens Erscheinung in dieser Zeit auch äußerlich die gewohnte, schöne Reife, so war doch ihr ganzes Wesen von neuer Anmuth erfüllt, wie die Rose vom Dufte, und die unablässige Thätigkeit, womit sie von früh bis spät wirkte, verrieth gleichfalls den frischen Lebensquell, der in ihr strömte.

Von General Wittstein, dessen Brigade im Südosten Frankreichs stand, liefen stets gute Nachrichten ein. Das Jahr ging zu Ende. Schon war die Zahl der Verwundeten, welche die Armee als Zeugen ihrer Thaten in die Heimath sandte, so bedeutend geworden, daß alle Transportfähigen von Etappe zu Etappe weiter geschafft werden mußten. Auch das dem Kriegsschauplatze so ferne München erhielt eine namhafte Anzahl von Pfleglingen, die in Lazarethen und Privatwohnungen Aufnahme fanden. Jeder Stadt, jeder kleinsten Ortschaft war es Ehrensache, an so heiliger Pflicht Antheil zu gewinnen, Ehrensache jedem Einzelnen, nach Kräften und Vermögen hülfreich zu sein. Valentinens reiche Mittel flossen in mannigfaltiger Form den Wittwen und Waisen, den Verwundeten, den Leinwandkammern der Spitäler zu; sie gab und half unaufhörlich, und ihre fleißigen Hände, ihr opferbereites Herz regten sich zwiefach, denn gleich ihrem Schatten begleitete sie Monika, welche ihr von Frauenwörth nach München gefolgt war. Valentinens Vorschlag hierzu hatte nicht nur willige, sondern auch lebhafte Zustimmung gefunden. Auch den Angehörigen der jungen Frau war es erwünscht, daß Monika bei dem Fräulein blieb, so lange Huber im Felde war: dort wußte man sie wohl versorgt, und zu Hause gab es, nun gar im Winter, nichts für sie zu thun.

Wenn der Gedanke, Monika mit sich zu nehmen, auch nur aus Valentinens gutem Herzen und ihrem Interesse für die junge Frau entstanden war, ergab es sich bald, daß deren Anwesenheit eine große Erleichterung für sie selbst bot. Valentinens Schwester verweilte noch immer mit ihrem Kinde in Passau bei den Schwiegereltern; mit der Dienerschaft allein in der großen Wohnung auszuhalten, welche Wittstein’s in München inne hatten, würde für die Herrin des Hauses um so ungemüthlicher gewesen sein, als in jenen Tagen Jeder von seinen eigenen Interessen zu sehr in Anspruch genommen, zu vielfach beschäftigt war, um mit Anderen viel zu verkehren.

So einfach und ungelehrt Monika auch war, hatte sie durch ihre Eigenart von jeher Valentine interessirt und angezogen. Da sie eine verheirathete Frau war und als Gast mit ihr kam, ließ sich von vornherein leicht eine Stellung für sie im Hause schaffen, die von der Dienerschaft respectirt wurde. Trotz ihres anspruchslosen Standes und Wesens hatte es nichts Auffallendes, daß die junge Frau in solcher Zeit immer um die Herrin des Hauses war und ihr in allen Geschäften beistand. Monika’s Geschick, ihr heller Verstand machten sie zu jeder Leistung brauchbar; an der stets unmittelbarem Zweck dienenden Thätigkeit richtete sich ihr Gemüth auf, und der erschütterte Körper begann sich wieder zu der alten, schönen Gesundheit zu erheben.

Valentine verlor die Aufgabe, welche sie sich der jungen Frau gegenüber gestellt hatte, niemals aus dem Sinne und beobachtete diese leise, aber fortwährend. Monika sprach nie von ihrem Manne, doch konnte der Herrin kein Zweifel bleiben, daß sie viel an ihn dachte. Die Art, wie sie auf jede Nachricht von der Armee horchte, welche in ihrer Gegenwart zur Sprache kam, ihre unverkennbare Erschütterung, so oft sie mit einem der Verwundeten in Berührung gerieth, trug tiefe Spur persönlichen Interesses; Valentine sah mit geheimer Befriedigung, daß in dem Herzen des Weibes die Sorge um den Mann erwacht war. Sie hütete sich wohl, mit dem leisesten Worte an den sprossenden Keim zu rühren, doch jetzt ließ sich hoffen, alles Beste hoffen. Auf ihre Anfrage bei dem General hatte sie erfahren, daß Huber in der That bei seinem alten Regimente stand und bis jetzt unverwundet sei; in persönliche Berührung mit dem Chef der Brigade kam jener natürlich nicht. In der steten Sorge, durch irgend ein Eingreifen gerade das zu stören, was sie zu entwickeln wünschte, hatte Valentine um so weniger Monika’s brieflich gegen ihren Vater Erwähnung gethan, als der General sich nie für etwas interessirte, was ihn nicht persönlich anging. Wie spann sich aber des Fräuleins inniges Gemüth die Zukunft aus! Glück und Vereinigung sollte am Ende all des Kriegsgrauens, all der schweren Menschengeschicke die Lösung sein. Wie oft, wenn sie Monika heimlich die Liste der Verwundeten und Todten bei Seite legen sah, um sie in Verborgenheit zu durchforschen, wie oft wäre sie da der lieben jungen Frau gern um den Hals gefallen und hätte gerufen: „Sei nur ruhig! Habe ihn nur lieb! Es wird Alles gut; wir werden Beide glücklich sein.“

Es war kurz nach Neujahr. Valentine hatte soeben einen Brief von Hartung empfangen, der sie bis in den Nerv des Herzens traf. Welche Fülle in so leichtwiegendem Blatte! Das Sandkörnchen selbst, das am Worte hängen bleibt, hat Reiz; es macht den Brief so frisch, all die Meilen, welche er durchlaufen hat, verschwinden davor.

Sie las von Neuem und lächelte. Wo war ihr Altsein geblieben? Unwillkürlich dachte sie an Bernardin und schickte dem Freunde, welcher seit October in Florenz verweilte, einen Gruß.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_760.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)