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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Ob die Dressur noch bei anderen Vögeln so große Resultate aufweisen kann, ist zweifelhaft. Zwar sind die Stücke, welche der Edelfalke leistet, auch nicht zu verachten, doch treten hier immer die niederen Leidenschaften, Mord- und Blutdurst, in ihr Recht. Der Edelfalke, welcher auf der Hand der Edelfrau oder des Falkoniers auf die Jagd auszog und der noch heute in den Sandsteppen Arabiens und in den Hochgebirgen Persiens von den ritterlichen Nomaden zur Jagd verwendet wird, hat eine sorgfältige Schule durchzumachen. Im Jardin d’Acclimatation zu Paris kann man solchen Uebungen zuweilen beiwohnen; der Sport wird dort betrieben, um das Publicum anzuziehen. Ein Falke, der aber durch eine dünne Schnur am Davonfliegen behindert wird, holt mit großer Schnelligkeit die Spatzen aus der Luft, die man in seiner Nähe fliegen läßt. Er denkt jedoch nicht daran, sie seinem Herrn zu bringen, sondern er macht sich gleich an Ort und Stelle darüber her, sie zu verspeisen. So machte er es auf der Falkenbeize ebenfalls und bemerkenswerth war vielleicht nur seine Zahmheit und Zutraulichkeit dem Herrn gegenüber. Ob ein Vogel so weit gebracht werden kann, wie der nächstbeste Hund, daß er ein Stück Wild oder irgend eine Sache apportirt, ist wohl sehr fraglich. Mir ist kein derartiger Fall bekannt. In meiner Vaterstadt besaß ein Mann einen sehr gelehrigen Raben; der Kerl war ein Schimpfirer, wie er im Buche steht; er unterhielt sich mit seinem Herrn und mit allen Leuten und stahl wie ein „gelernter Spitzbube“, wie man in Wien sagt. Aber obgleich er eine wahre Passion hatte allerhand Gegenstände hin und her zu schleppen, konnte ihn sein Herr doch nicht dazu bewegen, daß er ihm irgend eine Sache apportirte. Ich habe als kleiner Knabe solchen Versuchen oft zugesehen und mußte immer laut lachen, wenn der schwarze Knabe sich davon machte, sobald sein Herr Miene zeigte, „ihm Etwas beizubringen“. Die Zahl der Singvögel, welchen durch die Dressur fremde Melodien beigebracht werden könnnen, ist nicht besonders groß. Es sind fast alle Amselarten, ferner der Staar, der Canarienvogel, der Spötter. Man nennt auch das Schwarzblättchen. In den Arten erscheinen wieder einige Individuen als besonders begabt. Manchem Individuum kann man ein Lied hundert Mal vorpfeifen, es acceptirt nichts. Andere dagegen haben eine rechte Freude am Erlernen; sie neigen lauschend den Kopf und werden nicht müde im Nachsingen. Brehm bezeichnet die nordamerikanische Spottdrossel als die höchstbegabte. Selten lernt ein Vogel mehr als zwei Melodien. Eine Amsel, die drei Melodien pfeift, wie eine Schwarzamsel auf der letzten Vogelausstellung in Wien, ist eine wahre Rarität. Wahrscheinlich weil es eine sehr harte und hartnäckige Arbeit ist, sagen die Züchter: es sei „mechanische Dressur“. Inwiefern das „Sprechen“ der Raben, der Papageien, der Staare und Elstern zur „mechanischen Dressur“ gehört, läßt sich nicht so leicht bestimmen. Es giebt Vögel, so namentlich Papageien, die wirklich „mit Verstand“ reden. Sie wissen, daß sie etwas ungewöhnliches thun und daß sie in eine Wechselbeziehung zum Menschen treten. Sie stutzen und erschrecken förmlich über sich selbst, wenn sie sich zu weit oder zu laut ausgelassen haben. Man ist dann kaum noch berechtigt, bei dem „Menschenvogel“ das Wort Dressur anzuwenden. Es ist nichts Angelerntes, sondern schon selbstständige Aeußerung.

Trotzalledem gähnt eine tiefe Kluft zwischen der Befähigung der Vögel und gewisser Vierfüßler und eine noch tiefere zwischen dem Verständniß des Menschen für den Vogel und die Vogelseele.




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Vineta.
Von E. Werner.
(Schluß.)


„Ich will die Sorge um den Vater von Dir nehmen, Wanda,“ sagte die Fürstin. „Ich gehe mit ihm – –“

Die drei Anderen fuhren in höchster Ueberraschung auf. „Wie, Jadwiga?“ fragte der Graf, „Du wolltest mit mir gehen?“

„In die Verbannung,“ vollendete die Fürstin mit fester Stimme. „Sie ist uns beiden so nicht fremd, Bronislaw; wir haben sie lange Jahre hindurch gekostet – wir nehmen das alte Schicksal wieder auf uns.“

„Niemals!“ rief Waldemar auflodernd. „Ich gebe es nicht zu, daß Du mich jetzt verläßt, Mutter. Die Kluft zwischen uns ist endlich ausgefüllt; der alte Streit ist begraben. Dein Platz ist fortan in Wilicza bei Deinem Sohne.“

„Der soeben dabei ist, seinen Gütern mit eiserner Hand den Stempel des Deutschthums aufzuprägen!“ es lag ein furchtbarer Ernst in dem Tone der Fürstin Baratowska, als sie ihn mit diesen Worten unterbrach. „Nein, Waldemar, Du unterschätzest die Polin in mir, wenn Du meinst, ich könnte noch ferner in Wilicza bleiben, in dem Wilicza, das jetzt unter Deiner Hand auflebt. Ich habe Dir spät, aber ganz die Liebe der Mutter gegeben und werde Dir diese Liebe bewahren, auch wenn wir von einander scheiden, auch in der Ferne und wenn wir uns bisweilen wiedersehen, aber an Deiner Seite leben und Tag für Tag sehen, wie Du alles zu Boden wirfst, was ich mühsam gebaut habe, in Deinen deutschen Kreisen meine ganze Vergangenheit verleugnen und jedesmal, wenn der Gegensatz zwischen Euch und uns wieder hervortritt, mich Deinem Machtworte beugen, das, mein Sohn, kann ich nicht; es wäre mehr, als ich mit aller Willenskraft zu leisten vermöchte. Das würde unsere kaum geschlossene Versöhnung wieder zerreißen, würde den alten Streit, die alte Bitterkeit wieder wachrufen. Also laß mich gehen – es ist das Beste für uns Beide.“

„Ich habe nicht geglaubt, daß diese Bitterkeit sich selbst in diese Stunde drängen würde,“ sagte Waldemar mit leisem Vorwurf.

Die Fürstin lächelte schmerzlich. „Sie gilt nicht Dir; sie gilt dem Schicksal, das uns zum Untergange verurtheilt hat. Ueber die Baratowski wie über die Morynski hat es den Stab gebrochen. Mit Leo ging das edle Polengeschlecht zu Grabe, das Jahrhunderte lang in der Geschichte unseres Volkes geglänzt hat. Auch mein Bruder ist der Letzte seines Stammes. Mit Wanda erlischt sein Name, und er erlischt jetzt in dem Deinigen. Wanda ist jung; sie liebt Dich; sie wird vielleicht überwinden lernen, was uns Beiden unmöglich ist. Euch gehört ja das Leben und die Zukunft – wir haben nur noch die Vergangenheit.“

„Jadwiga hat Recht,“ nahm jetzt auch Graf Morynski das Wort. „Ich darf nicht bleiben, und sie will es nicht. Ihr hat die Verbindung mit Deinem Vater kein Heil gebracht, Waldemar, und mir ist es, als könnten ein Nordeck und eine Morynska überhaupt kein Glück mit einander finden. Auch zwischen Euch liegt der unselige Zwiespalt, der Deinen Eltern so verhängnißvoll geworden ist, auch Wanda ist ein Kind ihres Volkes und kann das Blut dieses Volkes nicht verleugnen, so wenig wie Du das Deinige. Es ist ein Wagniß, das Ihr mit dieser Ehe auf Euch nehmt, aber Ihr habt es gewollt – ich widerstrebe nicht länger.“

Es war keine frohe Verlobung, die das junge Paar feierte. Die angekündigte Trennung von der Mutter, die düstere Resignation des Vaters und seine Warnung warfen einen tiefen Schatten über die Stunde, die sonst so sonnenhell zu sein pflegt für zwei jugendliche Herzen. Es schien wirklich, als sollte dieser Leidenschaft, die sich durch so heiße Kämpfe durchgerungen, so viele Hindernisse zu Boden geworfen hatte, kein Glück beschieden sein.

„Und nun komm, Bronislaw!“ sagte die Fürstin, den Arm ihres Bruders nehmend. „Du bist zu Tode erschöpft von dem scharfen Ritt und den Aufregungen der letzten Tage. Du mußt bis morgen ruhen, wenn es Dir möglich sein soll, die Reise fortzusetzen. Wir wollen die Beiden allein lassen; sie haben noch kaum mit einander gesprochen, und sie haben sich doch so viel zu sagen.“

Sie verließ mit dem Grafen das Zimmer, aber kaum hatte sich die Thür hinter ihnen geschlossen, da wich der Schatten. Waldemar zog mit stürmischer Zärtlichkeit die endlich errungene Braut in seine Arme. – –

Fabian und seine Gattin befanden sich noch im Nebenzimmer,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 876. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_876.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)