Seite:Die Gartenlaube (1877) 087.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Während er bei sich überlegte, scholl auf der Straße der gedehnte Pfiff eines Wächters. Er sprang zum Fenster, öffnete einen Flügel und gab, nachdem er eine Pfeife zum Vorscheine gebracht, ein Signal, welches sofort eine Antwort weckte. Der Wächter stand auf dem entgegengesetzten Canalufer.

„Holen Sie einen Schlosser mit Schlüsseln und Dietrichen, Mann! Ich bin der Commissar Donner.“

„Zu Befehl, Herr Commissar.“

Dieser trat vom Fenster zurück und vertrieb sich, ohne weiter von der Alten Notiz zu nehmen, die Zeit damit, noch einmal, die Lampe in der Hand, aufmerksam die Reihe der Zimmer zu durchwandern. Er fand indeß kaum etwas, das sein Auge länger als wenige Secunden fesselte, bis auf das letzte Zimmer, welches von allerlei Gerümpel voll stand und, wie der Commissar vermuthete, das Schlafzimmer des verstorbenen Onkels gewesen sein mochte. Er athmete einen häßlichen Geruch wie von Moder und Staub, blieb indessen hier, zog die Schubladen einer alten Commode auf, nahm die Deckel von einigen Kisten, welche ihm in den Weg kamen und theilweise mit werthlosem Papier gefüllt waren, und scheuchte nebenbei die Haushälterin fort, welche halb verwundert, halb neugierig spähend den Kopf durch die Thürspalte schob. Endlich schlug er die verstaubten Vorhänge von einem Himmelbett zurück, und hier war es, wo ein Gegenstand sein volles Interesse in Anspruch nahm.

Das Bett stand an der Wand. Ueber dem Kopfende zeigte die Wand eine niedrige Nische und in derselben stand ein viereckiger mäßiger Kasten mit Messingbeschlag, dessen Deckel eine fingerbreite Ritze hatte. Der Commissar nahm den Kasten ohne Schwierigkeiten von seinem Platze; seine Augen funkelten, wie er sich über die Kissen bog, und als er dann mit beiden Händen den Kasten schüttelte, klang es darin wie das Rascheln von Papier.

„Ganz sicher Briefe,“ murmelte er; „das Geräusch da ist mir gut dafür. Wir werden sehen, welche Geheimnisse diese Ritze passirt haben. Aber der Fund allein genügt nicht; der Inhalt könnte so alt sein wie die Schale.“

Er besah den Kasten auf allen Seiten und untersuchte die Beschaffenheit des Schlüsselloches, als Männertritte nebenan ihn störten. Der Wächter kam in Begleitung des Schlossers, und der Commissar winkte Jenem heran. „Schrot,“ sagte er, „Sie tragen diesen Kasten sofort in meine Wohnung und haften für ihn. Kommen Sie, Meister Lademann!“

Der Wächter nahm den Kasten unter den Arm und ging; der Commissar trat, mit der Lampe in der Hand, den Rückweg durch die Zimmerreihe an, und der Schlosser folgte ihm mit verdrossenem Gesicht. Die Haushälterin war nirgends mehr zu sehen. Die bezeichneten Fächer waren bald geöffnet, und der Commissar fand wenigstens eines derselben voller Papiere und gab sich mit Spannung der Untersuchung hin. Das Ergebniß war eine große Enttäuschung: er fand nichts als Rechnungen, auch nicht ein Brief war darunter.

„Verdammt!“ sagte er ungeduldig; „wir werden's anderswo probiren müssen, Meister.“ Er erhielt weder eine Antwort, noch rührte sich etwas im Zimmer, und als er aufblickte, da merkte er erst, daß der Schlosser verschwunden war. Gleichzeitig begann die Lampe trüber zu brennen und zu knistern, und Donner sah den Moment kommen, wo sie verlöschen würde. Er rief in verdrießlichem Tone: „Heda, Alte –“ hielt aber dann inne und knurrte: „Ah so, ich hatte vergessen. Die alte Unke ist schwerhörig.“ Dann stand er lauschend, und es war ihm, als höre er seinen Ruf noch in der Entfernung durch die dunkeln, einsamen Zimmer irren. Unschlüssig suchte sein Blick in der nächsten Umgebung und haftete auf einen Moment an dem mächtigen Oelportrait über dem Schreibtische; ein mürrischer alter Herr mit spitzer Stirn und etwas abstehenden Ohren hielt die Augen scharf auf ihn gerichtet, und es sah in der flackernden Lampenbeleuchtung aus, als ob die Lider des Bildes sich bewegten und die Augen blitzten. Donner war für Empfindungen wie Schauder und Furcht unzugänglich; gleichwohl wurde es ihm unbehaglich in dem öden, unheimlich stillen Hause, bei dem rothgelb verglühenden Dochte, und er suchte widerwillig den Ausgang.

Im Hausflure unten stieß er auf einen Mann, der soeben von der Straße hereingekommen zu sein schien, und da die Hausthür offen stand und die Straße im vollen Mondscheine lag, konnte Donner genug erkennen, um zu vermuthen, daß es Zehren sei. Er schritt mit voller Dreistigkeit auf den Ankömmling zu, um sich Gewißheit zu verschaffen, fühlte aber plötzlich eine Faust wie von Eisen, welche ihm unterm Kinne in die Halsbinde griff und die Kehle zusammendrückte.

„Der Dieb ist hier. Schaffe Licht. Martha!“ rief die zornige Stimme Zehren's; „wir wollen uns den Schurken besehen.“

Und wie ein Geist tauchte plötzlich die alte Wirthschafterin neben den Zweien auf.

„Ach Du barmherziger Heiland – ich gehe schon die Lampe holen, Herr Franz, sagte sie mit jammerndem Tone und bewegte sich, so schnell sie vermochte, die Treppe hinauf.

Der Commissar knirschte die Zähne zusammen und wand sich vergeblich, um loszukommen; jeder heftige Versuch drohte ihn zu ersticken. Er stand endlich richtig und schrie heisern Tones: „Spielen Sie keine Komödie mit mir, Herr! Ich weiß so gut wie Sie, daß die alte Hexe Sie hergerufen hat und daß Ihre Taubheit eine Faxe ist. Lassen Sie los, oder – bei meiner Seele –“

Keine Antwort. Sein Hals schmerzte empfindlich, und er sehnte den Moment herbei, wo die Alte mit der Lampe kommen würde. Auch Zehren wurde ungeduldig und murmelte unverständliche Worte; oben rief die krähende Stimme der Wirthschafterin, aber es war nicht zu verstehen was.

Endlich fiel ein Lichtschimmer über die Treppe nieder.

„O Jemine, es ist der Herr Ober-Commissar selber,“ machte die Alte mit einem Erstaunen, welches Donner für erheuchelt halten mußte. „Die Lampe war schuld, daß ich so lange blieb; sie war beinahe erloschen und ich mußte erst Oel aufgießen –“

Zehren hatte den Commissar sofort aus der Faust entlassen, als das Gesicht desselben zu erkennen war. Aller Zorn war aus seinen Minen entwichen; sie sprachen im Gegentheile eine gewisse Enttäuschung aus, als er sagte: „Entschuldigen Sie, mein Herr! Ich habe jene Frau mißverstanden; ich bin von der neuen Welt her gewohnt, in Eindringlingen, welche meine Hausleute in Schrecken setzen, nur verdächtiges Gesindel zu vermuthen. Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Commissar?“ Und er holte wieder sein Täfelchen hervor und reichte es Donner hin, der von der fatalen Situation her noch alles Blut im Gesichte hatte und seinen dunkelrothen Hals rieb.

Ein grimmiges Lächeln spielte plötzlich um den Mund des Beamten, und er schrieb mit dem Stifte, den er in voller Heftigkeit ergriff: „Sie sind verhaftet.“ Dann riß er der Alten die Lampe aus der Hand und hielt dem Fabrikanten die Tafel unter die Augen.

Zehren that einen Schritt rückwärts, als er die Schrift gelesen hatte.

„Mit welchem Rechte verhaften Sie mich, Herr? Daß ich Sie im Dunkeln für etwas Anderes hielt, als Sie sind, werden Sie schwerlich als Grund für einen solchen Gewaltact betrachten wollen.“

Donner nahm die Tafel auf ein Knie, indem er zugleich den Henkel der Lampe mit dem Daumen hielt. „Das habe ich zu verantworten, und Sie werden mir gutwillig folgen, widrigenfalls ich für Hülfe sorgen werde.“ Er gab Zehren mit hochmüthigem Gesichte auch dies zu lesen, reichte der Alten die Lampe und warf die Tafel seitwärts auf die Fliesen des Hausflurs.

Dieser Ausgang der Sache schien dem Fabrikanten völlig unerwartet zu kommen. Sein Gesicht war um einen Schatten blässer geworden, und er sah düster und unschlüssig bald auf den Commissar, bald auf die Wirthschafterin, welche die Tafel eiligst vom Boden aufhob und ihm hinüberreichte.

Der Commissar wies mit einer herrischen Bewegung nach der Thür.

„Nun gut, mein Herr,“ sagte Zehren, „Sie repräsentiren das Gesetz und ich werde Ihnen folgen. Ich denke, es wird so viel Gerechtigkeit in meinem Vaterlande sein, daß ein Unschuldiger nicht ohne den Schein eines Rechtsgrundes seiner Freiheit beraubt wird. Wenn Sie in der Lage sein werden, Ihre Behandlung meiner Person aus dem Gesetze zu rechtfertigen, soll es mich freuen, und ich werde keinen Grund haben, Ihnen zu zürnen. Denn das Gesetz ist heilig. Wenn ich irgend worin gefehlt habe, so will ich es büßen. Gehen wir, mein Herr Commissar!“

Die Wirthschafterin trat ängstlich mit der Lampe zu ihm hin und zupfte ihn am Rocke. „Gehen Sie noch einmal fort, Herr Franz?“ machte sie mit den Lippen.

Zehren, der ihr aufmerksam in das grellbeleuchtete, faltige

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_087.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)