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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


herrschte; daß sie aber auch von dem Sohne der Pußta getheilt wurde, dem die Freiheit das sein sollte, was dem Fische das Wasser oder dem Vogel die Luft, dies erregte meine Verwunderung, der ich unverhohlen Ausdruck gab.

Es kostete dem an Mittheilung seiner Gedanken wenig gewohnten Manne aber offenbar keine geringe Anstrengung, sich in dem durch meine Einwürfe entstandenen Ideenchaos zurecht zu finden, doch nachdem er ein Dutzend Rauchsäulen in die Luft gewirbelt, mehrmals energisch ausgespuckt und die Kohlengluth mit dem Fokos aufgefrischt hatte, sagte er mit trübem Lächeln: „Je nun, Herr, es mag schon sein, daß die gewonnenen Rechte, wie sie’s nennen, auch uns manchmal zu Gute kommen, bis jetzt aber brachten sie dem Csikos nur Schlimmes; denn freier konnte er nicht werden, als er war, und bei der Vertheilung von Grund und Boden erhielt er nur die Luft, die darüber streicht, und so lieb diese dem Csikos ist, sie sättigt ihn nicht. Wahr ist’s, sie that dies auch vor dem Jahre Achtundvierzig nicht, aber damals konnte der Csikos mit seinem Lohne von zwölf Gulden jährlich und den paar Stücken Vieh, die er halten darf, leben wie ein Graf, denn was er sonst noch brauchte, durfte er offen nehmen von jedem Felde. Niemand fiel es ein, ihm das zu wehren. Dem Bauer nicht, weil ja fast nichts sein war, dem Herrn nicht, weil er mehr hatte, als er verbrauchen konnte. Seitdem aber der Bauer weiß, daß der Ertrag seiner Felder ihm allein gehört, seitdem die Herren Steuern und Lohn an die Arbeiter zahlen müssen, wird jeder Kukuruzkolben, jede Kartoffel gezählt und bewacht; der Csikos mag nun sehen, wie er es anfange, nicht zu verhungern.“

Bei diesen Worten des Mannes gedachte ich mit Wehmuth der Kartoffeln, die mir so vortrefflich gemundet. Armer Csikos, was war Lucullus’ Gastfreundschaft gegen die deine, welche dir zwar sicher kein Geld, aber vielleicht einen blauen Rücken kostete!

„Wenn dem so ist, dann soll Euch der Herr jetzt besser lohnen,“ sagte ich nach kurzer Pause.

„So dachte auch ich,“ versetzte der Csikos kopfnickend, „und als mich die Bauern einmal fast halbtodt geschlagen, ging ich zum Herrn Grafen und brachte ihm mein Anliegen vor; der aber sagte:

‚Josi,‘ (Josef) sagte er, ‚was fällt Dir ein? Du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen; wirst Du mir, wenn ich Dir auch doppelten Lohn gebe, das Vieh ersetzen, welches vier- und zweibeinige Wölfe stehlen?‘ ‚Das kann ich nicht, Herr,‘ sagte ich, ‚wenn aber alle Herren ihre Csikos doppelt bezahlen, so werden die zweibeinigen Wölfe nicht mehr stehlen, und diese sind die schlimmsten.‘

‚Gut, Josi, wenn Alle es thun, thue ich’s auch,‘ sagte der Graf, ‚aber Du weißt, sie thun’s nicht. D’rum geh’ und sei vernünftig! Eine Tracht Schläge sind für einen ganzen Kerl wie Du nicht der Rede werth; es thäte mir leid, müßte ich einen andern Csikos nehmen, denn Du bist ein braver Bursche, und ich bin Dir gut, Josi.‘

So ging ich wieder zu meinen Pferden, denn zum Bauernknecht tauge ich doch nicht mehr. Aber es wurde noch schlimmer, denn bald darauf kamen die Gensd’armen in’s Land, und jetzt muß der Csikos froh sein, wenn er einiger elender Kartoffeln wegen nur Schläge bekommt und nicht gar eingesperrt wird wie ein Dieb. Wahrlich, jeder arme Bursche ist jetzt besser daran als unser Einer, und lebte nicht die alte Frau, die mich zur Welt gebracht, wer weiß, was schon geschehen wäre.“

Der Mann schwieg finster, ich aber begriff jetzt die Aeußerung eines Gensd’armen, nach welcher sich sämmtliche Csikos und Hirten überhaupt in zwei Classen theilen: in solche, die schon Räuber sind, und in solche, die es werden wollen.

Eben wollte ich meinen Csikos zweiter Classe durch ein freundliches Wort seinem düstern Hinbrüten entreißen, als dieser aufhorchend den Finger auf die Lippen legte. Dann griff er nach dem an seiner Seite liegenden Fokos und verließ die „spanische Wand“. Jetzt hörte auch ich deutlich den Hufschlag eines galoppirenden Pferdes, das sich rasch näherte und nach einigen Secunden kaum zehn Schritte vom Lagerplatze des Csikos schnaubend stille stand.

Das dünne Geflecht, das mich verbarg, gestattete mir, ohne daß ich meine Stellung änderte, den Durchblick auf die jetzt vom Monde hell beleuchtete Steppe, indem ich das Auge dicht anlegte, und so sah ich denn, wie ein Mann von dem eben angekommenen schweißbedeckten Pferde sprang und ohne Weiteres dem nächsten der weidenden Thiere zuschritt.

In demselben Augenblicke aber trat der Csikos aus dem durch die Rohrwand gebildeten tiefen Schatten hervor, den Fokos wurfgerecht in der Faust, und sagte mit der dem Magyaren eigenen umfangreichen Modulation der Stimme: „Hast Du vergessen, Lajos (Ludwig), daß es für Dich hier kein Pferd giebt?“ Der Mann wendete sich sichtlich betroffen dem Sprechenden zu und zeigte sich nun im vollen Mondlichte als eine ungewöhnlich muskulöse Gestalt in der gemeinen Landestracht, die nur durch einen Ledergürtel vervollständigt wurde, aus welchem der Griff einer Pistole hervorblitzte.

Das bärtige Gesicht, von langem, wirrem, pechschwarzem Haar umwallt, hätte unbedingt für schön gelten können, wären die Züge nicht durch den düstern Ausdruck unbändiger Wildheit entstellt gewesen.

Der Mann, welchen der Csikos Lajos nannte, schien seinen Gegner einen Moment zu messen, während gleichzeitig seine Hand nach dem Gürtel griff. Aber schon schwang auch der Csikos seine in solcher Faust fast unfehlbare Waffe; da sank die Hand wieder vom Gürtel, und mit vor Zorn vibrirender Stimme sagte der Mann:

„Willst Du einen Landsmann in die Hände der Pickelhauben liefern?“ (Pickelhauben, Ausdruck für Gensd’armen.)

„Warum nicht, Lajos?“ lautete die kaltblütige Gegenfrage.

Der Zorn des Mannes schien in Folge dieser Antwort einer tiefen Niedergeschlagenheit zu weichen, denn er ließ den erst hochgetragenen Kopf wie ermüdet sinken und sagte in ganz verändertem, fast weichem Tone:

„Josi, mein Pferd ist lahm geritten.“

„Ich sehe es, Lajos,“ erwiderte der Csikos kurz.

„Josi, wir waren einst Freunde.“

„Ja, Lajos, wir waren es.“

„Weißt Du noch, Josi, wie wir zur Kirschenzeit über den Zaun des Herrengartens stiegen? Und wie der große Kettenhund Dich faßte? Er hätte Dich zerrissen, wäre ich ihm nicht mit der Faust in den Rachen gefahren – die Narben sind noch sichtbar, Josi.“

„Ich weiß es,“ entgegnete der Csikos, „aber wenn ich allein beim Feuer liege, denke ich oft, es wäre besser gewesen, der Kettenhund hätte mich damals zerrissen.“

Lajos zuckte jetzt plötzlich zusammen, horchte einen Augenblick nach der Richtung, in welcher er gekommen, und sprach dann hastig: „Josi, was verlangst Du für ein Pferd?“

„Nichts, Lajos, denn ich gebe Dir keines,“ klang es rauh zurück.

„Josi, gab ich Dir nicht meine ganze Baarschaft, als man Dich in den Soldatenrock steckte? Es waren zehn Zwanziger und ein Marienthaler, den ich von meiner Mutter hatte.“

„Und nahmst mir dafür, während ich im Soldatenrock steckte, mein Mädel,“ sagte der Csikos; „ich wollte, Lajos, Du hättest Dein Geld behalten – es war ein schlechter Handel.“

Abermals und jetzt noch heftiger schrak der Mann zusammen, und über sein blasses Gesicht rannen dicke Schweißtropfen. Unbekümmert um die drohende Haltung des Csikos, näherte er sich diesem und flüsterte: „Es ist wahr, Josi, ich nahm Dir Dein Mädel, aber Ilka ist jetzt mein Weib und trägt ein Kind unter dem Herzen; willst Du, daß Mutter und Kind Dir fluchen?“

Diese in leise zitterndem Klageton gesprochenen Worte des wilden, trotzigen Mannes erschütterten selbst mich, den unbetheiligten Zuhörer.

„Ist das auch wahr, Lajos?“ fragte der Csikos schwer aufathmend.

„Es ist wahr, Josi,“ betheuerte der Mann.

Noch zauderte der Csikos, mit sich kämpfend, dann aber entfiel der Fokos klirrend seiner Faust; unmittelbar darauf hatte Lajos mit einem Tigersprunge das weidende Pferd erreicht, und eine Secunde später flog er ohne Sattel und Bügel über die Steppe dahin.

Es war die höchste Zeit gewesen. Kaum hatte der Csikos das zurückgebliebene dampfende Thier des Flüchtigen mit einem kräftigen Hiebe abseits vom Lager unter die übrigen Pferde getrieben, als auch schon die weithin blitzenden Pickelhauben zweier berittener Gensd’armen sichtbar wurden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_118.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)