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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

die Welt diesem Verhältnisse kein rechtes Verständniß entgegen bringen werde. „Daß allerlei über unser Verhältniß gesprochen würde, war zu erwarten. Hätte man uns erst in unserem engeren Kreise beobachtet, wo wir Drei ohne Zeugen waren, wer hätte dieses zarte Verhältniß begriffen? Eine freie schöne Seele gehört dazu, unsere persönliche Stellung gegen einander aufzufassen; die ganze Geschichte unserer keimenden und aufblühenden Werbung unter einander müßte man übersehen haben und seinen Sinn genug haben, diese Erscheinungen in uns auszulegen.“

Doch erleichtert er dem Forscher die Schwierigkeit der Lösung, indem er selbst einmal in die innere Struktur des Dreibundes uns hineinblicken läßt, indem er bemüht ist, dieselbe gleichsam für sich selbst dialektisch zu zersetzen. „Wie könnte ich mich,“ schreibt er in einem Briefe aus jener Zeit, „zwischen Euch Beiden meines Daseins freuen, wie könnte ich meiner eigenen Seele immer mächtig genug bleiben, wenn meine Gefühle für Euch Beide, für Jedes von Euch nicht die höchste Sicherheit hätten, daß ich dem Andern nicht entziehe, was ich dem Einen bin. Frei und sicher bewegt sich meine Seele unter Euch, und immer liebevoller kommt sie von Einem zu dem Andern zurück; derselbe Lichtstrahl – laßt mir diese stolz scheinende Vergleichung – derselbe Stern, der nur verschieden wiederscheint aus verschiedenen Spiegeln.“

Was Schiller hier nur andeutet, das bestand in der That. Es bestand bei aller harmonischen Ueberdeckung doch im Grunde eine wesentliche Verschiedenheit in den Einzelbeziehungen der Drei. Aus dem ganzen Verlaufe seiner Entwickelung erhalten wir zunächst die volle Gewißheit, daß sich das Verhältniß zwischen Lottchen und Schiller von vornherein auf der Basis einer wirklichen Liebesneigung bewegte und naturgemäß fortentwickelte. Es war der Proceß einer natürlichen reinen Herzensliebe, der sich, und zwar ganz seinem Charakter nach, mehr geheim als offen bis zum beglückenden Geständnisse abspann. Unzweifelhaft trifft dies nicht blos bei Lottchen, sondern auch bei Schiller zu. Selbst mitten durch die spätere dithyrambische Feier des Dualismus bricht diese wirkliche Liebesflamme hervor. Wenn er in einem Briefe vom 6. November 1789 an Lottchen schreibt: „Dein liebes Bild schwebt mir vor Augen, und ich umschließe es mit Sehnsucht und Liebe; es wird mich vielleicht in einem Traum von Dir hinüber begleiten. Meine liebe theure Lotte, lebe wohl!“ so sind dies Worte, wie sie nur die naturwüchsige Liebe mit ihrem tiefen Sehnsuchtsdrange nach der Geliebten redet, Naturlaute, wie sie in gleicher Weise Carolinen gegenüber nie gefallen sind.

So nimmt auch Lottchen Schiller stets ganz und allein für sich in Anspruch. Die wahre Liebe kennt keine Theilung. Nur an einer einzigen Stelle ihrer Briefe vertauscht sie das Ich mit dem Wir, indem sie schreibt: „O gewiß, wir werden es nicht bereuen, alles Glück unseres Lebens auf Deine Liebe gesetzt zu haben.“

„Du bist mein!“ sagt sie dafür an einer andern und an vielen ähnlichen Stellen. „Ich trage das schöne Gefühl, Dir anzugehören, in meinem Herzen mit süßer Gewißheit. Und gingst Du auf Jahre von uns, unsere Seelen würden sich nicht fremder.“

Dagegen ruhte das Verhältniß Schiller’s zu Carolinen auf einer ganz anderen Basis. Es lag etwas geistig Verwandtes in beiden Naturen, das Beide anzog. Eine solche Aehnlichkeit der Geister erzeugt bei längerer Reibung das Feuer einer gewissen Sympathie; diese Sympathie trägt aber noch nicht den Charakter der natürlichen Liebe, so nah sie auch mit derselben verwandt zu sein scheint. Es entsteht wohl das Verlangen, das Bedürfniß nach dem geistigen Umgang mit dem Andern, nicht aber entsteht jener tiefe Sehnsuchtsdrang, jenes namenlose Sehnen, das das Herz zum Herzen zwingt. Bedeutungsvoll wird hier die Schilderung, welche Schiller in einem der ersten Briefe nach seiner Liebeserklärung gegen Lottchen über Carolinen entwirft. „Unsere Caroline,“ sagt er von ihr, „habe ich blos ahnen können. Ihr Geist überraschte mich; in ihr ist etwas Edles, Feines, das man idealisch nennen möchte. Wie wahr und tief sie fühlt, müßte ein längerer Umgang mich lehren; daß ich im Voraus daran glaube, versteht sich, aber die Erscheinung ging an mir zu flüchtig vorüber, und ihr ganzes Wesen hat einen gewissen Glanz, der mich blendet. Sie ist ein ungewöhnliches Geschöpf, und wollte der Himmel, es würde wahr, und sie würde auf ewig die Unsere!“ Dies ergiebt deutlich, daß sein innerstes Gefühl von ihr nicht gefangen war, sondern nur ihr ungewöhnlicher Geist ihn geblendet hatte.

Da nun Lottchen ihm das Gleiche nicht geben konnte, da die Schwester das vor ihr voraus hatte, so erschien das Wesen jener als eine nothwendige Ergänzung des Wesens der Geliebten. In der Verbindung beider Charakter-Elemente, bot sich ihm etwas wirklich Vollkommenes. So wurde diese Verbindung ihm zum Ideale, an dessen Verwirklichung er unbefangen glaubte. Wie er nun die beiden Objecte seiner Neigung gleichsam zu einem verschmolz, so suchte er auch in gleicher Weise eine Verbindung seiner subjectiven Gefühle herbeizuführen. Gleich wie er seinen

Neapolitanische Bettlerin.
Nach dem photographirten Gemälde N. Schmitt’s auf Holz gezeichnet von Ad. Neumann.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_137.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)