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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


übermüthig wie ein junges Füllen den ganzen lieben Tag sang, pfiff und scherzte, ging nun finster schweigend umher, und Niemand sah ihn mehr lächeln seit jener Stunde im Herrenhofe.

Vierzehn Tage darauf geschah es, daß das Herrenhaus niederbrannte. Es war eine stürmische Nacht. Vom Feuerlärm geweckt, eilten wir vom Dorfe zur Hülfeleistung. Zu retten war allerdings nicht viel, denn es fehlte an Wasser, doch thaten wir, was möglich war. Auch Lajos war mitgekommen, statt jedoch Hand anzulegen, blieb er mitten im Herrenhofe stehen und sah mit verschränkten Armen in die prasselnden Flammen. Ich wollte ihn warnen, doch schon hatte ihn der junge Graf bemerkt und den Knechten einen Wink gegeben. Und nun sahen ich und Alle vom Dorfe, was wir noch nie gesehen und nicht so bald wiedersehen werden. Die Bursche mußten wohl Lajos’ Stärke schon erprobt haben, denn ihrer Vier warfen sich zugleich auf ihn, und packten ihn gleich Fanghunden an Händen und Füßen. Doch wie ein nasser Hund die Wassertropfen, so schüttelte Lajos die Knechte nach allen Richtungen von sich, sprang mit einem Riesensatze über die Hofmauer und verschwand in der Dunkelheit, aus der nur noch ein gellendes Hohngelächter zu uns herscholl. Der junge Graf sandte dem Verschwundenen einen langen Fluch nach, die erstaunten Knechte aber und Mancher der Unsern bekreuzten sich, denn sie meinten nicht anders, als Lajos habe den Teufel im Leibe.

Bei der darauf folgenden Untersuchung sagten mehrere Knechte des Grafen eidlich aus, sie hätten Lajos eine Stunde vor dem Brande um den Herrenhof herumschleichen gesehen. Diese Aussage und sein Verhalten während des Feuers gaben Grund genug, ihn für den Brandleger zu halten, und da man seiner nicht habhaft werden konnte, wurde einstweilen sein alter Vater als vermeintlicher Mitwisser in den Kerker geworfen, wo der alte, schon herabgekümmerte Mann nach wenigen Wochen das Zeitliche segnete.

Fast zu gleicher Zeit verschwand auch Lajos’ Schwester spurlos aus der Tanya, doch giebt es Leute, welche sie seither in Pest wie eine Gräfin gekleidet gesehen haben wollen. Das gab dem armen Lajos den Rest. Seitdem war kein vernünftiges Wort mehr mit ihm zu sprechen. Ich machte ihm den Vorschlag, mein Hab und Gut hier zu verkaufen, und mit ihm und Ilka auszuwandern, denn auch mir war durch all dies das Leben im Orte verleidet. Er aber schüttelte finster den Kopf und ballte die Faust gegen Himmel, und das blieb die einzige Antwort, die ich aus ihm herausbrachte. Es war, als hätten sie ihm Zunge und Herz aus dem Leibe gerissen. Nun, bald hörte man auch schlimme Dinge von ihm; ob sie wahr sind – wer weiß es? Die Noth trieb ihn nicht dazu, denn was er zum Leben braucht und noch etwas mehr, bekommt er von mir, aber aus ihm ist, wie gesagt, nichts heraus zu bringen, und Niemand kann in des Menschen Herz sehen. So viel aber ist gewiß, daß Bauerngut sicher vor ihm ist, und darum liebt man ihn im Dorfe wie immer, ja ich glaube jetzt noch mehr; giebt es doch Wenige unter uns, die unter der Willkür und Härte unserer Herrschaft drüben nicht schon den Rücken gekrümmt und die Faust im Sacke geballt hätten, Wenige, die nicht gerne schon gethan hätten, was Lajos, wie sie meinen, that, fehlte ihnen nicht der Muth dazu.

Der Herr Pfarrer meint allerdings, Gewalt und Trotz gegen die Obrigkeit seien die schlimmste Sünde, schlimmer noch als Diebstahl und Raub, denn sie bewiesen ein unbußfertiges Herz und Christus der Herr habe, obschon ein Gott, ohne Trotz und Auflehnung Unrecht erduldet, und sogar unschuldig den Tod erlitten. Na, der Herr Pfarrer muß wohl Recht haben, aber trotzdem fährt mir bisweilen die Frage durch den Kopf, ob es nicht längst besser stände um uns, wäre Jeder immer so muthig und unbekümmert um die Folgen für das Recht eingestanden, wie Lajos in der Tanya; nun, es ist eine dumme Frage, denn nicht Jeder hat das Zeug dazu, er aber, der es hatte, muß es bitter genug büßen. Ein Trost freilich ist ihm geblieben: mein armes Kind hängt mehr denn je an ihm; Schmerzenskinder sind ja den Weibern immer am meisten in’s Herz gewachsen, und was mich betrifft, Herr, so denke ich, der liebe Gott, der nach seinem Rechte richtet, wird ihr und auch einem alten Manne verzeihen, daß sie einen armen Burschen nicht verstoßen konnten, weil ihn eine böse Stunde vielleicht zum – Räuber machte.“

Der Alte hatte die letzten Worte kaum hörbar und mit schmerzlich bebender Stimme gesprochen und saß nun schweigend da, das weiße Haupt tief herabgebeugt. Mich aber hatte die Erzählung des braven Mannes weit mehr ergriffen und empört, als ich mir merken ließ. Nicht daß derlei Vorkommnisse in Ungarn etwas Ungewöhnliches gewesen wären – im Gegentheil, ich wußte, daß wie noch heute, so damals trotz neuer Freiheit, Constitution, Volksrechte etc. in den Comitaten nach Herzenslust fortgeprügelt worden war, allein noch nie war ein solcher Fall mir mit allen seinen Folgen so nahe gerückt, noch nie hatte ich Gelegenheit gehabt, durch eigenen Augenschein die Thaten jener vielgerühmten Träger politischer Freiheit, der Magnaten, mit ihren Parlamentsreden zu vergleichen, die von nationaler Eitelkeit und Selbstüberhebung strotzten und in welchen die „Freiheit“ als höchstes Gut der ungarischen Nation eine stehende Phrase bildete. Noch nie erkannte ich so deutlich, wie schmachvoll dieses arme Volk, das für die gepriesene nationale Freiheit Gut und Blut geopfert, von seinen eigenen Führern betrogen und mißhandelt wird.

War aber das Volk nicht, zum Theil wenigstens, selbst schuld, indem es aus Indolenz, jener dem Landmann so häufig eigenen geistigen und physischen Trägheit, sein Recht unvertheidigt preisgab? In manchen Fällen gewiß, und um zu erfahren, ob dies auch hier der Fall sei, fragte ich den alten Herrn, nachdem er wieder ruhiger geworden, weshalb Lajos und dessen Vater, falls Ersterer an dem Ausbruche jenes Brandes schuldlos war, nicht den Schutz der höhern Behörden in Anspruch genommen hätten. Der Alte lächelte trübe.

„Ja, ja,“ sagte er, „wüßte ich nicht, daß der Herr ein Deutscher ist, diese Frage würde es verrathen – es ist eine deutsche Frage. Wohl möglich,“ fuhr er dann nach einigem Nachdenken fort, „daß jetzt, wo wir ja auch deutsche Beamte im Lande haben, ein solcher Schritt Erfolg hätte;[1] denn obschon unsere Herren über Vergewaltigung durch die Fremdherrschaft, über Tyrannei und Willkür schreien und das unverständige Volk gegen die Deutschen hetzen, so wissen ich und mit mir noch viele Andere doch recht gut, daß wir Bauern jetzt besser daran sind und froh sein könnten, wenn uns diese Fremdherrschaft erhalten bliebe. Sagen darf man das freilich nicht, denn die Leute, die von der Gnade der Herren leben, würden uns als Landesverräthern ohne Umstände den rothen Hahn aufs Dach setzen. Damals aber war unser Herr Graf noch Stuhlrichter, sein Schwager Oberstuhlrichter und Beide hatten in Pest viele gute Freunde; nun, Herr, da wäre es dem Lajos und seinem Vater wohl nicht anders ergangen als den Schafen, die sich beim Bären über den großen Appetit des Wolfes beklagten.“

Der Alte hatte Recht, und fast nur mechanisch fragte ich: „Was aber soll daraus werden?“ Denn im Grunde war es mir klar genug, was daraus werden mußte.

„Was daraus werden soll?“ wiederholte der Alte mit traurigem Kopfnicken, „so fragte auch ich mich jeden Tag seit jener Unglücksstunde in der Tanya, heute aber fragte ich den Lajos selbst, als er wieder wie vom Himmel gefallen in’s Dorf hereinstürmte und mein Kind zum Tanze führte, und nun weiß ich’s, was daraus werden wird. Er wartet auf Einen, der seit jenem Brande in der Ferne ist, in Paris oder sonst wo; mit diesem hat er noch ein Wort zu sprechen, so sagt er, seines Vaters und seiner Schwester wegen, dann will er mit uns fort in ein fernes Land, um dort Weib und Kind redlich mit seiner Hände Arbeit zu ernähren. Daß Gott erbarm’, hetzen sie ihn doch jetzt schon, daß er kaum mehr zu Athem kommt, und vielleicht ist das Holz schon geschlagen, das mein armes Kind, bevor es wieder ein ehrlich Weib geworden, zur Wittwe eines – Gehängten machen soll.“

Bei diesen Worten übermannte den Greis der Schmerz; stöhnend schlug er die Hände vor das Gesicht. Solchem Jammer gegenüber gab es weder Trost noch Rath. Schweigend blickte ich durch das offene Fenster hinaus in die friedliche stille Nacht. Ja, so stille war es rings umher, daß das Zirpen der Heimchen von den nahen Feldern her deutlich zu vernehmen war; allmählich aber mischte sich in das anheimelnde Gefiedel der kleinen Musikanten

  1. Ungarn stand damals unter dem Militärcommando des „Generalgouverneurs“ Erzherzog Albrecht, zu welcher Zeit die meisten, sowohl politischen, wie Justizämter mit deutsch-österreichischen Beamten besetzt waren, die, wie bekannt, nach dem sogenannten Ausgleiche ausnahmslos beseitigt wurden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_147.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)