Seite:Die Gartenlaube (1877) 180.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Gegen zwei Uhr brachte uns ein Beauftragter die Nachricht, daß das Gift gewirkt habe, die Hexe umgefallen sei. Vom Hofe der Station sahen wir, wie sie in eine an einer Tragstange befestigte Hängematte gelegt und in der üblichen raschen Gangart den Hügel hinaufgeschafft wurde. Unsre Gewehre nehmend, eilten wir schnellen Schrittes durch das verlassen erscheinende Lusala nach der Höhe. Oben, wo die Pfade sich kreuzten, hielten wir an und spähten landein. Die öden Grasfluren, in der Sonnengluth zitternd, dehnten sich vor uns über Hügel und Hänge; jenseits unsres Quellenthales mit seinen schönen Palmenbeständen und dem dichten Buschwalde lagen friedlich die uns bekannten Negerdörfer. Kein Vogel flog vorüber; kein andrer Laut, als das dumpfe Rollen der Brandung am Meeresstrande unterbrach die drückende Mittagsstille. Nirgends konnten wir ein Zeichen von dem traurigen Zuge entdecken; wir hatten die Spur verloren. –

Nsoami, das junge Weib, ist kurze Zeit darauf gestorben. Ihr Mann, der stattliche Ngo, trat in unsre Dienste, wurde durch seine Tüchtigkeit sehr bald der vielbeneidete Dolmetscher und Aufseher von Chinchoxo und ist bis zum letzten Tage unsres Verweilens in Loango der Expedition ein ebenso thätiger wie treuer Diener gewesen.




Reifeis und seine Wirkungen.


Wie durch die Zeitungen bekannt, waren in diesem Jahre wieder eine ganze Anzahl südrussischer Telegraphenlinien wochenlang für den Depeschenverkehr unbrauchbar. Ursache dieser für das Land höchst lästigen Störung war das sogenannte Reifeis, eine meteorologische Erscheinung, die meines Wissens im übrigen Europa fast gar nicht, in den südrussischen Steppengegenden auch nicht häufig auftritt, aber durch ihr Eintreten meistens Verwüstungen anrichtet, die noch lange nachher empfunden werden. Da sich das Reifeis in diesem Jahre in einer Entfaltung seiner Eigenthümlichkeit gezeigt hat, wie sie sicher höchst selten beobachtet wird, so will ich in Nachfolgendem versuchen, davon ein möglichst anschauliches Bild zu entwerfen.

Fig. 1. Reifeis auf dem Telegraphendrahte,
erstes Stadium (circa 1/11/3 natürlicher Größe.)

Das Reifeis ist, wie ich von vornherein bemerken will, nicht mit dem Rauhreife (Rohrreife) zu verwechseln, diesem zarten, blätterreichen Eiskrystallgebilde, das uns an manchen Wintermorgen die kahlen, blattlosen Bäume in einen glitzernden Zauberwald verwandelt, um dann nach kurzer Dauer ebenso schnell zu verschwinden, wie es erschienen ist. Das Reifeis ist vielmehr der nächste Verwandte des auch in Deutschland genugsam bekannten Glatteises, unliebsamen Angedenkens, und verdient als eine weitere Ausbildungsform desselben angesehen zu werden.

Fig. 2. Reifeis auf dem Telegraphendrahte,
zweites Stadium (circa 1/21/3 natürlicher Größe). Bildung bei windstillem Wetter.

Bedingung für das Erscheinen desselben ist plötzliches Eintreten einer nassen, regnigen Witterung nach vorangegangenem, langandauerndem und strengem Froste. Die oberen Schichten der Erde sind dann oft recht tief bedeutend abgekühlt und entziehen nun den die Erdoberfläche berührenden Luftschichten so stark die Wärme, daß diese dann noch auf eine Entfernung von zwanzig bis vierzig Fuß vom Erdboden eisig kalt erscheinen. Gegenstände, welche sich in diesen Luftschichten befinden, wie Bäume, Häuser etc., behalten dann gleichfalls diese mehrere Grad unter Null befindliche Temperatur. Fällt nun aus höheren, warmen Luftschichten Regen, so gefriert er nicht in der Luft, weil die kalte Luftschicht, die er zu passiren hat, keine sehr dicke ist, sobald er aber den kalten Erdboden oder Bäume und Häuser berührt, gefriert er und bildet auf diesen eine Eisschicht. Das ist der Vorgang beim Glatteise und auch beim Reifeise.

Fig. 3. Reifeis auf dem Telegraphendrahte,
drittes Stadium (circa 1/21/4 natürlicher Größe). Bildung bei windigem Wetter.

Letzteres entsteht nun, wenn oben genannte Bedingungen lange, wie es vorkommt, Tage lang vorhanden sind. Dann wird die aus dem Regen der obern Regionen sich bildende Eisschicht immer dicker und mächtiger, und bald liegen Bäume und meilenlange Telegraphenlinien von der ungeheuren Eislast zerknickt und zerrissen am Boden.


Fig. 4. Reifeis auf dem Telegraphendrahte,
viertes Stadium (circa 1/21/3 natürlicher Größe). Der Draht, von der Sonne erwärmt, schmilzt allmählich durch das Eis, welches zuletzt abfällt.

Im December 1876 wurden die südrussischen Steppen vom Reifeise heimgesucht, und haben namentlich ganze Kreise des Chersonschen und Taurischen Gouvernements davon erheblich gelitten. Am 17. und 18. December hatte ich eine Reise von Nikolajew über Cherson nach Berislaw zu machen. Mein Weg lief fortwährend zwischen den Leitungen des indo-europäischen und zwischen denen des russischen Staatstelegraphen hin, und ich hatte so Gelegenheit, die verschiedenen, höchst merkwürdigen Formen des Reifeises an Telegraphenleitungen genauestens zu beobachten.

Die erste Form desselben ist die einer dicken, walzenförmigen Eisrolle, welche sich aber nicht, wie man annehmen könnte, concentrisch um oder hängend an dem Telegraphendrahte bildet, sondern ganz und gar über demselben liegt, so daß dieser die Peripherie der Eisrolle, deren Dicke zwischen ein halb bis drei Zoll variirt, fast berührt, wie uns Figur 1 im Durchschnitte zeigt.

Die zweite Form bildet sich aus der ersten dadurch, daß die Kälte in den unteren Luftschichten etwas abnimmt, aber doch noch unter dem Gefrierpunkte liegt. Der Regen gefriert dann nicht sofort bei Berührung der schon gebildeten Eiswulst, sondern hat Zeit, dieselbe zu umfließen und theilweise noch von ihr herabzuträufeln,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_180.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)