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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Bergen eine so wichtige Rolle spielen, ungemein. Schon der Knabe lernt die Wildfährten kennen, und auf seinen einsamen Wanderungen entdeckt er die Schlupfwinkel und Aufenthaltsorte jagdbarer Thiere und vermag die Wildwechsel bald so genau zu bezeichnen, wie der Jäger.

Die Natur selbst verfehlt ihre mächtige Einwirkung auf das Gemüth nicht. Der Bergbewohner ist durchaus nicht abgestumpft gegen ihre bezaubernde Schönheit und kennt die geheimsten Reize derselben. Wie wäre ohne dieses tiefe Empfinden die eigenthümliche lyrische Beimischung, die in den „Schnadahüpfln“ zu finden ist, möglich? Was sind die Modulationen des Jodlers anderes, als das Ueberströmen der Gefühlsansammlung, die ihren Ursprung nur in jenen Natureinwirkungen haben kann, welche nach unsern Begriffen lediglich den ästhetisch gebildeten Menschen berühren. Die Hochjagdschilderungen Kobell’s treffen hier das Richtige: es ist nicht die Beutegier allein, welche den Jäger hinaustreibt – der unsagbare Zauber des ganzen Beginnens fesselt und befriedigt. Wenn man einen „Wilpertschützen“ – nicht Wilddieb – fragen wollte, warum er auf die Hahnfalz gehe etc., so würde man sicher zum Oefteren die Antwort bekommen: „Weil’s halt in da Früha so viel schön is.“ Rechnet man zu all’ dem noch den Nimbus, mit welchem die Volkspoesie den Wildschützen umgiebt, so wird man nach der Anregung zum gefährlichen Handwerk nicht lange suchen müssen. Wer hat nicht schon das von den jungen Burschen mit besonderer Vorliebe gesungene Trutzliedl gehört:

„I bin da boarisch Hiasl;
Koa Jaga hot die Schneid,
Daß ea miar von mei’m Hüatl
Die Feda’n obikei(l)t.“

Diese Strophe allein charakterisirt das Verhältniß des Wildschützen zum Forstmann. Er soll als verwegener Bursche bekannt und gefürchtet sein, sein Handwerk nicht zu verhehlen brauchen und doch nicht erwischt werden. Das ist der Wildschütz des Volkes in seiner ursprünglichen Bedeutung, vielleicht auch der Verfechter eines eingebildeten Rechtes, der Tradition einer frühern Zeit. Von dieser zwar nicht entschuldbaren, aber eher verzeihlichen Sympathie profitiren jedoch auch alle jene Individuen, die mit solchen eben angedeuteten Originalen nicht in Vergleich gebracht werden können. Es existirt kaum ein Dorf im oberbaierischen Hochlande, in dem nicht von einer berühmten Persönlichkeit erzählt werden könnte, die in vorerwähnter Weise irgend ein verwegenes „Stückl“ ausgeführt hat, das zu Nutzen und Frommen der Nachwelt weiter vererbt wird. Wollte man die Schliche und Ränke alle erzählen, die gebraucht wurden, um den Wächtern des Gesetzes zu entgehen, dann müßte man Bände schreiben, und ebenso interessant wie originell würde eine Sammlung aller von Wilderern benützten Schußwaffen sein. Abschraubstutzen, zerlegbare Flinten, Flintenläufe mit Rinde überzogen, um als Bergstock zu passiren, Musketen, sogar Pistolen in wunderlichster Verfassung erwecken das Staunen der Unkundigen, und die Thatsache, daß man mit solchen Instrumenten eine Gemse zu erlegen vermag, bleibt dem Laien ein Räthsel. Und doch haben diese Waffen nicht allein dem Jäger gedient, sondern auch größtentheils in erbittertem Kampfe zwischen Menschen eine furchtbare Rolle gespielt. Die dunkelste Seite des Wildschützentreibens sind die fortgesetzten wüthenden Zweikämpfe zwischen Wilderern und Jägern; ein Cooper hätte sich aus den Bergen unstreitig noch manches Material für seine Schilderungen holen können. Es vergeht in neuester Zeit, die Vieles auch in diesen Zuständen zum Bessern gewandt hat, kein Jahr, in welchem nicht die bedauerlichsten Auftritte die unselige Verirrung blutig illustrirten. Viel schlimmer war es aber vor Jahrzehnten, und Fälle, wie sie sich jetzt nur sporadisch ereignen, waren damals an der Tagesordnung. Mancher alte Förster weiß die haarsträubendsten Geschichten aus seiner Dienstzeit zu erzählen und hat nicht nöthig Latein anzuwenden, um das Interesse des Zuhörers zu erregen.

So lebte vor Jahren in T. ein ehemaliger Forstgehülfe, der seiner Zeit der Verwegensten einer war, und welchen dieser Charakterzug sogar um den Dienst gebracht hat. Letzteres war allerdings sein eigenes Verschulden, und da der kühne Waidmann nicht mehr unter den Lebenden weilt, so ist es keine Indiskretion, wenn einige Episoden aus seinem Leben hier eine Stelle finden. Sie vermögen die vorher versuchte Schilderung vielleicht am besten zu ergänzen.

Einer der hervorragendsten Jagdbezirke unter der Regierung König Ludwig’s des Ersten war der Bezirk Berchtesgaden. Es wurde dort ein bedeutender Wildstand gehegt, sodaß die Vermehrung des Hochwildes, trotz der bezahlten Wildschäden, den Bauern sehr lästig wurde. Ein Pürschgang war damals seines Erfolges sicher und einiger Verdienst immerhin damit verbunden. Dem gegenüber stand aber ein auserlesenes Forstpersonal, und ein Stümper durfte kaum wagen, den gefährlichen Weg zu betreten. Trotzdem galt ein selbsterrungener „Gamsbart“ am Hute als ein Schmuck, nach dem jeder junge Bursche sehnsüchtig blickte. Des reinen Erwerbes halber wurde das Wildern hauptsächlich von Tiroler Wildschützen betrieben, die über die Grenze schlichen, einen feisten Hirsch holten und dann wieder verdufteten. Auf diese hatten es die königlichen Jäger besonders abgesehen, weil ein Rencontre mit „Tirolern“ fast immer einen Kampf auf Leben und Tod zur Folge hatte und in den für die Jagdaufseher ungünstigen Fällen die fremden Wilderer sich die grausamsten Repressalien gegen die Wächter des Gesetzes zu Schulden kommen ließen. Aufhängen zwischen zwei zusammengebogenen Tannen, Anbinden an einen der Sonnengluth ausgesetzten oder über einen Abgrund stehenden Baum, Ausdrücken der Augäpfel aus den Höhlen und andere raffinirte Verstümmelungen waren die Liebenswürdigkeiten, mit denen diese Leute ihre Opfer bedachten. Daß die Aufzählung solcher Torturen nicht auf Uebertreibung oder Erfindung beruht, vermögen manche jetzt noch lebende Forstveteranen zu bestätigen. Den Forstleuten blieb im günstigen Falle nichts übrig, als die attrapirten Bursche dem Gerichte zur Bestrafung vorzuführen. Manchmal sprachen allerdings die Kugeln ihr Wörtchen darein, und in diesem Falle wurde hüben wie drüben keinerlei Rücksicht geübt.

So standen die Verhältnisse, als der junge Hannickl als Forstgehülfe in das verschrieene Revier versetzt wurde. Ausgestattet mit allen wünschenswerthen Körpervorzügen, ein ausgezeichneter Jäger, ein tollkühner Bursche und von Uebermuth strotzend, machte er bald von sich reden; eine der ersten Fahrten auf dem Königssee mußte dazu dienen, ihn bei seinen Collegen vollgültig zu accreditiren.

Jeder Besucher des Königssees, der vom Landungsplatze aus nach St. Bartholomä fährt, kommt an der rechtseitig liegenden Falkenwand vorüber, die fast senkrecht in den tiefen See abfällt. Bis zu einer bedeutenden Höhe hinauf ist dieselbe nicht einmal mit Gras, geschweige denn mit Bäumen bewachsen; nur hier und da drängt sich ein Strauch aus den Felsspalten hervor. In ziemlich bedeutender Höhe über dem Wasserspiegel gewahrt man eine Art Nische in der Felswand, und in diese hat der fromme Sinn eines Bergbewohners schon vor langer Zeit ein Muttergottesbild, in Gestalt einer bemalten Statuette, hineingesetzt. Die Verbringung derselben an diesen Ort geschah, wie man erzählt, von oben herab, und war die Arbeit insofern nicht besonders halsbrecherisch, als mehrere Männer sich gegenseitig dabei unterstützten.

Es war an einem schönen Sommertage, als einige königliche Jäger, unter ihnen Hannickl, ein Schifflein bestiegen, um sich nach Bartholomä bringen zu lassen. Der junge Neuling konnte sich an der prachtvollen Scenerie nicht satt sehen und vermochte sein Entzücken kaum zu zügeln. Dies zog ihm einige spöttische Bemerkungen zu, und endlich fing man an, ihn zu hänseln. Das behagte dem jungen Brausekopf nun allerdings nicht, und in seinem Innern kochte und brodelte das heiße Blut. Einer der Jäger äußerte im Verlaufe dieser Unterhaltung, der junge Hannickl werde wohl hart thun, bis er sich an das Bergsteigen gewöhnt habe und schwindelfrei geworden sein würde. Dieser Angriff auf die Leistungsfähigkeit brachte die Bombe zum Platzen. Eben bog man um die Ecke und näherte sich der Wand, auf welcher die Heilige thronte.

„Wenn Ihr so fürnehme Bergsteiger seid, so zeigt es,“ rief der junge Jäger; „wer getraut sich, ohne etwas zurückzulassen, der lieben Frau einen Edelweißbuschen aufzustecken?“

Ein verächtliches Gelächter war die Antwort, und man erwiderte ihm, daß seine Unkenntniß ihn übersehen lasse, daß ein solcher Aufstieg zu den Unmöglichkeiten gehöre. Das hatte Hannickl zu hören gewünscht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_458.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)