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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


befreundet haben, denn als ihm die neue Magisterin eben auf halbem Wege entgegenkam, stieß er, wie zum „Salut“, seiner Gewohnheit gemäß, zwei kurze Lachtöne heraus und ging sofort zum Gefecht über.

„Ha, ha, mein Herr Vater schickt mich wieder gegen Eure Feldschlangen, Fräulein.“

„Dünken Euch meine Augen so gefährlich, Prinz?“ lächelte das Hoffräulein nicht ohne ihre Smaragden spielen zu lassen.

„Potz Blitz, sie leuchten wie Lunten in der Nacht.“

„Ei, Prinz, wenn Ihr doch dergleichen Schönes einmal der Herzogin sagen möchtet!“

„Nicht im Stande. Versagt mir allemal.“

„Aber Prinz, was hat sie Euch gethan?“

„Nichts hat sie mir gethan. Aber die Festung liegt mir zu hoch, und ein Sturm auf Weiberschanzen ist mir zuwider!“

„Ein Sturm? Wozu ein Sturm? Ihr sollt Euch um ihre Gunst bewerben, wünscht der Herzog. Und daß es Euch nicht allzu schwer fällt, zeigt Ihr ja an mir. Ich bin doch auch nur eine –“ und ihm nachahmend, stieß sie rauh heraus: „Weiberschanze.“

„Nein, Fräulein,“ lachte er treuherzig, „da irrt Ihr. Ihr seid keine Schanze. Wahrhaftig nicht. Ihr seid nur zum Scharmützeln.“

„Bedanke mich!“

„Potz Bomben, gegen Euch ist gut anreiten. Da geht's wie gegen ein leichtberittenes Fähnlein. Das hält nicht Stand; das weicht aus, parirt und ist von hinten herum wie der Wind wieder da. Ha, ha, und mit den Augen – da ist's eine Lust.“

„Aber Prinz!“ that Adelheid schmollend. „Das klingt gerade, als hieltet Ihr mich selbst für eine Art 'Wind'. Da muß ich doch bitten! ... Und daß Ihr es wisset, ich halte mich für zu gut für ein 'leichtberittenes Fähnlein', das nur zum 'Scharmützeln' taugt.“

„O, o, Fräulein! Das ist die beste Hülfstruppe – just wie sie mir noth thut. Und Euch will ich dazu werben, wenn es doch einmal, wie mein Herr Vater will“ – und er seufzte tief auf – „zur großen 'Action' kommt da oben. Ja, Fräulein, thut es mir zu Liebe, sagt 'gut Freund' und werdet meine Verbündete! Zu Euch habe ich Vertrauen – Ihr müßt mir die Wege ebnen, mir die Zugbrücke niederlassen. Schlagt ein!“

Und er hielt ihr die breite Hand hin.

„Was denkt Ihr von mir, Prinz?“ fuhr, wie erschrocken, das Fräulein zurück, wenn sie auch den geheimen Kitzel nicht verleugnen konnte, den es ihr bereitet hatte, den jungen Bären so kirre gemacht zu haben. „Ich sollte meine Herrin verrathen?“

„Nicht verrathen, Fräulein! Zureden sollet Ihr, den Parlamentär machen und zur Capitulation auffordern, wenn es so weit ist.“

„Immer besser! Auch noch den Trompeter spielen? Nein, Prinz, da kann ich Euch nicht zu Diensten sein, denn erstlich habe ich nicht zu 'blasen' gelernt, und zweitens will ich Niemandes 'Hülfstruppe' sein, dem an meiner Herrin so wenig liegt, daß er sich nicht einmal um ihre Gunst bewerben mag.“

„Höret, Fräulein, da will ich Euch ehrlich Antwort geben. Sehet, ich weiß sehr wohl, was an mir ist, und habe eine fein demüthige Meinung von mir. Wohl ist mir an der schönen jungen Herzogin gelegen. Aber ich weiß auch, daß unseres allergnädigsten Kaisers Sohn, Herr Maximilian, schon einmal ihr Verlobter war. Sehet, da geht mir nun durchaus wider den Mann, was mein Herr Vater mit mir vorhat. Es schnürt mir allemal die Kehle zu, wenn ich nur den Anlauf nehme, der Herzogin ein Wort zu sagen. Immer sehe ich Kaisers Majestät neben ihr stehen und die lombardische Krone auf ihrer Stirn. Das ist's einzig und allein. Wie sollte ich mich also hoch versteigen? Mein Herr Vater freilich, der kehrt sich nichts daran. Glaub's gern – er soll sie ja auch nicht heirathen. O, er ist ein kluger Mann, viel klüger als ich.“

„Und das will etwas heißen,“ entfuhr es wider Willen seiner Lehrmeisterin, obwohl eine so rührende Bescheidenheit selbst auf sie ihren Eindruck nicht verfehlt hatte.

Aber auch diese kleine Bosheit war nicht im Stande, ihn in Harnisch zu bringen.

„Das will gar nichts heißen, Fräulein,“ erwiderte er, treuherzig wie zuvor. „Ich bin viel zu ehrlich, um gescheidt zu sein, wie mein Herr Vater. Darin sticht er mich aus. Aber ich sage Euch, lasset mich im Sattel sitzen, und ich steche ihn aus, denn ich setze Jeden in den Sand, der nicht wie angenagelt sitzt.“

Mit dieser – wie sein blitzendes Auge zu erkennen gab – schlagendsten Ehrenrettung seines inneren Werthes schienen auch seine Gedanken eine andere Richtung genommen zu haben, denn, als eben sein Vater auf den Balcon trat und Ritter Huy, wie Jemand, der nicht stören möchte, vorüberschritt, wendete er sich eifrig an diesen.

„He, Huy!“

„Mein Prinz?“

„Wann machen wir den Wettrit mit Eurem Schimmel und meinem Rappen?“

„Wann das gnädige Volk von Gent der Herzogin einmal wieder das Ausreiten gestatten wird,“ war die ironische Antwort.

„Das gnädige Volk von Gent! Ha, ha, das Pferd lasset mich erst reiten!“

„Ich dächte, Ihr cajolirt es, Prinz?“

„Nicht ich, mein Herr Vater,“ erwiderte leise, wie beschwichtigend, der Prinz. „Mein Herr Vater, Huy! Man muß doch erst im Sattel sitzen. Aber dann, Huy, dann! – Den Zaum in's Gebiß und den Sporn in die Rippen! Warte nur, Krämervolk!“

„Ei, ei,“ lachte Huy, „allzu dankbar ist das eben nicht gegen die guten Genter, die Euch so sehr lieben. Aber,“ fügte er bedeutungsvoll hinzu, „nicht zu früh gelacht, Prinz! König Ludwig treibt längst sein Spiel in der Stadt, und sein Gesandter ist der rechte Mann dazu. Wißt Ihr wohl, wer es ist?“

„Ein Graf Meulan, so viel ich hörte.“

„Ganz recht, der König hat ihn dazu gemacht. Aber sonst hieß er – Olivier le Dain und war Seiner allerchristlichsten Majestät Hofbarbier, jetzt gefährlichstes Factotum.“

„O Schande, Schande!“ brauste der Prinz auf.

„Seine eigenen Edelleute sind entrüstet darüber, solchem Menschen zum Gefolge dienen zu müssen. Ihm ist kein Mittel zu schlecht. Aber Euer Vater will trotz aller Beweise nicht daran glauben, daß ein Gesandter so niedrig denken könne, Bestechung und Verrath zu üben. So lasset Ihr Euch warnen!“

Augenblicklich wendete sich der Prinz, zu Hugo's stiller Befriedigung, an seinen Vater.

„Herr Vater!“ rief er. „Ritter Huy sagt mir eben, wer Meulan ist, und warnt mich vor ihm. Soll ich den Schuft nicht, wenn er in's Schloß kommt, die Treppe hinunterwerfen?“

Der Herzog trat vom Balcon herunter.

„Was denkst Du, Adolf!“ sagte er strafend, nach einem raschen Blicke auf Hugo. „Die Warnung mag gut gemeint sein, aber“ – und er schlug die wasserblauen Augen zum Himmel auf – „ein Gesandter, weß Standes er auch sein möge, ist eine geheiligte Person, und, bei Gott, niemals werde ich zugeben, daß Recht und Sitte auch nur um Haarbreite verletzt werden.“

Der Ton seiner sonoren Stimme war ein salbungsvoller geworden. Er mußte wohl sittlich entrüstet sein, der deutsche Biedermann.

Ebenso andächtig aber hörte ihm auch Hugo zu, und sichtlich beschämt schlug er die Augen nieder. Er mußte wohl tief durchdrungen von seinem Irrthum sein, der welsche Schmetterling.

Doch sonderbar – das Senken der Augen schien ihn nicht gehindert zu haben, einen Seitenblick auf den Balcon zu werfen und zu bemerken, daß Adelheid plötzlich, die Hand über dem Auge, mit allen Zeichen höchster Spannung auf den Platz hinunterschaute. Er beeilte sich daher, mit ehrerbietiger Verbeugung sich vom Herzoge zu verabschieden und zu ihr hinüberzutreten. Aber kaum hatte auch er mit einem Blick den Platz überflogen, als seine ganze Haltung sich änderte. Seine Arme kreuzten sich; seine Lippen schlossen sich aneinander, und sein fester, kalter Blick schien zu sagen: „Genug der Worte, genug der Künste – die Entscheidung naht.“

Dem Herzoge freilich entging diese Wandelung. Er hatte schnell seinen Sohn auf die Seite genommen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_630.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)