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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


wallenden Federn und Helmbüschen, um eine schwarze Fahne mit einem goldenen Mann und einem Stern darin, das Banner des Königs von Frankreich, geschaart, über die letzte Brücke geritten und von der gesammten Menge mit weithin dröhnendem Schrei empfangen worden. Was bedeutete der Schrei? War es ein Ausruf der Bewunderung? War es freudiger Zuruf? War es Drohung? ... Der Trupp hielt an. Er befand sich vor einer lebendigen Mauer, die ihm keinen Durchgang bot und ihm keine Pforte öffnen zu wollen schien. Einige Trompetenstöße schallten zum Schlosse herüber – offenbar die Aufforderung, Platz zu machen. Neues Geschrei, schon mit Gelächter untermischt. Die Trompeter, als Cleve'sche an den roth und weiß gestreiften Wämmsern erkennbar, die ihnen gleich den Hoornern den Spottnamen „Bunte Krähen“ eingetragen hatten, ritten vor und bahnten mit Mühe eine schmale Gasse. Das Volk preßte sich noch gutwillig genug nach beiden Seiten zusammen. Die Gesandtschaft kam näher. Sie mochte etwa zwanzig Pferde zählen; an ihrer Spitze ritt auf hohem Roß eine wunderliche kleine Gestalt, pfauenartig herausgeputzt, in den grellsten Farben, das Barrett mit hochwallender Feder geschmückt. So gelangten sie unter zunehmendem Geschrei, Gelächter, Gepfeife bis in Bolzenschußweite von der Hofburg. Hier aber sah sich der Zug unbedingt zum Halten genöthigt. Sei es, daß die wie eine Heerde in der Pferche zusammengedrängte Menge wirklich nicht mehr ausweichen konnte, sei es, daß man auf eine böswilligere Schicht gestoßen war – der Zug saß fest, wie in einer Sackgasse, die sich hinter ihnen sogleich wieder schloß. Auf dem Balcon konnte man schon einzelne Drohrufe vernehmen; der Lärm nahm einen tumultartigen Charakter an. Vergebens tönten die Trompetenstöße der Cleve'schen dazwischen.

In diesem Augenblicke verließ Adelheid den Balcon; Hugo blickte ihr nach; die Herzogin war mit der Aebtissin wieder in den Saal getreten.

„Mein Gott, was geht vor?“ rief sie in Aufregung. „Die Gesandtschaft ... der Tumult! Ich habe doch die Audienz abbestellt.“

„Es scheint ein Mißverständniß zu sein,“ meldete das Hoffräulein, „aber der Kanzler ist schon hinunter geeilt, um es aufzuklären.“

„Und mein Herr Vater auch,“ fiel der Prinz von Cleve, Maria begrüßend, ein.

„Gottlob! Das beruhigt mich,“ rief diese aufathmend, und alsbald zeigte sich mit dem ihr eigenthümlichen schnellen Wechsel der Empfindungen schon wieder der Schalk hinter ihren halbgeöffneten Perlen, als sie mit den Worten: „Der Prinz von Cleve, ehrwürdige Base!“ den jungen Fürsten der Aebtissin vorstellte.

Die rechte Hand zum Gruße niedersenkend, neigte der Prinz weniger den Kopf als den Oberkörper in einer so unglaublich eckigen Weise zum Gruße, daß Maria sich nach dem kurzen Gegengruße ihrer Base schnell dieser zuwandte, um den Verräther hinter den Lippen zu verbergen.

Diesen Moment benutzte das hinter dem Prinzen stehende Hoffräulein. „Jetzt, Prinz!“ flüsterte sie ihm zu. „Sagt ihr doch etwas!“

Der Prinz nickte ihr heimlich zu, trat einen Schritt näher zur Herzogin, stockte einen Augenblick, bog sich in den Schultern, als ob er die Worte emporwinden müßte, stieß zwei Lachtöne heraus und hob, auf den Platz deutend, an:

„Alle Achtung, Frau Herzogin! Das ist tapfer von Euch, daß Ihr den Gesandten abblitzen laßt. Potz Bomben, Euch als Parlamentär einen Barbier zu schicken! Als ob auf Eurem schönen Kinn ein Bart wüchse!“

Maria und die Aebtissin wechselten überrascht einen lächelnden Blick.

„Und Euch gilt es auch gar nicht,“ fuhr der Prinz, als er so glücklich im Zuge war, fort. „Nein,“ – und er deutete auf das Goldene Vlies an Maria's Halskette – „nur das Goldschäflein dort will er scheeren.“

Die Betonung des Wörtchens „dort“ wirkte zu drastisch. Maria lachte ihrer Base offen in's Gesicht. Die Aebtissin schlug die Augen zum Himmel auf.

„Aber Prinz!“ flüsterte es vorwurfsvoll hinter ihm.

Der Prinz sah sich mit einem verwunderten Blicke um.

„Ja, ja, mein lieber Vetter,“ nahm jetzt Maria seufzend und zugleich mit einem Ausdruck in ihren gutmüthigen Augen das Wort, wie wenn es ihr leid thue, ihn belacht zu haben. „Da sehet Ihr, was der König mir zu bieten wagt. Und wem bietet er es? Mir, deren Mutter aus dem Hause Valois war, wie er selbst es ist – er, der mich ein über das andere Mal seine 'geliebte Pathe', seine 'theuerste Freundin und Cousine' nennet.“

„Ha, ha!“ lachte der Prinz. „Das sagte der Fuchs auch, als er der Gans die Gurgel abbiß.“

Wieder sah, und diesmal fast erschrocken, Maria ihre Base an. Wieder himmelte die Aebtissin.

„Um Gotteswillen, Prinz!“ flüsterte es entsetzt hinter ihm.

„Was wollt Ihr? Das war ja nur durch die Blume gesprochen,“ versetzte der Prinz, halb ärgerlich, nach rückwärts. „Mit der Gurgel meinte ich Burgund.“

„Unglaublich!“ lächelte die Aebtissin, als sich Maria an ihren Arm hing und sie auf die Seite zog, um ihre Fassung wieder zu gewinnen. „In der That unglaublich für einen jungen Prinzen. Er ist ein Original, aber sicherlich ohne Falsch.“

Ein erneuter, heftiger Ausbruch des Geschreies draußen, das sich seit einigen Augenblicken gelegt zu haben schien, machte der heiteren Episode ein schnelles Ende. Von Neuem horchte Maria ängstlich auf.

„Um Gott, was giebt es schon wieder?“ rief sie Hugo zu.

„Die Gesandtschaft scheint Rath gepflogen oder mit dem Volke parlamentirt zu haben,“ rief der Ritter. „Vergebens drängt sie vorwärts; sie sitzt wie in der Falle.“

Plötzlich ertönte durch den wüsten Lärm hindurch eine furchtbare Baßstimme, bis in den Saal hinein verständlich.

„Nieder mit den Verräthern, den Spionen, die uns verkaufen!“

Und „Nieder mit den Verräthern!“ hallte es tausendstimmig im Volke nach.

„Base, Base, wie wird das enden?“ rief Maria, sich angstvoll hinter ihr bergend.

„Es kommt zum Handgemenge,“ meldete Hugo. „Man fällt Meulan in die Zügel. Die Edelleute ziehen ihre Schwerter.“

„Dann sind sie verloren. Ich kenne den Pöbel,“ stöhnte Maria.

„Jetzt ... jetzt! ... Nein ... siehe da ... endlich! Ein Clevischer Hauptmann an der Spitze einiger Reiter bricht sich Bahn von der Seite. Er hat Meulan erreicht ... er spricht mit ihm ... redet ihm zu ... Meulan wendet sein Pferd.“

Ein gewaltiger Jubelruf erfüllte die Luft. Rohes Gelächter und Spottnamen klangen dazwischen. „Bartscheer, Bartscheer!“ schrieen und lachten hundert Stimmen.

„Der Hauptmann drängt rückwärts das Volk aus einander,“ fuhr Hugo fort. „Man öffnet ihm eine Gasse.“

Da erdröhnte wiederum die gewaltige Baßstimme:

„Jagt sie aus der Stadt! Hinaus mit ihnen!“

Und „Hinaus mit ihnen!“ brüllte der Pöbel.

„Das war's, was ich erwartete,“ murmelte Hugo vor sich hin. „Ha, der Feigling!“ rief er dann. „Er galoppirt davon. Ein Pöbelhaufe mit Knitteln hinterdrein. Die Edelleute halten drohend. Man läßt von ihnen ab. Alles stürzt Meulan nach. Jetzt wenden auch sie und folgen langsam. Nun hat's das Volk gethan,“ fügte er, mit dem Kopfe nickend, leise für sich hinzu.

Der Lärm verlor sich in der Ferne.

„Gott sei Lob und Dank!“ athmete Maria auf. „Ich zittere an allen Gliedern.“

Da erklang hinter ihr eine volle, weiche, sonore Stimme, die sie erst recht erbeben machte.

„Wie? Schönes Bäschen, Ihr zittert?“ redete sie mit inniger Theilnahme der Herzog von Cleve an, der unbemerkt eingetreten war.

Es dauerte einen Augenblick, ehe Maria im Stande war zu antworten. „Wie sollte ich nicht, Herzog, nach Allem, was ich schon habe erleben müssen?“ erwiderte sie, sich mit Mühe fassend. „Der Herzog von Cleve, theure Base!“

„Beruhigt Euch, Bäschen!“ warf Cleve nach Begrüßung der Aebtissin leicht hin. „Es war ein unglücklicher Zufall, den sich das Volk zu Nutze gemacht hat. Die Menge hatte sich zu früh versammelt; des Kanzlers Bote konnte nur auf Umwegen hindurchdringen und traf die Gesandtschaft nicht mehr in der Herberge. Das Volk muß wohl vorzeitig Kenntniß von dem verrätherischen Plane Meulan's erhalten haben, vielleicht durch Unvorsichtigkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_644.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)