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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


können? Und dennoch war der Augenblick gekommen, meinem Bruder, Euch selbst beizuspringen. Da half der alte Huy, mein Verwandter mütterlicherseits; er lieh mir den Namen seines Neffen, der in Ungarn gegen die Türken kämpft. Sforza, eingeweiht, empfahl mich Euch. Ihr nahmt mich gnädig auf. Huy's Name machte mir selbst Gegner gewogen. Aber was mußte ich sehen? Eure Rechte mit Füßen getreten, Euch selbst unwürdig behandelt! Da empörte sich das verwandte Blut in mir. Wer sein Leben so oft im Kampfe für Fremde gewagt, der sollte dulden, daß die eigene Fürstin, eine schutzlose Waise, vor seinen Augen beschimpft werde? Zu viel. Ich entdeckte mich einem einzigen Getreuen, der als Spielmann und Waidmann die Provinzen zu durchstreifen gewohnt war, und setzte mit ihm und durch ihn den geheimnißvollen Spuk des Hugh in's Werk. Um die Fahne dieses mit selbsterfundenen Schrecken umgebenen Bundes warb er schnell ringsum die mißvergnügten Vaterlandsfreunde, vor Allem aber wußte er die Gelderer zu entflammen, die, treu meinen Hause, seit Adolf's Tode an seinem Sohne hängen. Ein geheimer Aufruf mit meinem Siegel lief im Gelderlande umher: 'Steht auf, ihr Gelderer! Der Hugh will euch retten. Sein Haupt ist Graf Hugo. Er ruft euch zu den Waffen. Sein Bote ist der Spielmann. Auf Verrath steht der Tod.' Und Keiner blieb aus. Selbst unsere Mannen aus dem Staatenheere stellten sich nach dem Falle meines Bruders sammt ihren Hauptleuten insgeheim wieder im Gelderlande. Sie waren es, die ich Herrn Maximilian entgegensandte. Den Erfolg des großen Werkes aber verdankt Ihr nicht mir. Ich war nur die Seele, die stets unterrichtete, von hundert Augen und Armen bediente – das Verdienst gebührt Diesem.“

Und er schritt auf den Fiedler zu, nahm den sich verlegen Sträubenden bei der Hand und führte ihn Maria und Maximilian vor.

„Ah, sieh' da, alter Freund! Wer hätte das in Euch gesucht!“ rief Maximilian, ihm die Hand schüttelnd. „Eure lustigen Späße haben gar manche lange Stunde verkürzt, und bei Gott, der Dank dafür soll Euch reichlich werden. Euch und Eurem Herrn, denn gern bin ich ein Fürst freudiger Menschen, und gern höre ich, es sei mir gut dienen, und man möge sich wohl bei mir erwärmen.“

Und dann einige leise Worte mit Maria wechselnd, wandte er sich an Hugo.

„Dein Sinn steht auf Geldern?“

„Für den jungen Karl, meines Bruders Sohn, gegen dereinstige Zurückerstattung der Pfandsumme an die Staaten,“ erwiderte Hugo ehrerbietig, aber fest. „Denn ich bin jetzt sein Vormund für Katharina, meine Schwester.“

Maximilian ergriff feierlich seine Linke. Maria seine Rechte. Hugo, die Bedeutung erkennend, ließ sich auf ein Knie nieder.

„Wohlan, mein Vetter!“ sprach Maria. „So wie Wir Unsere Hände in Eure legen, so legen Wir Geldern in Eure Hand. Ihr möget sein pflegen, bis Karl einst mündig ist!“

Gerührt drückte Hugo Maria's Hand an seine Lippen.

Jan der Fiedler aber war mit einem Satze wieder auf den Tisch gesprungen, warf seine Kappe in die Luft und rief jubelnd:

„Ihr Gelderer, hört es! Gelderland gehört dem Hugh.“ Und hundert Kappen mit grünen Reisern flogen draußen empor, und hundertfach erscholl es ihm jubelnd nach:

„Gelderland, Gelderland! Hugh, Hugh!“

Zu Hugo's Füßen aber lagen in demselben Augenblick die beiden Hauptleute mit grauen Bärten:

„Willkommen, willkommen für Gelderland, Sohn Herzog Arnold's!“ riefen sie und küßten ihm die Hände, daß ihm vor Rührung ob solcher Treue die Thränen in die Augen traten.

„Dank, edle Muhme, Dank, gnädiger Prinz!“ wandte er sich, als er mit Handschlag die Getreuen begrüßt hatte, an die Spender des Glückes zurück, „und seid versichert, Maria, ich gedenke wieder gut zu machen, was leider mein Bruder einst verschuldet. Hier meine Rechte darauf!“ ... Und treuherzig bot er ihr die Hand dar, aber noch hatte sie dieselbe nicht ergriffen als er, wie auf einen plötzlichen Gedanken und mit einem eigenthümlichen Seitenblick auf Adelheid, sie wieder zurückzog. Erstaunt suchte Maria einen Augenblick in seinen Zügen zu lesen. Adelheid's Augen leuchteten.

„Verzeiht, gnädige Muhme!“ verbesserte er sich, „es muß dieses Mal doch die Linke sein. Die Rechte habe ich nicht mehr zu verpfänden.“

„Wie, Hugo?“

„Sie ist nicht mehr mein, ist verwettet, verwirkt.“

„Erklärt!“

„Durch schnöden Verrath hatte sich Jemand vor der Zeit in mein Geheimniß zu drängen gewußt ...“

Wieder zögerte er einen Augenblick.

„Paßt auf,“ flüsterte Adelheid über die Schulter hinweg dem eben wieder hinter ihr stehenden Fiedler zu – „paßt auf! Jetzt beißt er mir den Kopf ab.“

„Armes Fräulein!“ bedauerte Jan.

„Aber nicht genug an dem Verrath – man ließ mich arglistig auch meine Hand verwetten. ... Gerechtigkeit, Fürstin!“

„Sie soll Euch werden,“ lächelte Maria.

„Dann bitte ich mir den Verräther auszuliefern. Es ist Euer Hoffräulein, Adelheid von Helwin.“

„Adelheid! Was soll das heißen?“

„Das soll heißen,“ nahm Hugo das Wort für die Gefragte, die wie eine arme Sünderin, gesenkten Hauptes, dastand und nur unter den Wimpern Funken spielen ließ – „daß ich mir Adelheid von Helwin, als Strafe, zur Gemahlin ausbitte.“

„Das nennt er Strafe!“ lachte Maximilian.

„Nur aus heuchlerischer Bescheidenheit, Herr!“ wagte Adelheid ihn schon wieder anzuschwärzen.

„Wird bald anders sprechen,“ drohte Hugo.

„Aber hoffentlich nicht allzusehr bereuen,“ meinte Maximilian.

„Wenn Ihr Gnade für Recht ergehen lassen wollt, Vetter,“ entschied Maria, „so nehmet sie!“

Kaum aber war das inhaltsschwere Wort gefallen, als Hugo auch schon die Erröthende beim Arm ergriffen hatte und sie wie eine Art Curiosum mit den Worten vorführte:

„Seht, edle Herrschaften, da habe ich eines der zierlichsten, aber raublustigsten Geschöpfe von der Welt gefangen – eine Libelle.“

Ein donnernder Knall aus Karthaunenrohre erscholl. Wekkering und Glockenspiele kündeten sieben Uhr. Vieltausendstimmige Rufe schallten über die Stadt zum Abendhimmel empor. Das Signal für den öffentlichen Schmaus, das letzte Vermächtniß weiland des allmächtigen Cleve, wurde in Stadt und Schloßhof mit Begeisterung begrüßt. Schon drängte die Menge auch vor der Halle nach rückwärts den Tafeln und Bänken zu, als ein Schauspiel sie zurückhielt, ein Aufzug so wunderlicher Art, wie ihn selbst die an Schaustellungen und Mummereien jeder Gattung gewöhnten Flamländer noch nicht gesehen zu haben vermeinten.

Zwischen zwei Reihen fackeltragender Diener schritt ein Trupp phantastisch mit Hahnenfedern aufgeputzter Küchenjungen und Bratenwender, umgehängte kupferne Kessel mit Kochlöffeln bearbeitend und gewaltige Trichter als Trompeten behandelnd. Ihnen folgte das gesammte Hofküchenpersonal in weißen Barretts mit Truthahns- und Fasanenfedern, mit weißen Gugeln, die langen Küchenmesser im Gurt und Jeder würdevoll, wie einst die Lictoren die Fasces, ein Bündel von riesigen Kellen und Kochlöffeln tragend.

Hinter diesen aber in unbeschreiblicher Würde stolzirte die wohlbeleibte Gestalt Bastian's, des Kellermeisters, einen Ritterhelm mit natürlichem Pfauenschweif auf dem Haupte, eine Toga vom feinsten Tafeltuch mit dem einen Ende anmuthig über die linke Schulter geworfen, ein ungeheures Trinkhorn in der Hand, einem von zwölf Mann auf riesiger Guirlanden-Bahre getragenen Ungethüme vorauf.

„Ein Drache, ein Drache!“ „Nein, ein Eber, ein Ungeheuer!“ rief es im Volk.

Hinter den Bänken schwenkte der Zug. Vor Maria wurde die Bahre niedergesetzt. Bastian, er, der sich seit kaum einer Stunde, Dank der Schnelligkeit der Geldernschen Pferde und des Glückswechsels im Schlosse, zum unumschränkten Usurpator von Küche und Keller der Hofburg aufgeschwungen, setzte sich in Positur, um eine Anrede zu halten.

„Bei Gott, was erkenne ich?“ rief Max. „Das ist ja mein 'Schrecken der Wälder'!“

„Erhabenste Gebieterin, gnädiges Fräulein,“ nahm Bastian das Wort, „Euer getreuester Knecht, der Wildmeister in Verviers, sendet Euch dieses gewaltige Unthier. 'Der Schrecken der Wälder'

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_752.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)