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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

und den Gästen, für mich von jeher eine ganz besondere Anziehungskraft ausgeübt, und so auch heute.

Da saß am großen grünen, von einem Holzgerüst umgebenen Kachelofen, dem eine schon recht behagliche Wärme entströmte, beim Schein eines Talglichtes, das geknickt in einem höchst primitiven Drahtleuchter umherschwankte, eine Gruppe Frachtfuhrleute, kernfeste, wetterharte Gestalten, in ihren blauen Ueberhemden und plumpen Aufschlagstiefeln gar prächtig anzuschauen, welche hier bereits zum Abend ausgespannt hatten und nun ihr reichlich aufgetragenes wohlduftendes und gewiß auch recht schmackhaftes Mahl verzehrten. Vortrefflich hierzu stimmte der Hintergrund. Diesen bildete ein in Tabaksqualm schier verhüllter großer vergatterter Ausschank, hinter dessen mit allerhand inhaltreichen seltsam geformten Flaschen, mächtigen Biergläsern und sonstigen Trinkgeschirren, wie blank geputzten Zinnmaßen besetzter Brüstung die wohlbeleibte Wirthsgestalt auftauchte. Das unvermeidliche grüne Sammetkäppchen auf dem dicken Schädel, wartete dieser Biedere hier selbstgefällig seines Amtes und war jeden Augenblick bereit, die durstigen Kehlen seiner Gäste zu netzen.

Andererseits füllten nun auch noch heimkehrende Landleute, zumeist Waldarbeiter, wie der ihnen anhaftende eigenthümliche Haidegeruch es gleich verrieth, die Schenke, und diese ergötzten mein Auge nicht minder durch ihre charakteristischen Erscheinungen als die schon vorher Geschilderten. Ganz besonders aber fesselte von den Hinzugekommenen meine Aufmerksamkeit ein großer, starkknochiger, trotz seines schneeweißen Haares noch völlig ungebeugter, wetterfester Mann; er war, wie ich sogleich erfuhr, der älteste und bravste Waldarbeiter des ganzen Forstbezirkes und namentlich auch bei den Königsjagden in Moritzburg ein unentbehrlicher Treibmann, meinem Jagdgeber und Gewährsmann also auch ein alter Bekannter. Daher begrüßte der muntere Alte seinen Vorgesetzten, als er seiner ansichtig geworden, in zutraulichster Art mit einem „Guten Abend, Herr Förster! ’s freut mich, Sie hie zu treffen, denn das paßt mer g’rade, Ihnen hinte noch was zu erzählen.“ Und nun stattete er seinem aufmerkenden Brodherrn folgenden originellen Bericht ab:

„Heute Morgen, als ich mit meinem Schiebbock auf’s Revier nach dem hintern Holzschlage ’nausfuhr, da stand gar nich weit vom Schmäligswege, wo der spitze Feldzippel sich in’s Holz ’reinschiebt, ein ganzer Schwarm großmächtiger Vögel, solch Zeug ich in meinem ganzen Leben noch nich gesehen. Das waren doch Kerle, wie die Truthühner.“

Auf des Försters Vermuthung: es seien wohl wilde Gänse gewesen, welche dort in dem anstoßenden Stücke Saat gelegen, entgegnete aber der Alte:

„O nee – die Sorte kennen mer genau, haben doch dergleichen Aeser vergangenen Herbst mei Bissel Wintersaat, das ich hinterm Hause stehen hatte, in eener Nacht total ruginirt. Nee, nee, dergleichen Beester waren’s nich; denn sie hatten ooch nich etwa Latschen, sondern ganz gehörig lange Beene. Und rennen konnte das Teufelsviehzeug, als es vor mir flüchtig wurde, g’rade wie die Windhunde.“

Nun schoß uns sozusagen das Blatt – dieser Beschreibung nach hatte der gute Mann Trappen gesehen. War dies doch auch gar nicht so unmöglich, da auf weiter gelegenen, nachbarlichen Fluren dann und wann einmal ein Stück dieses stattlichsten Federwildes geschossen wurde. Ja, in nicht allzu ferner Umgegend, bei Großenhain nämlich, wo die weitgedehnten Flächen ein recht günstiges Terrain dazu bieten, hatten bisher fast jedes Jahre wenigstens einige Exemplare dieser seltenen Vogelgattung Stand gehalten. Daher konnte ja wohl leicht auch einmal ein auf dem Striche befindliches oder versprengtes Gesperre dieser Ungewöhnlichen sich hierher verirrt haben. Mein darnach lüstern gewordener Waidmann beschloß augenblicklich, des andern Morgens mit mir Auslug nach den Vermutheten und im glücklichen Falle Jagd auf sie zu halten, und beorderte demnach vor Allem auch den gemüthlichen Berichterstatter, den alten „Bienenlob“, wie er allgemein genannt wurde, dazu, uns zu begleiten.

Frohgemuth, weil um eine aufregende Jagdhoffnung reicher, machten wir uns auf den Weg, dem traulichen Jägerheim zu, und ich konnte hier kaum den andern Tag erwarten, an welchem wir dem seltenen Wilde nachzuspüren gedachten.

Nach unruhig vollbrachter Nacht, während welcher ich mich im Traume mit riesengroßem, phantastisch geformtem Geflügel umhergebalgt hatte, dämmerte endlich der Morgen, und ich verließ schleunigst das Lager. Rechtzeitig meldete sich dann auch alsbald unser „Bienenlob“ im Forsthause, und auch wir, der Förster und ich, säumten nun keinen Augenblick länger, für Alles wohl vorbereitet, zum vorgenommenen Ausfluge aufzubrechen. Vorerst galt es hierbei, dem Orte, wo der Alte gestern die „Beester“ gesehen, zuzusteuern. Deshalb wanderten wir wohl anderthalb Stunden weit hinaus, ehe wir nur in die Nähe des Feldstückes kamen, wo die fraglichen Vögel gestanden haben sollten. Von hier aus, den Wind wohl beachtend, schlichen wir nun mit aller Vorsicht bis zu der erwähnten Stelle, von wo aus gestern die heute Gesuchten entflohen sein sollten.

Trotz des hier genommenen sorgfältigsten Umblickes, wobei auch der vom Förster wohlweislich eingesteckte Feldstecher seine Dienste leisten mußte, war weit und breit keine Feder zu erblicken, auch etwaige Fährten nicht zu sehen, da wir uns auf hochgrasigem und haideüberwuchertem Terrain, beziehungsweise auf schon seit mehreren Tagen hartgefrorenem Feldboden befanden. So erwies sich denn unsere erste Ausschau nach den Ersehnten als gänzlich erfolglos, ja auch nicht einmal zu weiteren Hoffnungen berechtigend. Dennoch sahen wir nicht kleinmüthig von jedem weiteren Schritte ab; vielmehr ward nun der freilich etwas gewagte Anschlag zum Beschluß erhoben: Nero, den vortrefflichen, mit ungewöhnlich feiner Nase begabten und seiner englischen Abstammung zufolge weithin suchenden Hühnerhund zu lösen, und die vor uns ausgebreitete Fläche abrevieren zu lassen, um dadurch wenigstens über das „Sein oder Nichtsein“ der Begehrten an dieser Stelle in’s Klare zu kommen. Zu diesem Zwecke nahmen wir beiden Schützen vorläufig eine kleine Erhöhung ein, von der man Alles, so weit das Auge ringsum, selbst das bewaffnete, reichte, überblicken konnte, den Nero aber ließ der Förster durch unsern braven Führer von derjenigen Stelle aus, wo dieser gestern die Laufvögel hatte forteilen sehen, die vorliegenden Fluren absuchen. Das Jagdgebiet sofort flüchtig nehmend, stieß er wohl hier und da einen lose sitzenden Hasen vor sich heraus, bis er plötzlich anzog, und zwar in höchst auffällig markirter Weise. Rascher schlugen jetzt unsere Herzen, und als der Kluge vollends fest vorstand und wir nun ohne Zögern, mit dem gehörigen Abstand voneinander, auf den Hund zuschritten, da hegten wir von Neuem die beste Hoffnung. Freilich hatten wir erwartet, daß, stieße Nero wirklich auf die gesuchten Trappen, diese sofort vor ihm flüchtig werden würden, aber gern ließen wir jetzt diese Annahme als eine irrige gelten, trösteten wir uns doch damit, daß es sich ja ereignen könne, daß dieses für uns unberechenbare Wild auch einmal einem umsichtigen Vorstehehunde aushielte.

In diesem tröstlichen Glauben schritten wir gespannt, aber auch auf’s Bedächtigste vorwärts. Kaum waren wir jedoch nur annähernd auf Schußweite herangekommen, so bewegten sich vor dem Hunde auch schon die hohen Schmälen. Deshalb ließ der Förster, rasch entschlossen, den Hund einspringen, sodaß die Flüchtlinge alsbald schwirrend vor ihm aufstanden und uns veranlaßten, rasch hinter einander vier Schüsse unserer Büchsflinten darnach abzugeben. Dieses kleine Rottenfeuer brachte wirklich ein Stück der weithin Beschossenen zu Falle, welches nun auch sofort vom Hunde apportirt ward. Aber wir fanden nicht, was wir gesucht hatten. Die immerhin recht starken, aber von uns doch gleich erkannten Vögel, von denen wir jetzt ein Exemplar in Händen hielten, waren nur ein Flug Birkwild, der uns geäfft hatte. Da nun auch dieses Geflügel nur ausnahmsweise im Reviere vorkam, so glaubten wir jetzt zuversichtlich, der gute, ehrliche „Bienenlob“ habe gestern auch nur solches gesehen und die ihm – unserer Meinung nach – unbekannten Vögel seien ihm nur in seinem überraschten Sinne so übertrieben groß und schnelllaufend vorgekommen, wie er es uns in seiner drastischen Art beschrieben. Als daher der Förster dem herangekommenen Alten in bester Laune lachend vorhielt, daß in diesem Falle einmal seinen Augen die gestern von ihm gesehenen „Beester“ und deren „Beene“ etwas zu groß, auch ihr Laufen als zu schnell erschienen, und ihm zum Beweise des Gesagten nun die eben erlegte Beute vorzeigte, da schüttelte der greise Mann unwirsch, ja ordentlich zornig, das graue Haupt und sprach:

„Solch wildes Hühnervolk, von der die Bürkhinne hie ist“ – er erkannte die Wildgattung auf den ersten Blick – „das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_780.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)