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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Zu spät keineswegs – aber –“

„Aber ich wäre nicht nach Ihrem Geschmack gewesen – ich verstehe. Ihr Genre ist mehr ein hoher stattlicher Held, als ein hübscher, lustiger Junge. Und für Sie, mein Herzblättchen, ist das auch das Richtige, denn Sie wissen ja: wo sich das Spröde mit dem Zarten –“

„Sie kommen eben von Marie Reinhard?“ fragte Hanna ablenkend.

„Ja, mein Liebling! Und wen, glauben Sie wohl, traf ich draußen im Vorzimmer, ebenfalls in der Absicht, sie zu besuchen, als ich im Begriffe war, zu gehen? Wen anders, als Ihren würdigen Oheim. Er war bei dem Bruder gewesen, während ich der Schwester meinen Besuch abstattete, und begleitete mich an den Wagen. Ich habe ihm das Versprechen geben müssen, mich Ihrer in Ihrer Einsamkeit anzunehmen. Was sagen Sie dazu, Hanna, daß ich heute die Absicht habe bei Ihnen zu bleiben – werde ich Ihnen nicht lästig fallen?“

„Wie können Sie nur so fragen, liebe Paula? Das war ein guter Gedanke von meinem Onkel.“

„Und ich prophezeie, daß wir heute noch mehr Besuch bekommen werden. Ich darf Ihnen den Namen nicht nennen, aber ich sehe aus Ihrem Erröthen, daß Sie ihn bereits ahnen.“

Hanna wandte sich ab, um den kostbaren Sammetumwurf Paula’s, den diese nachlässig abgeworfen hatte, sorgfältig zusammenzufalten.

„Wie hat Ihnen Marie Reinhard gefallen?“ fragte sie.

„Wie anders, als gut, mehr als gut! – O Hanna, das ist ein Mädchen, auf das eine Königsfamilie stolz sein könnte. Eine vollendete Dame, so fein, so graziös, so anmuthig! – Eine Schwägerin, die man mit Stolz überall präsentiren kann, nicht wahr, Liebling?“

Sie war lächelnd und strahlenden Auges vor Hanna stehen geblieben.

„Und dennoch giebt es Menschen, Kind, dumme, beschränkte Menschen, die eine Verbindung mit dieser Familie für eine Mesalliance erklären. Aber sie sollen sich beugen lernen. Sie sollen noch einst demüthig um ihre Gunst bitten.“

„Er ist ein stolzer Mann, Paula. Es wird ihm nicht leicht werden, in eine Familie einzutreten, die ihn nur widerwillig aufnimmt.“

„O, ich verkenne das nicht, mein Liebling. Und um die Wahrheit zu gestehen, so ist gerade Er“ – und sie wies in die Richtung der Fabrik hin – „derjenige, den zu gewinnen mir die meisten Schwierigkeiten machen wird. Man kann nicht zehn Worte mit ihm sprechen, ohne zu merken, daß die Grundlage seines Charakters nicht von Sammet ist. Aber ich will ihn kirren, Hanna, ich will ihn kirren. Zwar fühlt sich mein Stolz oftmals verletzt, wenn er mich mit seinem scharfen Blicke mißt, einem Blicke, in dem ich nur zu deutlich lese: Sie, mein gnädiges Fräulein, sind in vielen Dingen durchaus nicht nach meinem Geschmacke – Sie sind nicht gerade Diejenige –“

„O, wie können Sie so sprechen, Paula! Sie irren sich – Sie irren sich sicherlich.“

„Nein, kleine Weisheit, ich irre mich nicht. Aber ich lasse mich nicht so leicht abschrecken. Ich sage mir: er ist es werth, daß Du Dich um ihn bemühst, und wäre es auch zweimal sieben Jahre, wie Jakob um Rahel. Wie stolz bin ich auf ihn – er ist geschaffen zum Familienhaupte. Ich möchte ihn nicht anders haben, den herrlichen Burschen; ich will ihn gewinnen, ihn zwingen, mich lieb zu haben. Welch ein Leben soll das werden, vereint mit diesem prächtigen Menschen!“

„Sagen Sie mir, Paula,“ drang Hanna in sie, auf welche diese leidenschaftlichen Worte fast betäubend wirkten, „sagen Sie mir, wie es kommt, daß Sie so ganz anders sind, wie andere Frauen! Was giebt Ihnen diese stolze, sichere Zuversicht, die meinem eigenen Empfinden so fremd ist, daß ich mich vergebens bemühe, sie zu begreifen? Liegt der Unterschied darin, daß Sie eine reiche Erbin sind, daß Sie wissen, Sie gebieten über den mächtigsten aller Factoren, der Welt und Menschen bewegt – das Geld?“

„Nein, Herzblättchen, das ist es nicht, wenigstens ist es das nicht allein. Zwar unterschätze ich nicht den Vortheil, reich zu sein. Im Gegentheil – noch nie in meinem Leben ist mir mein Vermögen von so großem Werthe gewesen, noch niemals habe ich eine solche Freude an meinem Gelde gehabt, wie gerade jetzt. Aber meine Zuversicht entspringt aus einer andern Quelle: aus meiner heißen, innigen, opferwilligen Liebe. – Wenn man freudig sich selbst und Alles, was sein ist, Dem hingiebt, den man liebt, wenn man spricht: ‚Du bist mein König, und wie ein König sollst Du schalten mit dem, was jetzt Dein ist. Du und die Deinen sollen ferner Sorgen nicht mehr kennen, für mich aber begehre ich weiter nichts, als von Euch geliebt zu sein, Ihr theueren Menschen, als Euch lieben zu dürfen aus Herzensgrund‘ – glauben Sie nicht, Hanna, daß Diejenige, die so denkt und spricht, mit einiger Zuversicht auf Gegenliebe bauen darf?“

Es lag in Paula’s Worten Etwas, was Hanna zur Bewunderung hinriß, und dennoch wollte in dieser eine Stimme nicht schweigen, die ihr zuflüsterte, daß allen Empfindungen Paula’s eine unweibliche Kühnheit zu Grunde liege. Ja, wäre sie der Gegenliebe bereits sicher gewesen, so hätte sie allenfalls so sprechen dürfen, aber die Tiefe und leidenschaftliche Gluth eines Gefühls schildern, von dem sie wohl wußte, daß es nicht erwidert wurde, von ihrem heißen Ringen um die Liebe eines Mannes sprechen, in dessen Blicken, wie sie selbst gestand, sie oftmals Mißbilligung gelesen hatte – diese kecke Offenheit war ihr unbegreiflich. Und dennoch verfehlte Paula’s glühende, großherzige Natur ihre Wirkung auf Hanna nicht. Einem Impulse folgend, der stärker war als Reflexion, schlang sie die Arme um ihre Gefährtin, die mit leuchtenden Augen und mit tiefem Roth auf den Wangen vor ihr stand.

„Ja, liebe Paula,“ sagte sie mit bewegter Stimme, „ja, ich bin sicher, Sie werden geliebt werden, wie Sie es verdienen. Welcher Mann könnte blind sein gegen den hohen Werth dessen, was Sie ihm bieten? Und Keiner, der Sie recht kennt, wird sich der Ueberzeugung verschließen können, daß der größte Schatz, den Sie ihm durch Ihre Hand bringen, nicht in Ihrem reichen Besitzthume besteht.“

„Das ist’s, Hanna, das ist’s, wonach ich gelechzt habe, so lange ich denken kann: geliebt zu werden um meiner selbst willen!“ rief Paula, die Liebkosungen ihrer Gefährtin stürmisch erwidernd. „O, wenn Du wüßtest, wie wenig Liebe ich kennen gelernt habe! Man hat mich mit Luxus umgeben; man hat mich verwöhnt und sich meinem herrischen Willen gebeugt; man hat mir geschmeichelt. Aber geliebt hat mich Niemand seit meinem sechsten Jahre, als ich Vater und Mutter verlor. Nicht einmal meine Tanten haben dem verwaisten Kinde ihres Bruders jemals um seiner selbst willen Liebes und Gutes erwiesen. Alles war niedriger Eigennutz und schmutzige Berechnung. Niemals haben meine Verwandten an mein Glück, sondern stets nur an ihren Nutzen gedacht. Sie würden mich ohne Bedenken elend für mein ganzes Leben machen, wenn ihnen daraus ein Vortheil erwüchse.“

„Sehen Sie sich vor, Paula,“ sagte Hanna warnend, „daß Sie Ihren Verwandten nicht Unrecht thun! Gegen Ihre Tante Sidonie – dessen bin ich sicher – ist Ihr Mißtrauen ungerecht.“

„Tante Sidonie!“ rief Paula mit einem verächtlichen Zucken ihres Mundes. „Sie irren, Hanna, wenn Sie glauben, daß Tante Siddy mich um meiner selbst willen liebt. Ihre Anhänglichkeit gilt meinem bequemen Hause und dem sorgenfreien, genußreichen Leben darin.“

„Nicht allein, sicher nicht allein! Verlangen Sie doch nichts Unmögliches, Paula! Fräulein von Contagne hat Sie gewiß herzlich lieb, das legt ihr aber nicht die Verpflichtung auf, blind zu sein gegen die Vortheile, die ein Aufenthalt in Ihrem Hause ihr bietet. Sie müssen sich überhaupt darauf gefaßt machen, liebe Paula, daß jedes Gefühl, welches Ihnen zu Theil wird, etwas beeinflußt wird durch Ihr großes Vermögen. Jeder, der in der Welt lebt – auch Sie selbst, Paula – weiß, welch eine große Macht im Gelde liegt. Keiner, auch der hochsinnigste Mensch nicht, kann sich heutzutage dieser Erwägung verschließen.“

Paula hatte anfangs mit einem ungeduldigen Lächeln auf den Lippen Hanna's Worten gelauscht. Nach und nach aber verwandelte sich der Ausdruck ihres Gesichtes. Das ungeduldige Lächeln wurde zu einem freundlichen, fast zärtlichen, und als ihre junge Wirthin endlich schwieg, beugte sie sich vor, um deren Wange zu küssen.

„Sie sind das großmüthigste, holdeste Geschöpf, das ich kenne,“ sagte sie. „Meinen Sie, ich merke es nicht, wie Sie schon entschuldigen und schlichten, ehe noch eine Anklage laut wird?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 786. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_786.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)