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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Worte über seine Lippen, die sie sich kaum vor zwei Minuten vorgesagt. Sie mußte lachen, als sie sie hörte, und lachend zog sie ihr Taschentuch hervor, um sich die Thränen zu trocknen, die ihr unaufhaltsam über die Wangen flossen.

„Wo wollen Sie denn hin, Fräulein Marie?“ fragte er, sie unter seinen buschigen Brauen hervor scharf anblickend. „Es ist gut, daß ich Sie treffe, denn dort kann man Sie noch nicht brauchen. Ich kann Ihnen nicht helfen. Sie müssen mit mir wieder umkehren. Aber beruhigen Sie sich: mit Ihren Brüdern steht es gut.“

Nicht eine Spur von Sarkasmus lag in seinem Lächeln – er schien ihre Erregtheit ganz erklärlich, ganz natürlich zu finden.

„Und von sich selbst sprechen Sie gar nicht? Glauben Sie, daß wir nicht auch Ihretwegen Sorge empfunden haben? Sind Sie ganz unverletzt?“

„Jawohl, heil und ganz, und völlig frischauf! Uebrigens hatte ich mich auch nicht als Combattant, sondern als besonnener Freund, und wenn nöthig, als einflußreicher Friedensvermittler Ihrem Bruder zugesellt. Wenn unsere militärische Hülfe eine halbe Stunde später, das heißt zu spät gekommen wäre, um das Eindringen der wilden Meute zu verhindern, dann hätte ich von Nutzen sein können. Ich bin hierorts wohlbekannt und auch einigermaßen beliebt. Vielleicht hätte meine warnende Stimme ein Ihnen theures Leben retten können, wenn es zum Aeußersten gekommen wäre.“

„O Sie lieber Freund, Sie denken an Alles, Sie sind immer edelmüthig, muthvoll und besonnen.“

„Ihr Lob könnte mich fast stolz machen, Fräulein Marie.“

„Mein Lob! Ein armseliger Lohn für Alles, was Sie an uns gethan!“

„Ich wünsche mir keinen besseren. Jetzt aber trocknen Sie Ihre Thränen! Ihre Sorge um Ihre Brüder ist allerdings natürlich genug, da ich Ihnen aber die Versicherung geben kann, daß –“

„Weshalb sprechen Sie nur von der Sorge um meine Brüder?“ fragte Marie stehen bleibend und ihm in’s Gesicht schauend. „Wollen Sie keine andere gelten lassen? Wollen Sie mir nicht glauben, wenn ich Ihnen sage, daß meine Angst in dieser entsetzlichen Nacht ebenso, wenn nicht noch mehr, Ihnen, als Jenen gegolten hat? Ich habe mich selbst darüber gewundert und mich eine lieblose Schwester genannt, aber ich konnte es nicht hindern – und wenn ich es auch gekonnt hätte, so hätte ich es doch nicht gewollt – daß meine Gedanken immer bei Ihnen, dem edlen, großmüthigen Freunde weilten, daß Ihnen meine Hauptsorge galt. Und jetzt, als ich, jede Rücksicht hintenansetzend, hineilen wollte, nur mich zu überzeugen, wie es steht, da war es wieder der Wunsch –“

Sie konnte nicht weiter sprechen. Er hatte ihre Hände ergriffen und sie fest zwischen seine beiden gedrückt.

„Also um mich haben Sie gesorgt, Marie? Mir sind Sie entgegengekommen, mich wünschten Sie zu treffen?“

„Weshalb fragen Sie noch!“

„Soll das heißen, daß Sie sich wirklich etwas aus mir machen?“

„Etwas! Es ist nicht großmüthig, daß Sie zweifeln.“

Sie standen sich gegenüber, und als sie jetzt zu ihm aufschaute mit ernstem, innigem Blick und doch ein Lächeln auf den Lippen, da legte er ihren Arm fest in den seinen.

„So,“ sagte er, „nun wollen wir nach Hause gehen. Nach Hause, wir Beide zusammen. Wie das glückverheißend klingt, Marie! Und ich habe immer gedacht, Du machtest Dir nicht viel aus mir. Auf etwas Dankbarkeit glaubte ich allerdings rechnen zu können, aber das gerade hat mich zurückgehalten. Und wenn ich doch einmal Lust verspürte, das Schicksal zu befragen, dann haben Deine ehrlichen Augen mich gewarnt.“

Sie schritten rüstig vorwärts. Marie hielt tapfer Schritt mit ihm. Als sie in den Garten traten, und das schöne, in anmuthigem Villenstil erbaute Haus vor ihnen lag, fragte er: „Wie gefüllt Dir mein Haus – wirst Du gern darin wohnen?“

„Sehr gern, denn es gefällt mir gut, aber der Besitzer gefällt mir noch besser.“

Ein leises glückliches Lächeln glitt über seine Züge. Nach einigen Augenblicken aber blieb er stehen und blickte sie ernst an.

„Du kannst doch aber nicht leugnen,“ sagte er, „daß das, was ich Dir zu bieten habe, Dich befriedigt. Dir gefallen mein Haus, mein Garten, meine Wagen und meine Pferde, nicht? Wenn ich ein armer Bursche gewesen wäre, hättest Du niemals an mich gedacht. Entbehrungen mit mir zu theilen, dafür hättest Du Dich bedankt – he?“

Wenn Marie nicht die Geschichte seiner Ehe gekannt hätte, dann würde seine mißtrauische Art vielleicht noch in diesem Augenblicke ihren Zorn erregt haben. Die Worte aber, welche Hanna gestern gesprochen, tönten noch in ihrem Ohre nach und stimmten sie mild und nachsichtig.

„Ich habe mein Lebelang keinen Reichthum besessen und mich auch nie danach gesehnt,“ sagte sie ruhig. „Meine Bedürfnisse sind so einfach und meine Liebhabereien so wenig kostspielig, daß ich ihn auch ferner entbehren kann. Ja, ich wünsche nicht einmal anders zu leben als bisher. Warum sollte ich habsüchtig nach Geld streben, das für mich –“

„O, verzeih, verzeih! Vergiß, was ich gesprochen habe! Du wirst oft Nachsicht mit mir haben müssen, denn ich bin ein verbitterter, mürrischer Geselle. Und glaube auch nicht, daß ich Thor genug bin, eine Liebe zu beanspruchen, die sich mit einer Hütte und einem Herzen begnügt! Ich kenne mich selbst und trage meinen Jahren Rechnung. Das Leben lehrt bescheidene Selbstschätzung und daher –“

„Ich will in diesem Falle aber keine Bescheidenheit,“ unterbrach ihn Marie halb lachend, halb ärgerlich. „Jeder Mann kann von der Frau, welche seinen ehrlichen, ehrenhaften Antrag annimmt, eine ebenso ehrliche Zuneigung beanspruchen. Ich bin mir bewußt, diesen Anspruch erfüllen zu können – ist Dir diese Versicherung genug?“

„Ich danke Dir; ich werde Deine Worte nicht vergessen,“ entgegnete er leise. „Und wann soll es sein? Bedenke, daß ich nicht viel Zeit zu verlieren habe!“

„Niemand hat Zeit zu verlieren, auch ich nicht, wenn es sich darum handelt, glücklich zu werden.“

„Gut! Sagen wir also in vier Wochen; ist Dir das recht?“

„Ja.“

Ehe sie sich dessen versah, hatte er ihren Kopf zwischen seine beiden Hände genommen – nicht stürmisch, sondern leise und sanft– und sie auf Stirn und Lippen geküßt. Und als sie, von diesem Beginnen etwas außer Fassung gebracht, mit rothem Gesichte ihren Hut wieder zurechtrückte, hörte sie einen schnellen, leichten Schritt den Gang herabkommen.

„Das ist Paula,“ flüsterte sie schnell. „Verzeihe, daß ich mich entferne! Ich werde später besser in der Stimmung sein, mit ihr zusammenzutreffen.“ Sie schlüpfte seitwärts in’s Gebüsch, und als sie sich dem Hause zuwandte, hörte sie Paula’s frische Stimme ihrem Vormunde ein heiteres „Guten Morgen!“ zurufen. Sie sah nicht, daß ein lächelnder Seitenblick ihre verschwindende Gestalt streifte, und daß Paula mit schlau auf die Seite geneigtem Kopfe ihren Vormund bedeutungsvoll anblinzelte.

„Guten Morgen, Junker Paul!“ sagte dieser. „Frisch auf und guter Dinge, trotz der schlaflosen Nacht?“

„Ihre Erscheinung, werther Herr, muß alle Sorge verbannen. Sie sehen so frisch, so strahlend und hoffnungsvoll aus – auf Ihrer Stirn glänzt so unverkennbar Siegesfreude und Siegesstolz, daß man versichert sein kann, Sie bringen gute Kunde.“

„Sie sind ein vortrefflicher Physiognom, lieber Junker. Sie schauen durch Rock und Weste bis in das Herz hinein und sehen den Sonnenschein, der tief drinnen sitzt.“

„Also täusche ich mich nicht – die Parteien haben die Waffen gestreckt und Frieden geschlossen?“

„Besser noch,“ erwiderte Kayser. „Die kriegführenden Mächte sind ein Bündnis eingegangen, das ihre Interessen fernerhin coalisirt. Nach menschlicher Berechnung wird es ein Bund werden, der zum Heile aller Betheiligten ausschlägt.“

„Wie mich das freut!“ rief Paula, die Hände ihres Vormundes herzlich drückend. „Das ist in der That ein Ereigniß, an das man die besten Hoffnungen knüpfen darf. Sie haben Ihre Morgenstunden gut benutzt; ich gratulire Ihnen. Sie haben nicht nur als kluger Mann für Ihr eigenes Glück gesorgt, sondern gleichzeitig als trefflicher Patriot und einsichtsvoller

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 818. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_818.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)