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verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


doch von reichem Wechsel in Linien und Farbentönen, von den braunrothen, kühn anstrebenden Felsengraten der höchsten Höhen bis zu den smaragdgrünen Wellenlinien der Alpenmatten und dem fast schwarzen Tannenkleide der Hänge und Schluchten. Und zu all dem der azurblaue Aether, auf dessen klaren Luftwellen riesige Lämmergeier mit ihren unbeweglich gleich Segeln gespannten Fittigen sich wiegten, und jene tiefe, heilige Stille, welche auf das menschliche Gemüth in solcher Umgebung doppelt ergreifend wirkt – wahrlich, ein genußvollerer Anblick läßt sich kaum denken.

Vorescu und Sohn, sowie meine übrigen Begleiter hatten sich unterdessen längst nach allen Richtungen zerstreut, um eine Quelle zur Befriedigung des brennenden Durstes zu erspähen. Auch ich spürte die Wirkung der senkrecht herabfallenden Sonnenstrahlen und erwartete, während ich meine Linien zog und Skizzen anfertigte, mit Ungeduld die Rückkunft der Quellensucher, um deren Entdeckung auch meinerseits zur ersehnten Labung zu benützen.

Allein mit jeder Viertelstunde vergeblichen Harrens verringerte sich auch meine Hoffnung, und wer je die Tantalusqualen des Durstes erduldet, wird meine freudige Ueberraschung ermessen, als nach Verlauf von fast zwei Stunden plötzlich Pietru’s kräftige Stimme neben mir ertönte, und auf meine rasche Wendung der junge Riese vor mir stand, schweißbedeckt, hochathmend und auf den Armen einen mächtigen rohen Holzblock tragend, aus dessen nothdürftig mit Baumrinde verdeckter Höhlung mir reines Quellwasser entgegenblinkte.

„Hier, Herr, ist Wasser, so frisch, wie es ein Stück Holz bei dieser Hitze zu halten vermag,“ sagte der gutherzige Mensch und sah mich dabei so unbefangen und treuherzig an, als ob diese Art der Wasserversorgung die einfachste und bequemste von der Welt wäre. Und doch hatte der brave Sohn der Berge die unwegsamsten Hänge und Schluchten durchspäht, an der endlich entdeckten Quelle eine ansehnliche Fichte gefällt, von derselben den Block losgetrennt, diesen behauen und ausgehöhlt und endlich die schwere Last den weiten, beschwerlichen Weg zurück geschleppt, lediglich um einem ihm vollkommen fremden Menschen eine Erquickung zu verschaffen.

Vorescu und meine Leute waren bei ihren Entdeckungsversuchen nicht so glücklich gewesen und erfreuten sich nach ihrer Zurückkunft an dem reichlichen Vorrathe in Pietru’s origineller „Feldflasche“. Während aber die Soldaten des Letzteren Herculesarbeit staunend bewunderten, nickte der Alte nur zustimmend mit dem Kopfe, als wollte er sagen: „nicht übel gemacht, mein Junge,“ und wandte sich dann mit der Bemerkung an mich, daß es gut sein dürfte, die Instrumente zu verwahren, da ein Gewitter herannahe. Verwundert blickte ich um mich, da ich bis jetzt nicht das geringste Anzeichen eines Gewitters bemerkt hatte.

Vorescu aber deutete mit der Hand nach dem zerklüfteten Felsengipfel des Retjasat, über welchem eine dunkle Wolke schwebte, als wäre sie unschlüssig, ob sie sich niederlassen sollte oder nicht, doch während ich noch ungläubig das scheinbar ganz harmlose Luftgebild betrachtete, ließ es sich gleich einem beflügelten Ungeheuer auf die Erde nieder, alsbald die ganze Höhenkette vor uns bedeckend und zugleich blaugelbe Flammen ausspeiend, in deren Beleuchtung die dunkelnden Berge wie in bengalischem Feuer erglühten. Während nun ohne Zaudern die Instrumente verpackt und von meinen Leuten mittelst der Pferde fortgeschafft wurden, harrte ich, einen Granitblock als Tribüne benützend, der weiteren Entwickelung des großartigen Naturschauspieles, das für mich auf solchem Schauplatze eine ganz neue Erscheinung war.

Vorescu und sein Sohn aber lagerten neben mir und stopften in aller Gemüthsruhe die kurzen Tabakspfeifen. Bald mischte sich der duftende Rauch der trefflichen heimischen Kräuter mit dem meiner Cigarre. Wir sahen in voller Behaglichkeit zu, wie die zuckenden Blitze bald dort, bald da Berge und Thäler wie scharfbegrenzte Theaterdecorationen beleuchteten.

Wie die wilde Jagd zog das Unwetter unter Geheul und Getobe heran und erfüllte bald das ganze Gebirge mit seinen flammenden Blitzen und betäubenden Donnerschlägen. Nun aber war es in der That höchste Zeit, und schon als wir aufbrachen, hüllte uns der tückische Berggeist in einen so dichten Nebel, daß ein Fremder nicht hundert Schritte hätte thun können, ohne Gefahr zu laufen, in einen Abgrund zu stürzen. Von Vorescu und seinem Sohne in die Mitte genommen, eilte ich mit ihnen hinab; es ging auf Sturmesflügeln im wahrsten Sinne des Wortes; kaum eine halbe Stunde genügte für den Weg, den wir aufwärts in dritthalb Stunden zurückgelegt hatten, dank welcher Schnelligkeit wir Nikola’s Stine in dem Augenblicke erreichten, in welchem sich die „Schleußen des Himmels“ öffneten.

Die rumänische Stine repräsentirt nebst den Zelten der Nomaden und den Erdlöchern der Zigeuner die einfachste Construction einer menschlichen Wohnung; vier Wände, aus Tannenstämmen lose zusammengefügt, sodaß der Wind ungehindert die höchst nothwendige Luftreinigung vornehmen kann, und ein Schindeldach darauf – damit ist das Werk des Baumeisters gethan. Der innere Comfort aber entspricht dem äußern und wird ganz und gar durch den Herd vertreten, der eine Spanne hoch über dem Lehmboden auf der der Thür entgegengesetzten Seite angebracht ist.

Die Bewohner der von uns betretenen Hütte, Nikola und seine Nichte Ancza, hatten uns offenbar erwartet und begrüßten uns als willkommene Gäste, ohne sich übrigens in ihren häuslichen Verrichtungen stören zu lassen. Nikola kniete nämlich eben bei dem mächtigen Herdfeuer, über dem an eiserner Kette ein großer kupferner Kessel hing, und schüttelte mit aller Aufmerksamkeit, welche sein Geschäft in der That erforderte, Kukuruzmehl aus einem Sacke in das siedende Wasser des Kessels zur Bereitung der Mamaliga, des täglichen Brodes der Rumänen. Ancza aber goß die den Schafen ihres Oheims abgenommene Milch in große Bottiche, welche den Mittelraum der Hütte einnahmen und deren Inhalt schon durch den Duft die verschiedenen Entwickelungsstadien jenes Productes verrieth, das als der berühmte „Primsenkäse“ in halb Europa bekannt und beliebt ist.

Mamaliga und Käse waren auch die Hauptbestandtheile unseres Soupers, nach welchem ich ermüdet meine unweit des Herdfeuers aus frischem Heu bestehende Schlafstätte aufsuchte, doch hielt mich das ungewohnte Käse-Aroma noch so lange wach, daß ich hinlänglich Muße fand, meine Umgebung zu beobachten. So bemerkte ich, daß der alte Vorescu richtig geschlossen, und sein Sohn durch Ancza’s energisches Wesen in der That angezogen statt abgestoßen worden war.

Schon während der Mahlzeit hatte der junge Riese das schöne Mädchen fast mit den Augen verschlungen und wahrscheinlich, durch solche Augenweide befeuert, kühne Pläne geschmiedet; denn mit dem Aufwande der ergötzlichsten strategischen Kunstgriffe suchte er jetzt den gefährlichen Feind in die Flanke zu fassen, wobei ihm die Bottiche als Stützpunkt dienten. Ancza aber wußte alle diese Versuche ebenso geschickt zu vereiteln, und als endlich auch ein kühner Frontangriff erfolglos blieb, kehrte der aus dem Felde Geschlagene mißmuthig zum lustig prasselnden Herdfeuer zurück und starrte lange und finster in die hellen Flammen, doch plötzlich, als hätten ihm mitleidige Feuermännchen einen guten Gedanken eingegeben, sprang er entschlossen, fast heiter empor, flüsterte dem Vater einige Worte zu und verließ mit einem langen glühenden Blicke auf die unnahbare Schöne die Hütte. Auch Ancza wurde bald darauf unsichtbar, doch nur, wie mir schien, um, gedeckt durch die Käsebehälter, ihre Nachttoilette zu besorgen und sich zur Ruhe zu begeben. Die beiden Vettern aber saßen noch lange an dem wärmenden Feuer und sprachen halblaut von dem Gedeihen ihrer Heerden, von des Dorfpopen zunehmender Habsucht und Herrschsucht, von den neuen Steuern und dem Kampfe, der auch damals um die Herrschaft im Oriente entbrannt und dessen Kunde endlich auch auf die Höhen der Karpathen gedrungen war.

Ich aber lauschte und staunte nicht selten über das richtige Urtheil und die gesunden Anschauungen des merkwürdigen Greises.

Wie er so dasaß im hellen Feuerscheine, mit dem von silbernen Locken umwallten blühenden Antlitze und dem robusten, noch immer kräftigen, Alter und Anstrengungen trotzenden Körper, glich er ganz dem Bilde, das unsere Phantasie von jenen biblischen Patriarchen entwirft, deren Lenden Völker entsprossen, oder von jenen Helden der Vorzeit, welche ihrem Volke als Lehrer und Führer die Wege der Cultur und des Ruhmes bahnten.

Woher nun dieser dumpfe Stillstand, dieses geistige Dämmerleben bei einem im Ganzen begabten Volke, dem Kernmänner gleich dem alten Vorescu angehören? Ist es unabänderliches, in den Eigenschaften der Race begründetes Geschick, oder ist es

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verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1877, Seite 855. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_855.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)