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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


die Wirkung jenes Fluches, der dem im Despotismus und Sclaventhum wurzelnden Osmanenthume folgt, wohin es immer den Fuß gesetzt, und gleich dem Samum der Wüste alles Leben in seinem Bannkreise auf Jahrhunderte hinaus vernichtet?

Während ich solchen Fragen nachsann, hatten sich auch die beiden Greise in ihre Schafpelze auf die harte Erde gebettet, und es war still geworden ringsumher. Nur das dumpfe Rollen des Donners ließ sich noch von Zeit zu Zeit aus der Ferne vernehmen, dem dann bisweilen das Geheul eines Wolfes aus der nahen Waldschlucht und das Gebell wachsamer Hunde folgte. Aber auch diese Laute verstummten allmählich, und nichts unterbrach die feierliche Stille als das anheimelnde Knistern der am grünen Tannenholze zehrenden Flammen. Schlaftrunken blickte ich hinein in das seltsame Leben und Treiben des geheimnißvollen Elementes, und die Eindrücke des Tages weckten in mir Gedanken über die Zukunft dieses zurückgebliebenen und doch so kernigen Volkes; da gab ich mich träumend der Hoffnung hin, der köstliche Baum der Freiheit werde einst auch auf Daciens Boden gedeihen – doch nicht eher, mußte ich mir sagen, als bis das Kalifen- und Czarenthum auf demselben sich verblutet.

Ueber solchen Betrachtungen schlief ich ein. Als ich, durch Jauchzen geweckt, erwachte, erkannte ich an dem hellen Scheine, der durch die Wandritzen fiel, daß die Sonne schon hoch am Himmel stand, und da außer mir Niemand im Raume war, beeilte auch ich mich, die nicht angenehme Atmosphäre zu verlassen.

Aus der Hütte tretend, bemerkte ich Vorescu, der wenige Schritte entfernt hinter einem wilden Rosenstrauche stand und mich durch Zeichen auf Etwas aufmerksam zu machen suchte, das ich jedoch von meinem Standpunkte aus nicht erblicken konnte. Leise trat ich zu ihm und sah nun in mäßiger Entfernung von uns eine Gruppe, wie sie ein Künstler kaum effektvoller erdenken könnte. Vom dunkeln Hintergrunde des schon wiederholt erwähnten Tannenwaldes hoben sich die hellen Gestalten Pietru’s und Ancza’s scharf und plastisch wie aus Marmor gemeißelte Kunstwerke ab, welchen sie auch in der natürlich edlen Anmuth ihrer Haltung wie in der momentanen Unbeweglichkeit glichen. Das Bärenfell auf der Schulter des riesigen Mannes sagte mir, daß das Jauchzen, welches mich aus meinen Träumen erweckt, der Siegesruf des glücklichen Jägers gewesen sei, der nun, offenbar die Beantwortung einer Frage erwartend, mit leicht vorgebeugtem Körper vor dem Mädchen stand, die Rechte auf eine lange einläufige Flinte gestützt, mit der Linken das prächtige schwarze Vließ haltend, das von der Schulter bis zur Erde niederhing.

Ancza aber stand sichtlich betroffen und unschlüssig da, den Blick verschämt zu Boden senkend und mit der Hand an einem Alpenblumenstrauße tändelnd, der den vollen Busen schmückte und an Frische mit den Wangen der schönen Rumänierin wetteiferte.

„Nein, ich mag es nicht,“ sagte sie, jetzt wieder ruhig aufschauend, „es ist zu kostbar für mich, und,“ fügte sie plötzlich auflachend und sich abwendend hinzu, „was soll mir im Sommer ein Bärenfell – im Winter, Pietru, wenn es wieder friert und der erste Schnee fällt, dann – frage wieder an!“

Damit wollte die Spröde entschlüpfen, aber sie war nicht schnell genug oder wollte es vielleicht nicht sein – genug, Pietru hatte ihre Hand erhascht und sprach weich, wie ein bittendes Kind: „Eine Decke aus purem Golde gewebt wäre nicht zu kostbar für Dich, Ancza, doch ich kann Dir nur dieses dunkle Fell anbieten, auf dem es sich aber auch im Sommer vortrefflich schlafen läßt – versuche es nur!“

„Nein, Pietru, es würde mir böse Träume bringen,“ meinte Ancza mit schelmischem Lächeln.

Da stieß Pietru unmuthig den Kolben seines Gewehres auf die Erde, ließ des Mädchens Hand los und sagte trotzig: „Gut, Ancza, wie Du willst! Zwar gewann ich diese Haut dem Zottelmann mit Gefahr meines Lebens ab und habe sie deshalb für Dich bestimmt, da Du sie aber nicht willst, gut, so mag sie Mariuzza haben, die mich schon oft um eine solche anging und sich nicht vor bösen Träumen fürchtet.“

Diese Drohung Pietru’s erschütterte sie sichtlich tief. Und gewiß erwog das schöne Mädchen still bei sich, daß sich – selbst in den Karpathen – ein so hübscher gewaltiger Liebhaber und kühner Bärenjäger nicht jeden Tag einfinde, und daß Mariuzza, mochte sie ihr an Höhe des Wuchses und sonstigen Eigenschaften noch so sehr nachstehen, doch auch ein Mädchen sei und zwar ein verliebtes Mädchen, welches überdies in der nächsten Nachbarschaft des vielbegehrten Mannes wohnte – denn nach kurzem Sinnen ergriff das verständige Mädchen zwar nicht Pietru’s Hand, doch das angebotene Bärenfell mit den lächelnd gesprochenen Worten: „Ei nun, Pietru, wenn Dir so viel daran gelegen ist, so sei es – wozu solltest Du auch den schweren Pelz noch so weit tragen! Vetter Nikola mag einstweilen darauf schlafen.“

So diplomatisch kühl dieser Compromißvorschlag auch klang, er war immerhin ein bedeutender Erfolg, der denn auch den feurigen Liebhaber so freudig erregte, daß er, die Flinte von sich werfend, das Mädchen mit dem Ausrufe umfaßte: „O Ancza, wenn Du ihn nur nimmst, dann mag einstweilen darauf schlafen, wer will!“ und gleichzeitig einen Kuß zu erhaschen suchte.

Statt des Kusses erhielt er jedoch auf die begehrlich zugespitzten Lippen einstweilen etwas, das bei so urwüchsiger Beschaffenheit unter Culturmenschen nicht selten einen Injurienproceß zur Folge hat, hier aber den Empfänger nur veranlaßte, die schöne Geberin hoch um sich herum zu schwenken und das Echo der Berge mit seinem Jubelgeschrei zu wecken.

Allein auch dieser Triumph des ungestümen Werbers war ein vorzeitiger. Blitzschnell warf sich das starke Mädchen mit dem Oberleibe dergestalt nach rückwärts, daß Pietru, wollte er mit seiner Last nicht stürzen, es wieder auf die Füße stellen mußte; doch nur einen Moment verharrte die stolze üppige Mädchengestalt mit unmuthig gekräuselten Lippen und flammenden Blicken in dieser einen köstlichen Anblick gewährenden Stellung; im nächsten schon schleuderte sie den gewaltigen Mann mit einer Kraft, die ich einem Weibe nie zugetraut hätte, weit von sich und verschwand hoch erhobenen Hauptes im Dunkel des Waldes. Bei diesem Ausgange der ländlichen Liebeswerbung kam mir unwillkürlich jene starke königliche Jungfrau des deutschen Heldenliedes in den Sinn und wie es dem armen König Gunther bei ihr erging:

„Die Füß’ und auch die Hände sie ihm zusammenband;
Zu einem Nagel trug sie ihn und hing ihn an die Wand.“

Mit ganz anderen Augen aber betrachtete der greise Mann neben mir die Sache; denn andächtig, als spräche er ein Gebet, sagte er: „Gott sei Dank, endlich hat der Junge eine Nuß gefunden, die ihm genug zu thun geben wird.“

„Fürchtet Ihr nicht für die Zähne Eures gutmüthigen Jungen?“ fragte ich zweifelnd.

„Nein, Herr,“ erwiderte der Alte bestimmt, „dafür kenne ich ihn und auch die Art unserer Mädchen zu gut; nein, nein, – gebt Acht! – Ancza wird ein Weib so gut und brav, wie irgend eine im Lande.“

Merkwürdiger Weise schien auch Pietru ganz derselben Ansicht zu sein, denn während wir uns so im bergenden Schutze eines wilden Rosenstrauches unterhielten, betrachtete er die Spuren der jungfräulichen Entrüstung an seinen nervigen Armen mit jenem träumerischen Entzücken, in welches unsere Verliebten etwa durch das Bild ihrer Angebeteten versetzt werden.

Noch oft im Laufe des Sommers und Herbstes bewunderte ich des jungen Bärenjägers Muth und Ausdauer, am meisten aber, als mit dem ersten Schnee, der die Felsenkronen der allerhöchsten Bergdynasten versilberte, ein stattlicher Hochzeitszug – an dreißig Pferde stark – von Nikola’s Hütte, dem nächsten Dorfkirchlein zu, thalabwärts wallte.

Stolz, wie eine Königin, saß auch die rumänische Brunhilde auf ihrem milchweißen Pferdchen, von dessen Rücken Pietru’s Geschenk, das Bärenvließ, bis zur Erde niederhing. Dieser selbst aber ging, Schritt für Schritt, neben seiner starken Braut, und legte den Arm so sorglich um deren schönen Leib, als fürchtete er, der so schwer errungene Schatz könne ihm noch im letzten Momente abhanden kommen.

Wenige Tage später brach ich meine Zelte ab und zog heimwärts. Vorescu gab mir eine Strecke weit das Geleite, da er an demselben Tage die Rückkunft des jungen Ehepaares von Rimnik erwartete, wo dasselbe die nöthigen Einkäufe für die neue Haushaltung besorgte. Der alte Mann war mir durch seinen biederen Charakter, wie durch seine originellen, heiteren Lebensansichten ein lieber Reisegefährte geworden, und auch er schien

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 856. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_856.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)