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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Nächtliches Treiben im Wasgenwald.[1]
Von August Becker.

Nördlich von Weißenburg und Bergzabern, am Ausgang eines der schönsten Wasgauthäler, zwischen Kastanienhainen und Weinbergen in Wiesen gebettet, liegt das vor mehr als zwölfhundert Jahren von dem Merovinger Dagobert gegründete Kloster Klingenmünster, von König Dagobert’s sagenhafter Residenz Landeck und der aussichtreichen Madenburg überragt – meine Heimath. An alten Ueberlieferungen und Sagen ist hier kein Mangel; wir Kinder lauschten athemlos den Mägden beim „Läufeln“ und „Kernen“ der Wallnüsse und in der „Kunkelstube“. Den Eindrücken solcher Rockenphilosophie suchte mein Vater dadurch entgegen zu wirken, daß er uns besonders in finstern, stürmischen Adventnächten aufforderte, ihn an die verrufensten und unheimlichsten Stellen des Ortsbannes zu begleiten, die zumeist an den Grenzen der Gemeindemark lagen. So zogen wir denn in düsterer Winternacht aus, nicht um das „Gruseln“ zu lernen, sondern um es vielmehr zu verlernen, strichen die Mordhöhl entlang zum Horst, um vielleicht dort einen Nachtwisch – das ist Irrlicht – tanzen zu sehen, überschritten die alte Brücke an den hohlen Weiden vorüber, wanderten nach der Galgenhöhe hinan, in welche die gemiedene „Bubenstube“ sich wie eine Schlucht der römischen Campagna einsenkt, um dann über den einsamen, hochgelegenen Kirchhof auf dem Kreuzstein heimzukehren. Oder wir wanderten gebirgeinwärts bis in’s unheimliche Büffelsthal am Abtskopf, bis in den Röxelgrund des wilden Jägers am Treitelsberg und weißen Felsen, oder auch zu dem geheimnißvollen, halbversunkenen Thurmstrunk von „Walastede“ am Heidenschuh hinan, wo im Lenz die Maiglöckchen am duftigsten blühten. Mag sein, daß mir von diesen Nachtwanderungen zeitlebens eine gewisse Vorliebe für Oertlichkeiten der Sage geblieben; damals kam es mir nicht unerwünscht, wenn der seltsame Spaziergang bei allzu schlimmem Wetter sein Ziel schon im alten „Stift“, und zwar in einer traulichen, an die Sacristei angebauten Wirthsstube fand.

Einmal aber hatte mich mein Vater zu einer Holzversteigerung nach einem der kleinen Gebirgsorte mitgenommen, welche sich in den Gründen des Abtswaldes von Klingenmünster verstecken. Es war unversehens Abend geworden, der Heimweg auf der Straße über Bergzabern allzuweit um, so daß wir den Rückweg durch den Abtswald einschlugen; denn obgleich Gewölk die Mondsichel verdeckte, war es doch nicht sehr dunkel, der Boden trocken, etwas gefroren. Trotz der frostigen Adventnacht hatten wir uns bis zum Schweden-Anger hinan warm gestiegen. Nun aber führte auf der Waldhöhe der bequeme, weiß überreifte Rasenweg, dann und wann nachtduftige Ausblicke auf die Felssäulen und Grate des Gossersweiler Thals öffnend, fast eben weiter über den Schmeisenborn zur Halde des Abtskopfes und zum „Hollabild“, von wo der Weg sich allmählich an den Steinbrüchen vorüber in das heimathliche Thal von Klingenmünster senkt.

Wir waren jedoch noch lange nicht so weit gekommen, als sich die Nacht mit einem Mal verfinsterte und zugleich ein seltsames Sausen und Brausen über den Bergwald hinging, ein Schwirren und Rauschen um den hohen Abtskopf, ein Pfeifen und Johlen in der Luft, das wir um so weniger zu erklären vermochten, als wir selbst keinen Luftzug spürten und das dürre Laub im Gehege neben uns sich nicht rührte. Auch die Edeltannen an unserm Wege standen völlig unbewegt; keine Nadel regte sich in deren dunkeln Fahnen über uns. Nur der leichte Schneefall, welcher seit einigen Minuten begonnen hatte, dauerte an, aber so leise, schwach und ruhig, so sanft und sacht, daß man ihn unmöglich mit dem auffälligen, geisterhaften Geräusch in Verbindung bringen konnte, das noch immer Berg und Thal erfüllte, jedoch, während wir stehen blieben und horchten, allmählich abnahm und in luftiger Ferne versauste.

„Vater, ein Licht!“ unterbrach ich die athemlose Stille, mit der wir noch immer dem fernverwehenden Tosen lauschten. Ich hatte in der Dunkelheit einen Feuerschein bemerkt.

„Wohl möglich,“ antwortete aufathmend mein Vater. „Unten im Waldkessel liegen die Häuser von Blankenborn.“

„Nein, es bewegt sich dort am finsteren Hang; es kommt näher.“

„Dann kommt wohl Jemand mit einer Laterne noch durch den Wald. Ich sehe übrigens kein Licht,“ sagte der Vater. „Gehen wir weiter!“

„Es ist ausgelöscht,“ bestätigte ich, fand aber Anlaß, sofort hinzuzufügen: „dort ist es wieder, und noch eins, noch zwei, drei, vier, fünf Lichter – ach, sieh doch, noch viele!“

Wirklich tauchten am Berghang eine Anzahl Lichter auf; dann verschwanden sie, um mit so hellem Glanze wieder aufzuleuchten, daß der Vater befremdet stehen blieb und der wunderlichen Erscheinung mit forschendem Blicke folgte. Sie bewegten sich langsam in der Richtung gegen uns her, und schon konnte man einzelne Baumstämme unterscheiden, an welchen der Lichtschein beleuchtend vorüberglitt oder hinter welchen er dahinschwebte. Es war ein höchst seltsamer Anblick.

„Sind es Nachtwische, Vater?“ fragte ich mit schauernder Lust.

„Wenn die Flamme steter brennte und doch die Lichter nervöser hin und her zuckten, würde ich sie auch für Irrlichter halten,“ war die Antwort. „Weißt Du was, Kind,“ fing dann mein Vater nach einer längeren Pause wieder an, die in der nächtlichen Oede des Bergwaldes etwas Beängstigendes für mich hatte, „wenn es nur nicht Zigeuner oder Schmuggler sind – aber die gehen nicht mit Laternen und nicht so weit in’s Land herein. Wahrhaftig, ich glaube, es sind Böhämmerschützen – Ja, gewiß sind es Böhämmerschützen, die von Bergzabern über den Hexenplatz herüberkommen. Warum fiel mir nicht gleich die Böhämmerjagd ein!“

Böhämmerschützen! Böhämmerjagd! – Man muß in der Umgebung der Böhämmerstadt Bergzabern geboren sein oder doch einmal dort gewohnt haben, um zu begreifen, in welche Aufregung ich gerieth. Fast hätte ich laut gejauchzt, denn das Glück, einer Böhämmerjagd beizuwohnen, hatte ich bis dahin nur im Traume genossen. Ist es doch keine gewöhnliche, Jahr für Jahr wiederkehrende Jagd; sie ist oft nur nach einem Zeitraume von Jahrzehnten möglich, und es gehörte zu meinen frühesten, halbverwischten Erinnerungen, daß auch einst der Vater mit ausgezogen und mehrere Nächte mitten im strengen Winter ausgeblieben war. Nur mit Gewalt vermochte er mich jetzt abzuhalten, dem nahenden Lichterschwarm entgegenzueilen. Indeß gestaltete sich die Scene in der schneienden Adventnacht stets romantischer. Deutlicher traten die weißen Stämme der Edeltannen im Fackelglanz hervor; immer röther glühten die Kienflammen in den eisernen Pfannen durch die Finsterniß und warfen zitternde Lichtstreifen mit rosigem Schimmer bis zu uns her, während dunkle Gestalten, gleich Lanzen führenden Wilden oder mit Rückkörben belasteten Sclaven, im glührothen Schein der Fackelträger lautlos auftauchten.

Es war ein phantastischer, malerischer Anblick in der schwarzen Nacht des Bergwaldes, wie die stumme Jagd geräuschlos nahte, der schweigende Trupp sich vertheilte, die Fackeln ihren Glanz auf die hohen Tannenwedel fallen ließen und Einzelne ihre Waffen – lange Blasrohre – emporhoben, um sie sofort an die Lippen zu setzen, wenn das unsichtbare Wild seine Spur verrathe. Jetzt trat mein Vater mit mir vorsichtig so weit vor, um in dem Zunächststehenden einen Bürger von Bergzabern zu erkennen und von ihm erkannt zu werden.

„Nun, wie geht die Jagd, Herr Kramer?“

„Schlecht!“ lautete die Antwort, die ebenso gedämpft gegeben, wie die Frage leise gestellt wurde. „Schlecht, Herr Becker. Noch keine Feder. Man möchte die Krenk kriegen. Kein Schwanz läßt sich mehr sehen. Alles ließ sich gut an. Kaum aber tickt Einer von uns mit dem Blasrohr drüben am Benzenteich in die Tannen, geht der Teufel los – futsch! Die ganze Heerde in die Luft. Sie müssen ja den Lärm gehört haben.“

Also ein Flug Böhämmer hatte das mächtige Schwirren und Sausen um den Abtskopf hervorgebracht, das wir uns nicht zu erklären vermocht hatten.

„Jetzt dürfen wir lange herumtappen, bis wir eine Feder spüren,“ fuhr der unmuthige Böhämmerschütze verdrießlich fort.

  1. Als ich W. H. Riehl, den bekannten Culturhistoriker, einmal fragte, warum er in seinem Pfälzer Buche nicht der „Böhämmer“ gedacht habe, ging seine Antwort dahin: man würde glauben, er wolle den Leuten etwas aufbinden.
    Der Verf.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_008.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)