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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

der alten Grabstätten zu bereichern, und die selbst dem Beschauer eine so reizende Staffage bot, interessirte ihn. „Sie zeichnen die Kapurnen?“ fragte er. „Wer weiß, wie lange man sie noch schonen wird?! Ueber die niedrigen ist längst schon der Pflug hinweggegangen, und auch hier schneidet er in jedem Jahr tiefer in’s Haideland ein, so spärlich auch die Frucht ist, die aus dieser Scholle wächst. Will man sich das Andenken an diese charakteristischen Denkmale eines untergegangenen Volkes bewahren, so wird man zu dem Versuch geführt werden müssen, sie bildlich darzustellen, so wenig sie auch als Bild bedeuten können.“

Nun hob sich doch der blonde Kopf des Mädchens, aber die Augenbrauen waren zusammengezogen und die Lippe trotzig aufgeworfen, als wollte der kleine Mund fragen: was geht’s Dich eigentlich an?

Harder ließ sich dadurch nicht abschrecken. „Ein Bild gäb’s vielleicht doch,“ fuhr er fort, „aber es gehört nicht diese frische, scharfe Morgenbeleuchtung dazu, sondern die Dämmerung des Abends. Eben müßte dort hinter uns im Nordwesten die Sonne untergegangen sein und gegenüber die graue Wolkenwand nach dem Rande zu röthlich beleuchten. Ueber der Erde müßte schon die Dämmerung liegen und diesen braunen Erdhügeln mit den weißen Birkenstämmchen und ihrem beweglichen Laube unsichere, ein wenig gespenstische Umrisse geben; hoch oben am kalten Nachthimmel könnte die Mondsichel stehen. Denken Sie sich noch ein paar Hütejungen dazu, die unter dem Schutz der Steine gegen den Wind ein Feuer anzuzünden bemüht sind, dessen Rauchflocken an dem zweiten, entfernten Grabe vorüberhuschen, so kann es an Stimmung nicht fehlen. Wollen Sie das nicht einmal versuchen?“

„Es würde mir schwerlich gelingen,“ antwortete die Dame – eine noch sehr junge Dame, wie er sich jetzt überzeugte – nach kurzem Bedenken leise und zögernd. „Ich zeichne eben nur die Umrisse und sehe sie deshalb gern möglichst bestimmt.“

„Ich sage auch nicht, daß man die Skizze in der Abenddämmerung aufnehmen sollte,“ entgegnete er. „Was der Maler da hinzudichtet, muß er der Natur zu günstiger Zeit ablauschen, und es ist genug, wenn sein Auge es festhält.“

„Sind Sie ein Maler?“

„Nein! aber ich habe einmal versucht, ob aus mir einer werden könne. An malerischen Anschaungen hat es mir nicht gefehlt, aber bei der Ausführung beherrschte immer zu sehr die Form die Farbe. Nach Lessing’s paradoxem Ausspruch hätte ich vielleicht ein großer Maler werden können, wenn ich ohne Hände geboren wäre.“

Sie sah ihn mit großen Augen fragend an, brachte die Anspielung in ihrem Citatenschatze glücklich unter, nickte verständnisvoll und senkte erröthend die Augen. Eine Antwort gab sie nicht, vielleicht um anzudeuten daß sie eine Fortsetzung des Gesprächs, so sehr es sie auch zu fesseln anfing, nicht wünschte.

Harder hatte, halb seitwärts, halb hinter ihr stehend, an der runden Schulter vorbei auf das Blatt geschielt, aber nur die schärfsten Linien erhascht. „Ist’s erlaubt, einmal die Zeichnung zu betrachten?“ fragte er nun, an die Stelle gebannt.

Sie legte den Arm darüber. „Ach – es ist noch nichts fertig.“

„Eben weil noch nichts fertig ist. Ich kann Ihnen vielleicht mit einem guten Rathe dienen, der später jedenfalls zu spät käme.“

„Mein Herr…“

Er trat einen Schritt näher, beugte sich und zog ihr sanft die kleine Mappe unter dem Arm hervor. Sie war nicht bemüht, dieselbe festzuhalten, nahm aber ihren Hut aus dem Haidekraut auf und erhob sich von ihrem Steinsitze. Ihr Blick konnte sagen wollen: ist der aber ein dreister Mensch! Und doch wurde der Unwille sehr gemildert durch die Neugierde, wie er die Zeichnung finden werde. So stand sie denn auch, den Hut mit den langen, blauen Bändern in der Hand, ganz still neben dem Steine und beobachtete den Fremden, der sehr ernst ihr Werk musterte.

„Die Umrisse sind ganz richtig,“ sagte er nach einer Weile, „und doch glaubt man einen ganz anderen Gegenstand zu sehen, als den die landschaftliche Natur bietet.“

„Nicht wahr? es sieht ganz anders aus, als in Wirklichkeit,“ fragte sie, durch sein Bedenken verträglicher gestimmt, als dies eine Schmeichelei hätte erreichen können. „Aber wie kommt das?“

„Weil Sie bei der ersten Anlage einen technischen Fehler gemacht haben – einen großen Fehler.“

„Ah – !“ Die Lippe hob sich wieder trotzig und die Hand streckte sich nach der Mappe aus. Das war doch zu ungalant.

„Sie haben die Kapurnen, auf die es Ihnen doch allein ankam, zu sehr in die Ferne gerückt,“ fuhr er fort, „und nun sehen sie fast wie waldbewachsene Berge aus, während sie in Wahrheit wenig über drei oder vier Meter Höhe haben dürften. Der Vordergrund muß verkürzt werden und das Birkengesträuch einen Behang von größeren Blättern erhalten, damit man sich ganz in der Nähe weiß. Eine menschliche Figur als Maßstab wäre sehr wünschenswert.“

„Ich sagte Ihnen ja, daß noch nichts fertig sei.“

„Ganz recht. Aber so kann auch nichts fertig werden. Wollen Sie mir einmal den Bleistift erlauben?“

Sie reichte ihn halb widerwillig hin. Er zog einige rasche Striche über das Blatt und gab ihr dasselbe mit der Mappe und dem Stifte zurück. „So etwa! Nun werden Sie sich schon zurecht finden. Zeichnen Sie nur das Haidekraut und die Glockenblumen recht bestimmt und kräftig aus! Auch das giebt das Gefühl der Nähe und des räumlich Beschränkten.“

„Ich danke Ihnen,“ sagte sie kühl und förmlich, ohne auf das Blatt zu sehen. Die dreiste Art des Fremden, dem sie sich doch nicht hatte entziehen können, verletzte sie.

Er mußte es wohl bemerken. „Ich störe nicht weiter,“ äußerte er, den Hut ziehend, ließ noch immer den Blick prüfend über die schlanke Gestalt gleiten und entfernte sich mit raschen Schritten.

Der Fußpfad war bald aufgefunden. Nach einer Weile schaute er zurück. Die junge Dame stand noch neben dem Steine und schien nun das Blatt aufmerksam zu betrachten. Dann wandte sie sich, vielleicht weil sie sein Stehenbleiben bemerkte. Als er nach weiteren hundert Schritten nochmals zurückschaute, ging sie dem Dorfe zu.

Es that ihm nun leid, daß er sie verscheucht hatte; er wunderte sich über sich selbst, daß er nicht an ihr vorübergegangen war. „Ein recht feines Gesichtchen,“ kritisirte er, „und sehr merkwürdige dunkelblaue Augen – ich möchte keinem rathen, zu tief hineinzusehen. So viel frisches Leben neben den uralten Grabstätten – der Gegenstand ist anziehend.“

Mit solchen Gedanken beschäftigt, lenkte er in einen Seitenausläufer der Schlucht ein, kletterte bis zu dem Steingerölle hinunter, das sich am Bache hin im Grunde aufgeschichtet hatte, gewann den Seestrand und kehrte an denselben bis zu den Badebuden von Rauschen zurück. Nachdem er sich durch ein Bad erquickt hatte, wanderte er über die Haide dem Dorfe und seinem Gasthause zu, dort die Visitenstunde abzuwarten.

(Fortsetzung folgt.)




Handelsstationen in Westafrika.

Als im Jahre 1833 das englische Parlament die Sclaverei in allen Colonien Großbritanniens aufhob, als auch Frankreich gegen dieselbe auftrat, da wurde dem Menschenhandel in Westafrika bald ein Ziel gesteckt. Nur an den oft erwähnten Küstenstrecken der Guineabucht hielt er sich noch längere Zeit, da die zerrissenen Gestade dort den kreuzenden Kriegsschiffen die Ueberwachung erschwerten und die Flußmündungen, sowie die vielen kleinen, längs der Küste gelegenen Inseln den leichten Schiffen der Sclavenhändler Zufluchtsorte und Verstecke gewährten. Nachdem aber durch die energischen Verfolgungen auch hier dem Unwesen Einhalt gethan worden war, mußten die Kaufleute, sollte der Handel nicht vollständig in’s Stocken gerathen, daran denken, ihre Aufmerksamkeit auf den Export solcher Rohproducte jener Länder zu richten, welche Ersatz bieten konnten für den Verlust,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_062.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)