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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

sah ihn erst verwundert, dann erschrocken an, als der Befehl wiederholt wurde.

„Sie allein, gnädiger Herr?“

„Oeffne nur, alter Thomas!“

„Aber die Bauern sind in Zorn und Wuth.“

„Ich werde schon mit ihnen fertig werden.“

Der Portier gehorchte dem entschiedenen Befehle.

Es waren noch mehrere Diener in der Halle, alte, treue Untergebene des Hauses. Alle liebten und verehrten sie den braven Ottokar, der ebenso vornehm wie leutselig, ebenso tapfer wie human war.

„Bleiben Sie, gnädiger Herr! Begeben Sie sich nicht in die Gefahr!“ baten sie.

„Seid unbesorgt um mich! Ich thue meine Pflicht. Dafür bin ich Soldat.“

Der Portier hatte aufgeschlossen.

„Daß Keiner mir folgt!“ mahnte der Rittmeister. „Das Pförtchen verschließest Du hinter mir!“ befahl er dem Portier.

Er war draußen im Schloßhofe, und Keiner war ihm gefolgt, denn der Portier hatte hinter ihm die schmale, niedrige Pforte verschlossen, wie er befohlen. Die Zurückgebliebenen hatten keinen Blick nach außen, aber um so gespannter horchten sie.

„Er ist verloren,“ flüsterten sie, „sie sind mit Flinten und Büchsen bewaffnet, und ihre Kugeln bestreichen den ganzen Platz. Jeden Augenblick kann das Gitter eingerannt werden. Was er nur vorhat, er allein, der brave Herr? Muth hatte er immer, aber warum er sich wohl in diese Gefahr begiebt?“

Etwa hundert, vielleicht über hundert Bauern hielten das große Hofthor mit dem Gitter zu seinen beiden Seiten belagert. Sie waren mit ihren Hebebäumen beschäftigt, das Thor einzurennen, und versuchten an anderen Stellen, das Gitter zu sprengen. Bisher waren ihre Bemühungen fruchtlos geblieben; Thor und Gitter waren noch überall unversehrt, und noch Niemand hatte in den Schloßhof zu dringen vermocht.

„Die Leitern her!“ riefen einzelne Stimmen.

„Noch nicht!“ entgegneten andere. „Die durch den Park kommen, müssen erst da sein.“

„Der Hof ist ja leer,“ riefen jene wieder. „Wir können es wagen.“

„Nein, es ist gegen die Abmachung,“ war die Antwort.

Der Rittmeister hörte Rede und Gegenrede, während er durch das Schloßportal schritt.

„Sie haben einzeln keinen Muth,“ sagte er sich. „Nur die Massen wollen sich voranwagen. Die Elenden!“

Er trat in den Hof hinein – er, der Einzelne, hatte den Muth. Und es war seltsam, wie sein plötzliches Erscheinen auf die Menge wirkte. Er war plötzlich da, er war ruhig, langsam vorgetreten, nur zehn Schritte weit, und dann machte er Halt und schaute sich nach der Menge um. Der Säbel an seiner Seite war seine einzige Waffe, aber die kühn blitzenden Augen, die sorglose Haltung des schönen stolzen Mannes zeigten, daß er an die Waffe nicht dachte. So stand er da, so sah ihn die Menge, und wie sie ihn so sah, standen sie Alle stumm und regungslos.

„Die Elenden!“ sagte er sich noch einmal, und ein Blick der Verachtung begleitete seine Worte. Er schritt dem Thore näher – die Bauern blieben stumm und unthätig, und es war, als ob sie ihn erwarteten. Sie erwarteten ihn in der That, und er war darauf vorbereitet.

„Was hat Euch hierher geführt, Ihr Männer?“ fragte er. „Was sucht Ihr hier und was wünscht Ihr?“

Seine Stimme klang ruhig und furchtlos.

Sie sahen sich unter einander an. Einer nahm dann das Wort: „Wir wollen unsere Rechte haben. Wir wollen frei sein.“

„Frei ist,“ erwiderte Ottokar von Waltershausen, „wer die Gesetze ehrt und die Rechte seiner Mitbürger achtet.“

„Wir wollen andere Gesetze. Gesetze, nach denen auch wir Rechte haben.“

„Andere Gesetze? Sind die hier in diesem Schlosse für Euch zu finden?“

„Wir wollen keine Leibeigene des Gutsherrn mehr sein.“

Ein schmerzliches Lächeln durchflog das schöne, muthige Gesicht des Freiherrn.

„Ah, dafür seid Ihr die Leibeigenen eines gemeinen Betrügers und Fälschers geworden, der im Zuchthause saß.“

Der Bauer, der bisher geredet hatte – es war ein alter Mann – schwieg beschämt. Aber hinten aus dem Haufen drang eine wüste, schreiende Stimme hervor:

„Schießt ihn nieder, den Schurken, den Bauern- und Rekrutenschinder!“

Es war die Stimme des Bauernadvocaten. Der Elende hatte sich in dem sicheren Hinterhalte versteckt und wagte sich noch nicht heraus. Die Bauern sahen sich wieder unter einander an, und Einige erhoben unschlüssig ihre Flinten. Ottokar aber trat ihnen unerschrocken entgegen und bot ihnen voll seine Brust dar.

„Ja, schießt nur!“ rief er. „Laßt Euch von dem feigen Menschen, der sich selbst nicht an’s Tageslicht wagt, auch noch zu Mördern machen!“

„Schießt, wenn Ihr Muth habt!“ rief der Bauernadvocat.

Zwei Burschen legten ihre Gewehre auf den Freiherrn an.

Er stand ruhig, ohne zu zucken, fest die Augen auf die Mündungen der Gewehre gerichtet.

„Keinen Mord!“ rief der alte Bauer, und die Burschen zogen beschämt die Gewehre zurück.

Trompeten schmetterten: „Husaren heraus!“ Sie schmetterten im Parke, bei den Nebengebäuden hinter dem Schlosse und in der breiten Allee, die zu dem Thore des Schloßhofes führte.

„Ah!“ sagte mit der Befriedigung des Soldaten der Rittmeister, „meine Husaren, mein braver Steinmann! Zu gleicher Zeit und zur rechten Zeit!“

Mit dem Schalle der Trompeten vermischte sich der dröhnende Hufschlag von Pferden, und im Galopp flogen die Husaren in der Allee herbei und aus dem Parke die Anhöhe zum Schlosse heraus. Zwischen den Speichern, Scheunen und Wirthschaftsgebäuden widerhallte der Lärm der Heranziehenden.

„Schießt den frechen Burschen nieder!“ rief noch einmal die Stimme des Bauernadvocaten. „Er ist der Führer; ist er nicht mehr da, so haben sie ihr Haupt verloren. Sie wissen nicht, wohin, noch was sie sollen. Schießt ihn nieder, wenn Euer eigenes Leben Euch lieb ist! Es ist kein Mord; es ist Selbstvertheidigung und Nothwehr. Und sie ist das Recht, die Pflicht jedes Menschen. Schießt, wehrt Euch, habt Muth!“

„Begeht keinen Mord!“ warnte abermals der alte Bauer.

„Seid Ihr feige Memmen?“ fragte Georg Hausmann.

Ein Dutzend heißblütiger junger Burschen hatte die Gewehre schon angelegt und die Mündungen auf die Brust des Rittmeisters gerichtet. Die Husaren waren da, am Gitter des Parkes und am Hofthore; von ihren Pferden herab sahen sie ihren Rittmeister, allein, ohne Schutz, gegenüber den wüthenden Bauern und den auf ihn gerichteten Gewehrläufen.

„Feuer auf die Schurken!“ wurde von zwei Stellen zugleich commandirt.

Die Husaren gaben Feuer, die Bauern schossen. Der Bauernadvocat floh in die Allee zurück und verbarg sich hinter den Bäumen. Die Bauern, als sie ihn flüchten sahen, eilten davon, ihm nach. Und der Rittmeister Ottokar von Waltershausen?


4. Der Abschied von der Pfarre.

Ein freundlicher, klarer Nachmittag nahte sich seinem Ende. Noch lag er ausgebreitet über Landschaft, Berg und Thal, über Wald und Flur, über dem schönen, stolzen Schlosse, das mit seiner langen Façade, seinen hohen Balconen und seinen weißen Markisen von der Anhöhe weit in die Ebene hinausschaute, über dem stattlichen Dorfe, dessen zerstreute Häuser und Höfe das geräumige Thal füllten, über der alten, grauen Kirche am Ende des Dorfes, über dem Kirchhofe, der mit seinen grünen Grabhügeln und den schwarzen Kreuzen darauf die Kirche umgab, über dem Pfarrhause mit seinen angstvoll harrenden Menschen darin. Das Alles lag in tiefer Stille. Ruhe und Stille geben einem hellen Frühlingsnachmittage, der sich zum Abende neigt, wohl die echte und rechte Weihe, aber für das Gefühl des Menschen vermögen sie es nur, wenn in unsern Herzen der Friede wohnt, wenn die Hände, die den Tag über geschafft haben, ausruhen, wenn die Augen sich weiden an dem Segen der Arbeit, der schon emporschaut aus dem Schooße der Erde, auf Aeckern und Wiesen, in Gärten und Wäldern.

Dieses Gefühl hatten die Bewohner von Waltershausen nicht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_086.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)