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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

schmückte, kaum nachstand. Als das Vaticanische Concil in Sicht kam, sah der alternde Prälat mit blutendem Herzen den schrecklichen Stürmen entgegen, welche die Römlinge im Vatican heraufbeschwören wollten. Man hat Grund zu glauben, daß in diesen Tagen der qualvollsten Aufregung der Einfluß des Dichters auf den fürstbischöflichen Freund tiefeingreifend war in alle seine Entschlüsse und daß Jener durch directen Rapport mit den allerhöchsten Personen in der Residenz Mittel und Wege fand, um den schwankenden Kirchenfürsten zu bewegen, wenigstens auf seinem Posten auszuharren. Welche weiteren Wünsche sich an diese erste Concession knüpfen mochten, darf aus naheliegender Rücksicht hier nicht weiter verfolgt werden. Rom war schließlich mächtiger als Berlin und – alte Freundschaft.

In noch engerer Verbindung lebte der „Alte vom Berge“ mit dem bekannten Verleger fast aller seiner Werke Eduard Trewendt. Dieser, wir möchten fast sagen brüderliche Liebesbund ward erst vor wenig Jahren durch den frühzeitigen Tod jenes edlen Mannes jäh und schmerzvoll für den Zurückbleibenden gelöst. Nicht ohne tiefste Wehmuth konnte man damals im nächsten Trewendt Kalender die im schlesischen Dialekte abgefaßte Todtenklage lesen, welche mit der Bitte an den Verblichenen abschloß: „nun auch ihm recht bald da droben bei’m himmlischen Vater im großen Büchersaal sein Plätzchen zu bestellen.“ Holtei’s Werke haben dem Trewendt’schen Verlag keinen Schaden bereitet; das beweist allein die Zahl ihrer einzelnen Auflagen; daß auch ihm, dem Dichter, sein gebührend Theil geworden, hat er selbst zu öfteren Malen gern bekannt, und bis in die letzten Jahre hinein war in seinem Einnahmen-Etat diese Firma vertreten.

Es sei bei der Gelegenheit auch ein für alle Mal die alte ungereimte Mär vom Hungerloos der deutschen Dichter, die eigentlich kein Anderer als Dawison an Holtei’s Rockschöße gehängt hat, abgethan. Aus Mißverständniß einer Annonce in Kölbel’s Theaterchronik (so motivirte mir selbst gegenüber Dawison seine gutgemeinte Tactlosigkeit) hatte der berühmte Schauspieler die Directoren der deutschen Bühne aufgefordert, dem „bedürftigen“ Dichter (der alte Herr hatte ja nur gebeten, ihn mit unfrankirten Petitionen zu verschonen, die er doch nicht erfüllen könne) Tantième-Benefize zu veranstalten, und machte selbst damit auf seinen Gastspielen den Anfang. Natürlich wirbelte die Sache viel Staub auf. Kurzum, es dauerte lange, bevor jene leidige Mär wieder zum Einschlafen kam, die bei Niemandem weniger angebracht war als eben bei Holtei. Obschon derselbe nicht der für alle dramatischen Autoren so glücklichen Zeitepoche der Tantièmen angehörte, so haben seine Honorare und Vorlesungen und späterhin die Subventionen der königlichen Hausschatulle und der Schillerstiftung den Dichter stets in die Lage gesetzt, bis zu dieser Stunde und weiter in höchst behaglicher Weise zu leben.

Die stramme preußische Haltung, die Holtei als Politiker stets vertreten und die ihm in früheren Zeiten in manchen Regionen sogar den Vorwurf eintrug: „er sei ein Reactionär“, mag viel dazu mitgewirkt haben, um den alten Fahnenflüchtling, der dem damals noch ziemlich niedrig gradirten Schauspielerstande so manches Jährlein angehört hatte, so volksbeliebt zu machen. Und dieser Vorzug, nicht nur in der kleinen Hütte des Holzschlägers vom Sudetenwald, sondern auch droben im herrlichen Grafenschloß des Kohlen-Eldorados gleiche Popularität zu genießen, darf in Wahrheit den alten Herrn erfreuen.

Nach seiner Uebersiedelung nach Breslau genoß er natürlich bald in allen höchsten Kreisen der Gesellschaft besondere Gunst und selbst die zartbesaitetsten Naturen nahmen vom alten Holtei wohl auch eine schärfere Witzpointe lächelnd auf, die jeden Anderen in ewige Ungnade gestürzt haben würde. In großer Gesellschaft fühlte er sich übrigens nie so ganz wohl. „Wenn ich schon den Frack anziehe,“ sagte er einmal zu mir, „so ist’s mir, als müßte ich zu einer Hinrichtung. Ja, wär’s noch eine auf meinem Schaffot, dann ging’s eher an!“ „Schaffot“ nannte Holtei nämlich das Vorlesepult seiner Recitationen.

Selbst die großen Feste im Palais des Oberpräsidenten (die Herren Schleinitz wie Graf Stolberg zählten zu Holtei’s wärmsten Verehrern) besuchte er in den letzten Jahren nicht mehr; zum kleinen Cirkel, wo man unter sich war, kam er ungleich lieber und dann hatte der „schlesische Boz“, der schon seit fünfundzwanzig Jahren täglich vom Sterben sprach, oft noch recht heitere von echtem Humor durchleuchtete Stunden. Daß das pessimistische Element in ihm immer mehr zunahm, war im Rückblick auf eine so vielfach bewegte Pilgrimfahrt wohl begreiflich, und am wenigsten durfte man’s dem Vielgewanderten verdenken, wenn er früher als mancher Andere mit Shakespeare’s Heinrich dem Sechsten ausrief: „Mein Alter lechzt nach Ruhe.“ Schließlich war ihm ja sein Schreibtisch immer der liebste Freund gewesen, und so lange es noch mit dem Lesen ging, boten Zeitungen und Bücher ihm vollauf Ersatz für die Conversation der Salons. Am großen Weltgetriebe nahm er, seitdem sein politisches und immer treu vertheidigtes Glaubensbekenntniß so glorreich gesiegt hatte, wieder den wärmsten Antheil, und manch herrliches Wort haben wir über die neu erstandene und erstehende Reichsherrlichkeit von dem alten Herrn gehört, das Kunde gab von der ewigen Jugend seines Herzens wie seines Geistes. Auch die fortschreitende Literatur-Entwickelung verfolgte er mit lebhaftestem Interesse; besonders übel kam in seiner drastischen Kritik, die oft in ihrem Cynismus recht weit ging, die neue französische Schule von Dumas fils weg.

Zum Ersatz für die Ausflüge in Rübezahl’s Berge, die nun allgemach unmöglich wurden, unternahm unser Holtei in den letzten Jahren täglich einen Mittagsspaziergang durch die herrlichen und weit über Schlesiens Grenze hinaus mit Recht berühmten Breslauer Promenadenanlagen. Den breiten Filzhut etwas hinterrücks, die linke Wange stets mit schwarzem Seidentuch verbunden, den Stock horizontal mit beiden Händen auf dem Rücken, so schlenderte der alte Herr, dessen lang herabwallendes Silberhaar dem ausdrucksvollen Kopf ein überaus ehrwürdiges Relief verlieh, gemächlich daher. Trotz der etwas vorgebeugten Haltung und des nicht allzu strammen Ganges machte die stattliche Erscheinung dazumal noch immer den Eindruck eines wohlerhaltenen Sechszigers. Wie oft hörte man vor und hinter ihm aus den Gruppen, die hier die schöne Fontainen, dort eine seltene Orientblume anstaunte – Provinzler natürlich oder Bergvölkler – den freudigen Ausruf: „ih, das ist ja der alte Holtei.“ Und dann ein Aufschauen, ein fröhliches Nicken und in allen Augen stolze Freude, daß es ihnen beim Ausflug nach „Gruße Brassel“ durch Zufall vergönnt gewesen „unseren Holtei“ zu sehen. Mit dem Anreden auf der Promenade war’s schon so ein gewagtes Ding; es gab Tage, an denen man damit auch übel ablaufen konnte. „Mir ist dann zu Muth,“ sagte er mir einmal, „wie dem Zecher, der sich ganz allein hinsetzt, um sich einen guten Schluck ganz ungestört anzuthun. Wie sagt die Maria Stuart?

‚Laß mich in vollen, in durstigen Zügen
Trinken die freie, die himmlische Luft.‘

So mein’ ich’s auf meinen Promenaden mit dem Lufttrunk auch. In die Stubengruft, mein Gott, kommt man ja noch immer früh genug zurück.“

Nur einmal habe ich ihn diese weise Lehre völlig außer Acht setzen gesehen. Es war die Nachricht gekommen, daß die große Legislative die Concessionsfreiheit der Theater proclamirt, freilich eine nothwendige Folge der Gewerbefreiheitsgesetze, allein für die betreffenden Kunstbezirke die Quelle des ganzen gegenwärtigen Theaterelendes. Das erkannte der alte Herr mit richtigem Scharfblicke an und mit der ganzen Entrüstung, deren er fähig, hielt er mir eine Strafrede, die mir unvergeßlich:

Finis Poloniae! Jetzt könnt Ihr Alle nach Amerika wandern und Kirschbäume pflanzen. Das Haus am Schweidnitzerstadtgraben[1] sperrt nur gleich zu! Wie soll das denn jetzt noch bestehen, wo jeder Schuster oder Bandeljüd’ sein Kasperletheater mit lebendigen Puppen anthun kann? Sittliche Mission der Kunst – ja wohl, die Concurrenz wird Euer Repertoire schon zurechtstutzen; gebt Acht, ob Offenbach den Herren Mozart und Beethoven noch erlaubt, das Wort zu nehmen! Consolidirung des Schauspielerstandes – ja wohl, das Proletariat wird all seine Blattern in Eure Genossenschaft werfen.“ So ging es weiter, bis eine jener drastischen Schlußperioden, die sich nicht wiedergeben lassen, die entrüstete Rede abschloß.

Fortan war ihm unser städtisches Kunstinstitut „eine verlorene Sache“. Mit ironischem Lächeln und einem „Hab’ ich’s nicht vorhergesagt?“ hörte er dann die einzelnen Schicksalsschläge, welche das hiesige Theater so hart betrafen. Ravené’s Schicksal –

  1. Das Breslauer Stadttheater; bekanntlich wurde jene Prophezeiung an diesem Institute in der That nur zu bald vollste Wahrheit.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_118.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)