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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Um hohen Preis.
Von E. Werner.
Nachdruck verboten und Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Heller Sonnenschein lag auf der Landschaft ringsum; der Spiegel des Sees dehnte sich weit und glänzend aus und warf das Bild der Stadt zurück, die sich in ihrer ganzen malerischen Schönheit am Ufer erhob, während das fern aufsteigende Gebirge, mit seinen zackigen Gipfeln und seinen Schneehäuptern sich in voller Klarheit zeigte.

Inmitten der villen- und gartenreichen Vorstadt, die sich am Ufer hinzog, lag eine kleine Besitzung von bescheidenem Ansehen. Das einstöckige Wohnhaus bot weder viel Raum, noch schien es besonderen Luxus zu bergen. Eine offene, weinumrankte Veranda bildete fast den einzigen Schmuck desselben; dennoch machte es mit seinen hellen Mauern und grünen Jalousien einen äußerst freundlichen Eindruck, und der nicht große, aber sorgfältig gepflegte Garten, der sich bis an den Rand des Sees erstreckte, gab dem kleinen Landsitze noch einen besonderen Reiz.

In der Veranda, die vollen Schutz gegen die Sonnengluth und selbst einige Kühlung gewährte, gingen zwei Herren, im Gespräch begriffen, auf und nieder. Der Aeltere der beiden war ein Mann von etwa fünfzig Jahren, aber das Alter schien ihm früh genaht zu sein, denn die Gestalt war gebeugt und das Haar bereits vollständig ergraut. Das tief durchfurchte Gesicht verrieth, daß Kämpfe und vielleicht Leiden mancher Art darin gewühlt hatten, und der scharfe bittere Zug um die schmalen Lippen gab dem Antlitz ein beinahe feindseliges Gepräge. Nur in dem Auge blitzte noch ein Feuer, das weder Jahre noch Erfahrungen hatten dämpfen können und das einen seltsamen Contrast zu den grauen Haaren und der gebeugten Haltung bildete.

Sein Gefährte war um vieles jünger, eine schlanke mittelgroße Gestalt mit keineswegs regelmäßigen, aber im höchsten Grade anziehenden Zügen und ernsten blauen Augen. Das hellbraune Haar fiel auf eine schöne klare Stirn; die Gesichtsfarbe zeigte jene leichte Blässe, die, ohne krankhaft zu sein, doch auf angestrengte geistige Thätigkeit deutet, und der vorherrschende Ausdruck war der einer ruhigen Festigkeit, wie man sie bei einem Alter von sieben- oder achtundzwanzig Jahren nur selten ausgeprägt findet. Es konnte kaum einen schärferen Gegensatz geben als diese beiden Männergestalten.

„Also Sie wollen uns wirklich schon jetzt verlassen, Georg?“ fragte der Aeltere im Tone des Bedauerns.

Der junge Mann lächelte. „Schon jetzt? Ich dächte, Herr Doctor, ich hätte Ihre Gastfreundschaft lange genug in Anspruch genommen. Meine Absicht war es nicht, wochenlang zu bleiben, aber Sie nahmen den Fremden, der nichts weiter als eine Universitätsfreundschaft mit Ihrem Sohne geltend machen konnte, so herzlich auf, wie einen nahen, lieben Verwandten. Ich werde nie –“

„Nur keinen Dank für das, was mir eine Freude gewesen ist!“ unterbrach ihn der Doctor. „Ich fürchte nur, Sie werden die genossene Gastfreundschaft daheim büßen müssen. Man verzeiht dem Assessor Winterfeld schwerlich den Aufenthalt in meinem Hause. Ich habe Ihnen nie verhehlt, daß Ihr Besuch bei uns ein Wagniß ist und Ihre ganze Stellung gefährden kann.“

Der ironische Ton dieser Warnung rief eine flüchtige Röthe auf die Stirn des jungen Winterfeld und verschuldete jedenfalls die Lebhaftigkeit, mit der er antwortete: „Ich denke Ihnen bewiesen zu haben, daß ich meine Selbstständigkeit unter allen Umständen zu wahren weiß. Meine Stellung legt mir hoffentlich nicht die Verpflichtung auf, Freundschaftsbeziehungen zu meiden, die rein privater Natur sind.“

„Nicht? Ich bin vom Gegentheil überzeugt. Es wird sich bei Ihrer Rückkehr ja zeigen. Vergessen Sie nicht, Georg, daß Sie unter dem Regimente eines Raven stehen!“

„Ich glaube nicht, daß mein Chef sich so eingehend um die Ferienreisen seiner Beamten kümmert,“ sagte Georg ruhig. „Er ist allerdings von einer eisernen Strenge in allem, was den Dienst betrifft, mischt sich aber niemals in Privatverhältnisse. Die Gerechtigkeit muß ich ihm widerfahren lassen, wenn ich auch sonst keineswegs zu seinen Freunden gehöre. Sie wissen ja, ich bin ein entschiedener Gegner der Richtung, die er vertritt, also auch der seinige, wenn ich als sein Untergebener auch vorläufig noch zum Schweigen und Gehorchen verurtheilt bin.“

„Vorläufig?“ wiederholte der Doctor in schneidendem Tone. „Ich sage Ihnen, er wird Sie dauernd Schweigen und Gehorsam lehren, und wenn Sie sich nicht gelehrig zeigen, wird er Sie erdrücken und verderben. Das ist so seine Art, wie die all dieser verächtlichen Emporkömmlinge.“

Georg schüttelte ernst den Kopf. „Sie gehen zu weit. Der Freiherr hat viele Feinde, und ich glaube, daß im Geheimen sehr viel Haß und Bitterkeit gegen ihn genährt wird – Verachtung aber hat ihm noch Niemand zu bieten gewagt.“

„Nun wohl, so thue ich es,“ rief der Doctor mit ausbrechender Heftigkeit. „Und ich habe wahrlich Grund dazu.“

Der junge Mann sah ihn schweigend an; dann, nach einer secundenlangen Pause, legte er die Hand auf seinen Arm.

„Herr Doctor Brunnow, verzeihen Sie eine vielleicht indiscrete Frage. Was liegt eigentlich zwischen Ihnen und meinem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_143.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2016)