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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Acht Tage später war Paris in der Gewalt der Versailler Truppen, und massenhafte Erschießungen vor dem Postament der Säule sollten den Act vorläufig - sühnen. Vierzehn Tage darauf war der Urheber des Säulenumsturzes verhaftet. Er wagte es nicht, wie Felix Pyat, wie Jules Valle und Andere, verkleidet entkommen zu wollen; er zog ein, wie er hoffte, unverletzliches Versteck bei einer Freundin vor. Aber die Spionage war in dem mit stürmender Hand genommenen Paris noch hundertmal wachsamer als in der ärgsten Periode des alten Venedig. Verrath oder Mangel an Vorsicht brachten die geheimen Unterkünfte zur Kenntniß der Behörde. Diese, fest überzeugt, daß der Vogel im Nest sei, hielt eine so gründliche Hausdurchsuchung, daß Courbet, der sich in einem absichtlich gegrabenen Loche in der Mauer verborgen hielt, entdeckt wurde. Zum Märtyrer war derjenige, den die republikanischen Blätter bei Gelegenheit der Eidesverweigerung mit allen republikanischen Tugenden ausgeschmückt hatten, nicht geschaffen. An allen Gliedmaßen schlotternd, leichenblaß wurde Courbet dem Militärgefängniß in Versailles eingeliefert, wo er in eine Krankheit verfiel, welche durch die betrübende Meldung des Todes seiner alten Mutter und einer in seiner Vaterstadt Ornans gegen ihn gerichteten Demonstration bedeutend verschlimmert wurde.

Nach zweimonatlicher Untersuchungshaft, die er theils in einer finsteren Zelle (er portraitirte sich selbst darin ab), theils in dem Lazareth des Gefängnisses zubrachte, hatte sich Courbet vor dem Kriegsgerichtshof in Versailles zu verantworten. Die Sitzungen dieser rothhosigen, unbarmherzigen Vehme fand in der Reitschule der Cavalleriecaserne statt, einem ungeheueren, sehr hohen Raum, von dem kaum ein Drittheil durch das Tribunal, die Angeklagten, die Advocaten, die Vertreter sämmtlicher Journale und einige hundert Zuschauer in Anspruch genommen wurde. Die zwei übrigen Drittheile des Locals blieben frei, und es hätten sich wie gewöhnlich Pferde und Reiter darin tummeln können. Die Angeklagten - es gab deren elf, sämmtlich Mitglieder der Commune - hatten neben ihren Sachwaltern auf einer Estrade Platz genommen, die sich schräg gegenüber den Reporterbänken befand. Ich hatte daher alle Muße, während der langwierigen Verhandlungen die Physiognomien der verschiedenen Angeklagten zu studiren. Courbet saß in der zweiten Reihe; seine körperliche Beleibtheit hatte eher zu- als abgenommen, aber sein Gesicht trug die Spuren arger Strapazen und einer tiefen Erregung.

Im Ganzen befleißigte er sich einer gleichgültigen Haltung und blickte drein, als wäre er der ganzen Verhandlung, bei der es sich doch um seinen Kopf handelte, fremd. In seiner Kleidung hatte er eine Sorgfalt affectirt, die ihm sonst nicht angeboren war; ein sehr behäbig aussehender schwarzer Tuchrock mit schwarzer Hose bildete seinen Anzug; das Haar war - bei dem Chef der Realisten ein Unicum - gekämmt und der Bart beinahe gepflegt.

Der Präsident des Gerichtshofes war Oberst Merlin vom Geniecorps, ein Officier mit offenen, beinahe sympathischen Zügen, und mehr eine gelehrte Erscheinung in Uniform als ein rauher Kriegsmann. Oberst Merlin war dazu ein Kunstliebhaber und hatte Sympathie gerade für die von Courbet vertretene Richtung. Der Advocat des Malers und einige Freunde hatten dies herausgefunden – der Genieoberst wurde von dem Augenblicke dieser Entdeckung an förmlich bestürmt mit Bittschriften, Briefen, voll von Erörterungen über das Maß der Verantwortlichkeit und Zurechnungsfähigkeit eines Künstlers, von Hinweisen auf den großen Revolutionsmaler David, der, obwohl der Freund Robespierre’s und mit diesem arg compromittirt, nichts destoweniger von allen Verfolgungen verschont blieb, weil man dem Lande ein Talent erhalten wollte. Oberst Merlin war offenbar als Liebhaber und Parteigänger der realistischen Richtung von diesem Standpunkte frappirt; man erkannte dies schon an der höflichen Behandlung des Angeklagten, auf dessen Haupte nicht weniger als drei inhaltsschwere Anklagepunkte lasteten. Er war bezichtigt:

1) der Theilnahme an einem Anschlage, dessen Zweck die Aenderung der Regierungsform und die Aufreizung der Bürger zum Kampfe gegen einander;

2) der Usurpirung öffentlicher Aemter;

3) der Mitschuld an der Zerstörung der Vendôme-Säule, eines von der Regierung errichteten öffentlichen Denkmals.

Der Präsident Merlin bittet: „Monsieur Courbet, stehen Sie gütigst auf! Zu welcher Zeit sind Sie der Commune beigetreten?“

Courbet antwortet: „Am 27. April.“

Präsident: „Sie mußten doch über die Vorgänge in dieser Versammlung genügend unterrichtet sein?“

Courbet: „Ich hielt es für meine Aufgabe, die Pflicht zu erfüllen, die ich mir auferlegt hatte, Frieden zu stiften.“

Präsident: „Und was haben Sie in diesem Sinne gethan?“

Courbet: „Alles, was ich thun konnte.“

Präsident: „Die Thatsachen sind da.“

Courbet: „Ja, als ich in die Commune trat, war das Unheil schon geschehen.“

Präsident: „Aber Sie hätten der Commune nicht beitreten sollen.“

Courbet: „Ich glaubte, daß Aussicht vorhanden wäre, Paris als kriegführende Macht anzuerkennen.“

Präsident: „Eine verrückte Aussicht!“

Courbet giebt nun einige Auskünfte über die von ihm getroffenen Schutzmaßregeln zu Gunsten der Hauptstadt in den öffentlichen Palais und Museen. Er will auch bei der Zerstörung des Palastes des Herrn Thiers nur anwesend gewesen sein, um jene Gegenstände, die für Herrn Thiers besonderen Werth hatten, zu retten. Der Oberst Merlin ertheilt dem Maler eine beinahe väterliche Lection. „Sehen Sie,“ sagt er, „was daraus werden kann, wenn einmal die Gesetzlichkeit überschritten wird; es ist unmöglich, das aufgelehnte Volk in seinem Wahne aufzuhalten.“

„Es giebt Dinge, die man nicht verhindern kann,“ antwortet Courbet stumpf.

Dann berührt der Präsident die Angelegenheit der Säule.

„Schon am 14. September hatten Sie die Zerstörung dieses Denkmals beantragt. Es war Ihnen besonders unangenehm, wie?“

Courbet: „Nach dem 4. September hatte man alle an das Empire erinnernde Gegenstände entfernt. Die Statue mit dem kleinen Hut war in die Seine geworfen worden; man hatte den ‚Napoleon den Dritten als Cäsar‘ bei der Brücke der Saints Pères, die ‚N‘ und andere Abzeichen an den öffentlichen Gebäuden weggenommen. Die Säule verdunkelte den Vendôme-Platz und hatte keinen künstlerischen Werth.“

Präsident: „Die Säule war zur Verherrlichung des Ruhmes unserer Waffen errichtet worden.“

Courbet: „Von diesem Standpunkte aus hatte ich nichts daran auszusetzen aber es fehlte dem ganzen Monument an den richtigen Verhältnissen, an Perspective.“

Der Präsident unterbricht diese ästhetische Erörterung, indem er an Courbet einige neue Fragen über dessen politische Rolle während der Commune richtet, aus welchen hervorgeht, daß sich der Angeklagte um dasjenige, was um ihn herum vorging, sehr wenig kümmerte. Das Zeugenverhör, welches nun folgte, war im Ganzen dem Maler günstig; nur eine einzige unbedeutende Persönlichkeit wollte Courbet am Tage der Zerstörung der Vendôme-Säule auf dem Platze gesehen haben. Der wundeste Punkt, die Betheiligung an der Zerstörung des Hauses Thiers’, wurde so ziemlich bei Seite geschoben, und Meister Lachaud, der melodramatische Vertheidiger, zu dem alle Raubmörder, Giftmischer und ärgsten Schurken ihre Zuflucht nehmen, bewegte sich auf einem wohlvorbereiteten Boden. Der Komödiant in der Toga war noch pathetischer als sonst, fuchtelte mit seinen Armen wie mit ein paar Windmühlen in der Leere und weinte bitterlich. Er warf den 4. September und alles damit Zusammenhängende über Bord und sonderte seinen Clienten von den übrigen Angeklagten ab. Er behauptete die vollständige Unzurechnungsfähigkeit desselben, und um ihn zu retten, bezeichnete er ihn als einen völlständigen Tölpel. Courbet ließ es geschehen, der Ehrgeizige, was sonst Keiner duldete. Aber er dachte sehr klug: besser als Schwachkopf in Freiheit, denn als routinirter Politiker im neucaledonischen Carcer.

Ein Intermezzo bezeichnete das Plaidoyer Meister Lachaud’s. Der Advocat, um die Weigerung besonders zu rechtfertigen, behauptete, Courbet habe es für gerecht gehalten, daß nur die Militärs mit dem Zeichen der Ehre geschmückt würden, und an diese seltsame Auslegung knüpfte Meister Lachaud eine höchst

bombastische Verherrlichung der Officiere, die allein würdig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_149.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)