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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Vor die richtige Schmiede.
Von C. M. Seyppel.



Der Kriegsplanet
nach den Ergebnissen seines vorjährigen Besuches.

Unter allen Wandelsternen, die mit uns um die Sonne kreisen, hat keiner die Phantasie der Völker und den Scharfsinn der Astronomen früher und nachhaltiger beschäftigt, als der Mars, unser nächster Nachbar im Planetensystem nach der äußern Seite. Weder die Venus, welche als Morgen- und Abendstern die Hirten- und Nomadenvölker zu ihrer dichterischen Verherrlichung herausforderte, noch der Jupiter, das strahlendste Gestirn unserer Nächte, haben mit so unwiderstehlicher Gewalt die Blicke der Irdischen auf sich gezogen, wie der Mars. Sein düsterrother Schein, welcher im vorigen Sommer und Herbst alle andern Sterne des Firmamentes überstrahlte, erinnert an Blut und Feuersgluth und gab schon den ältesten Sternbeobachtern, den Chaldäern, Veranlassung, ihn als den Krieg bringenden Planeten zu betrachten und ihn in den Schutz eines Gottes zu stellen, dessen gewöhnliche Beinamen auf den neuerlich entzifferten Ziegelsteintafeln der Bibliothek von Ninive lauten: „der große Held, der König des Handgemenges, der Meister der Schlachten, der Kämpfer der Götter“ u. s. w. Die Chaldäer beobachteten seine Bewegungen daher eifrig von den Plattformen ihrer Stufenpyramiden, die zugleich Tempel und Sternwarten waren, und hatten bereits die an diesem Planeten allerdings sehr auffallenden „Schleifen“ (das heißt die durch die Bewegungen des Beobachters zeitweilig entstehenden scheinbaren Rückwärtsbewegungen, auf dem regelmäßigen Wege von West nach Ost) und seine zeitweisen Annäherungen und Entfernungen an und von uns bemerkt. Wegen jener Laufeigenthümlichkeit nannten sie ihn Nirgal oder Nergal, das heißt: der Springende oder Stampfende, und zwei andre chaldäische Namen bezeichnen ihn als Mamna (Mars in der Erdnähe) und Baluv, das heißt: das „entschwindende Gestirn“, oder der Stern, welcher nicht mehr da ist. Jene Auffassung des Mars als Kriegsplanet ist von den chaldäischen Vätern der Astrologie an bis zum Mittelalter festgehalten worden, immer wieder galt seine Erscheinung in besondern Stellungen als höchst unheimlich, Krieg und Verderben bringend, namentlich wenn er in Gemeinschaft mit dem bleichen Saturn auf die Geschicke der Menschen wirken zu wollen schien.

Den Astronomen wurde er durch die Bequemlichkeiten, die er der Beobachtung darbietet, das wertheste und umworbenste Gestirn, um daran den Bau des Sonnensystems zu studiren und die Gesetze der Planetenbewegungen zu ergründen. Seiner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_319.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)