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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Voltaire als Gast Friedrich’s des Großen.[1]
Nach einem Oelgemälde auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

wahr erweist, so ist davon unbedingt doch eine Grundanschauung zurückgeblieben und als Bewegungsmoment in alle folgenden Zeiten übergegangen: die Erkenntniß, daß der kirchliche Zwang und die Herrschaft der Kirche, wie sie den Gläubigen als ein Segen und als eine göttliche Begnadung der Menschheit verkündet wird, im Grunde ein verhängnißvolles Uebel, eines der schwersten Hindernisse der Gesittung, des Wohls und Gedeihens der Völker sei. Wenn die Staaten sich jetzt mehr oder weniger aus dieser erdrückenden Schlinge befreit haben, wenn alle Freidenkenden heut in ihrem Privatleben eine Sittlichkeit und

  1. Nachdem wir anläßlich des Voltaire-Jubiläums unsern Lesern in der vorigen Nummer ein Portrait des französischen Dichters und Denkers geboten, bringen wir heute ein zweites Bild desselben, welches wir der Freundlichkeit einer Dame verdanken. Wir publiciren es namentlich deshalb, weil sich gerade an dieses Bild ein eigenthümliches Interesse knüpft. Das uns gütigst zur Nachbildung überlassene Original, welches wir Liebhabern von Raritäten und älteren Kunstwerken zum Kauf empfehlen, ist eine Oelmalerei auf einer siebenundzwanzig Centimeter hohen, einundzwanzig Centimeter breiten Holztafel, deren Rückseite folgende Notiz zeigt: Friedrich der Zweite hatte schon oft gewünscht, seines Freundes Portrait zu besitzen; doch Voltaire hatte sich stets geweigert, sein Bildniß abnehmen zu lassen. – Da wird dieser einst krank und schickt zum Könige nach Sanssouci, um sein Nichterscheinen zu entschuldigen. Friedrich, welcher dies für eine günstige Gelegenheit zur Ausführung seines längst gehegten Planes hält, befiehlt sogleich seinem Lector Formay nach Berlin zu schicken und den Maler Pesne kommen zu lassen. (Anton Pesne, ein berühmter Historien- und Portraitmaler, war vom Könige nach Berlin berufen und zum Director der Akademie ernannt worden. Er starb 1775 zu Berlin.) Pesne kam und erhielt vom Könige den Befehl, Voltaire auf jeden Fall zu malen; da dieser seine Zimmer indessen nicht verließ, so sah der Künstler sich genöthigt, den Dichter durch’s Schlüsselloch zu malen, und das Portrait war außerordentlich ähnlich. Es hing bis zum Tode des Königs über seinem Bette und kam nach seinem Tode in Besitz des alten Formay, der es seinem Sohne, dem sehr bekannten Dr. Formay in Berlin vermachte, dessen Wittwe dasselbe nach ihres Mannes Tode an Frau Karoline Fränkel, geb. von Halle, schenkte. Eine Copie von diesem Bilde ist im Besitze Seiner Majestät des Königs.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_383.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)